Lebensraum, der
Bedeutungsübersicht
- 1. Gegend, Umgebung, in der das Leben (bestimmter Individuen, einer bestimmten Gruppe o. Ä.) möglich ist oder sich abspielt bzw. abspielen soll
- a) [Biologie] durch allgemeine Merkmale bestimmte Umgebung oder konkretes Gebiet, in dem sich das Leben bestimmter Organismen, einer bestimmten Art o. Ä. abspielt
- b) Gegend, Umgebung, in der sich das Leben einer Ethnie, eines Volkes abspielt
- c) [besonders nationalsozialistisch] (ausreichend großes, zur wirtschaftlichen Nutzung geeignetes) geografisches Territorium, das sich ein Volk als Lebensgemeinschaft in Konkurrenz, im Kampf gegen andere zu eigen macht
- d) [allgemeiner] (häusliches) Umfeld, in dem man überwiegend den Alltag verbringt (und sich eingerichtet hat)
- 2. [veraltend] Zeit, Dauer, Spanne eines ganzen Lebens oder eines Lebensabschnitts
eWDG und ZDL
Bedeutungen
1.
Gegend, Umgebung, in der das Leben (bestimmter Individuen, einer bestimmten Gruppe o. Ä.) möglich ist oder sich abspielt bzw. abspielen soll
a)
Biologie durch allgemeine Merkmale bestimmte Umgebung oder konkretes Gebiet, in dem sich das Leben bestimmter Organismen, einer bestimmten Art o. Ä. abspielt
Synonym zu Habitat (1)
Kollokationen:
mit Adjektivattribut: artenreicher, artgerechter, idealer, aquatischer, bewaldeter, felsiger, sandiger, feuchter, mariner, tropischer, bedrohter, schwindender, schützenswerter Lebensraum
als Akkusativobjekt: Lebensräume schaffen, erkunden, verändern, bedrohen, gefährden, zerstören
in Präpositionalgruppe/-objekt: die Anpassung an [bestimmte] Lebensräume; die Vielfalt an Lebensräumen; die Erhaltung, der Schutz von Lebensräumen; Eingriffe in den Lebensraum
mit Genitivattribut: der Lebensraum der Flora und Fauna, der Populationen, der Lebensgemeinschaften, der Unterarten
in Koordination: Lebensraum und Laichgebiet, Ökosystem, Nahrungshabitat
als Aktivsubjekt: der Lebensraum schwindet, schrumpft, verschwindet
mit Präpositionalgruppe/-objekt: Lebensraum für [gefährdete, seltene] Pflanzenarten, Tierarten, Vegetation
als Genitivobjekt: der Schutz, der Erhalt, die Erhaltung, der Verlust, die Zerstörung des Lebensraums
Beispiele:
ein günstiger Lebensraum für Laubbäume, WasservögelWDG
Damit die Lebensräume vieler seltener Vogelarten, wie etwa Wendehals, Teichrohrsänger, Nachtigall, Grauspecht oder Silber‑ und Nachtreiher, auf Dauer erhalten oder sogar noch verbessert werden, nahmen kleine und große Helfer des Bundes Naturschutz umfangreiche Pflegemaßnahmen im Vogelschutzgebiet am Nassanger vor. [Fränkischer Tag, 16.09.2023]
Der Wolf erobert sich 200 Jahre nach seiner Ausrottung den Lebensraum Deutschland zurück. [Neue Westfälische, 29.07.2023]
Durch Zurückdrängung der Schilfbestände im gesamten Gebiet und das Anlegen von Rohbodenstellen und Feuchtmulden konnte […] ein kleinteiliges Mosaik unterschiedlicher Lebensräume für salzliebende Arten wie Gemeiner Queller und Strand‑Beifuß geschaffen werden. [Thüringer Allgemeine, 30.11.2021]
Das Naturschutzgebiet
[Ricklinger Entenpool in Niedersachsen] ist Lebensraum und Rückzugsgebiet für zahlreiche gefährdete Pflanzen‑ und Tierarten. [Wikipedia: Ricklinger Entenpool, 28.02.2021, aufgerufen am 16.06.2023]
Der Naturpark Barnim will neue Lebensräume für Amphibien in der Gemarkung Trampe schaffen. [Berliner Morgenpost, 02.12.1999]
[…] die Biologie sieht sich veranlaßt, ihre Untersuchungen über das Individuum hinaus auf die Faktoren des Lebensraumes und der Tiergemeinschaften auszudehnen. [Bühler, Karl: Die Krise der Psychologie. Jena: G. Fischer 1929 [1927], S. 45]
b)
Beispiele:
der Lebensraum eines Stammes, der SlawenWDG
[…] heute zerstören die Öl‑Konzerne mit ihrem Fracking Teile des kläglichen verbliebenen Lebensraums der Ureinwohner. [Frankfurter Rundschau, 22.07.2017]
Laut Auskunft des Shoah‑Forschers Yehuda Bauer bewohnten 1939 rund 1,3 Millionen Juden die »Kresy«. Zu diesem Landstrich (polnisch: »Grenzland«) gehörten Nordostpolen, Wolhynien und Ostgalizien. Ihren Lebensraum teilten die Schtetl‑Bewohner mit Ukrainern im Süden, mit Polen und Weißrussen (Norden). [Der Standard, 08.11.2013]
Die Österreicher, auch die in der Provinz, sind heute wohlhabender denn je. Doch ihr traditioneller Lebensraum ist so gefährdet wie der der Ostdeutschen und der Polen: Die Jungen gehen, die Alten bleiben, die Wirtshäuser schließen, die Dörfer veröden. [Der Spiegel, 07.04.2012]
Die Inuit, so geht die Sage, kennen unendlich viele Wörter für jenen gefrorenen Niederschlag, der flockig oder verdichtet ihren unwirtlichen Lebensraum auskleidet. [Der Tagesspiegel, 17.11.2011]
c)
besonders nationalsozialistisch (ausreichend großes, zur wirtschaftlichen Nutzung geeignetes) geografisches Territorium, das sich ein Volk als Lebensgemeinschaft in Konkurrenz, im Kampf gegen andere zu eigen macht
Die Nationalsozialisten leiteten aus der geopolitischen Theorie des Lebensraums unter anderem im »Generalplan Ost« einen Herrschaftsanspruch gegenüber den östlich verorteten Nationen ab, die als »rassisch unterlegene Völker« angesehen wurden.
Heute wird der Ausdruck von manchen Sprechern in seiner völkisch grundierten, geopolitischen Bedeutung bewusst als Schlagwort reaktiviert.
Kollokationen:
als Akkusativobjekt: Lebensraum besiedeln, verlieren, erobern, rauben
Beispiele:
Björn
Höcke wird von seinen völkisch gesinnten Anhängern immer wieder für
Worte aus dem nationalsozialistischen Sprachgebrauch gefeiert. Begriffe
wie »Volkstod«, »Lebensraum« oder »entartet«
gehören zum Standard‑Repertoire des AfD‑Rechtsaußen. [Neue Osnabrücker Zeitung, 17.09.2019]
Er [Reinhard Heydrich, Leiter des Reichssicherheitshauptamts] berichtete
[zu Beginn der Wannseekonferenz] von
den »Auswanderungsarbeiten«, das heißt von der Vertreibung der jüdischen
Minderheit, nicht nur aus den »einzelnen Lebensgebieten des deutschen
Volkes«, sondern auch von ihrer »Zurückdrängung« aus dem gesamten
»Lebensraum«. [die tageszeitung, 20.01.1992]
In seinen Lebensraum ist der Dichter
hineingeboren als Glied eines Volkes, eines Stammes, einer Familie und
als Erbe seiner Ahnen. [Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Aufl. Berlin 1944]
Deutschland braucht 1.320.000 Quadratkilometer
Lebensraum. (…) In welcher Richtung dieses
große dritte Deutschland Boden suchen muß, ist genau nach denselben
Regeln zu lösen, als der Ausgleich eines Überdruckes in einem kleinen
Kinderballon. (…) Erst dehnt sich der Ballon immer weiter aus, bis er in
die Richtung platzt, aus der ihm der geringste Widerstand
entgegengesetzt wird. Dieser geringste Widerstand ist derzeit für uns in
östlicher Richtung gelegen. [Völkischer Beobachter, Bayernausgabe, 19. Januar 1929. In: Schmitz-Berning, Cornelia: Vokabular des Nationalsozialismus. 2. Aufl. Berlin: Walter de Gruyter 2007, S. 379]
Politik ist die Durchführung des Lebenskampfes eines Volkes um
sein irdisches Dasein. Außenpolitik ist die Kunst, einem Volke den
jeweils notwendigen Lebensraum in Größe und Güte
zu sichern. Innenpolitik ist die Kunst, einem Volke den dafür
notwendigen Machteinsatz in Form seines Rassenwertes und seiner Zahl zu
erhalten. [Hitlers Zweites Buch. Ein Dokument aus dem Jahr 1928. Eingel. u. komm. v. G. L. Weinberg, 1961. In: Schmitz-Berning, Cornelia: Vokabular des Nationalsozialismus. 2. Aufl. Berlin: Walter de Gruyter 2007, S. 379]
Landes‑ und Heimatgeschichte stehen zur Nationalgeschichte im
Verhältnis eines organischen Zusammenhangs: nach
Lebensräumen engeren und weiteren Ausmaßes,
die durch den Menschen in Siedlung und Volkstum, Wirtschafts‑ und
Gesellschaftsverfassung, Sitte und Recht, bodenständige Kunst und
Geistespflege zu Kulturlandschaften geworden sind, baut sich die Volks‑
und Nationalgeschichte als Staats‑ und Kulturnation auf. [Jahresberichte für deutsche Geschichte, 1927, S. 155]
Sie haben kein Recht, Kinder in die Welt zu setzen, kein Recht,
in glühender Vaterlandsliebe aufbauenden Gedanken an künftige Leistungen
Raum zu geben, wenn sie nicht entschlossen sind, diesen Kindern, dieser
Zukunftsarbeit den Lebensraum zu erhalten und
diesen Lebensraum wieder zu
erfechten. [Rede Karl Haushofers vor dem »Deutschen Kampfbund gegen die Kriegsschuldlüge«, 28. Juni 1924. In: Schmitz-Berning, Cornelia: Vokabular des Nationalsozialismus. 2. Aufl. Berlin: Walter de Gruyter 2007, S. 377]
d)
allgemeiner (häusliches) Umfeld, in dem man überwiegend den Alltag verbringt (und sich eingerichtet hat)
Beispiele:
»Mit zunehmender Zivilisation und Urbanisierung entdeckte man Natur als Idylle, Erholungsort, Lebensraum, vorbildliches Ordnungsmodell«, heißt es in der Ankündigung. [Landshuter Zeitung, 05.06.2021]
Durch Homeoffice und Homeschooling verbringen die Menschen aktuell mehr Zeit zu Hause. Es wird häufiger am heimischen Herd gekocht und die Küche als ganzheitlicher Lebensraum genutzt. Vorrangig geht es um Komfort, Funktionalität und Wohnlichkeit. [Saarbrücker Zeitung, 29.04.2021]
Die Urbanisierung des Lebensraumes schreitet fort – Architektur ist omnipräsent und eine Kunstform. [Fränkischer Tag, 05.08.2019]
[…] S‑Bahnen und erst recht Intercity‑Züge [sind] längst keine Verkehrsmittel mehr, sondern Lebensräume, in denen der Mensch einen Großteil seiner privaten und beruflichen Pflichten erledigt. [Süddeutsche Zeitung, 29.10.2016]
Ähnlich wie […] Couchgarnitur oder Sitzecke ist die Küche heute Lebensraum wie Showbereich gleichermaßen. [Leipziger Volkszeitung, 27.10.2007]
Unser großes Zimmer mit dem Erker, eigentlich ein Saal, der sich das nur in seiner heiteren Würde nicht anmerken ließ, war der festliche Lebensraum meiner Kindheit: hier wurde gespielt, gelernt, geschmaust, hier brieten winters Äpfel am Ofen und abends saß man um den runden Tisch, den Vater vom Burgtheater erzählen zu hören, hier lag man sommers im Fenster und ließ die Stadt vorbeispazieren. [Bahr, Hermann: Selbstbildnis. Berlin 1923]
2.
veraltend Zeit, Dauer, Spanne eines ganzen Lebens oder eines Lebensabschnitts
Beispiele:
Der frei gestaltete, an keiner Gegenständlichkeit orientierte
Hintergrund [der Bilds] entspricht dem Chaos
des Lebens, dem Auf und Ab der Schicksalsschwünge, dem großen Rauschen, dem
alle hier gezeigten Personen ausgesetzt sind. Zugleich deutet es auf das
große Unbekannte hin, dem der Lebensraum durch den
Tod ausgesetzt ist, der ihn in eine nur ahnungsvoll wahrnehmbare
übersinnliche Sphäre verwandelt. [Brasilea, 29.03.2023, aufgerufen am 29.08.2023]
In den letzten Strophen heißt es: »Es wird vielleicht auch noch die
Todesstunde uns neuen Räumen jung entgegen senden, des Lebens Ruf an uns
wird niemals enden … Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!« Hermann
Hesse hat dieses Gedicht im Sinne einer möglichen Reinkarnation verstanden,
die dem Menschen auch nach seinem Lebensende neue Lebensstufen und
Lebensräume eröffnet. [Wiedergeburt gefällig?, 11.01.2013, aufgerufen am 14.06.2023]
[…] mit
zunehmendem Alter [erinnert man sich] immer
mehr an die Kindheit, die ja Spuren hinterlassen hat. […]
B[…] schildert in einzelnen Skizzen ein
Stück deutscher Geschichte, fokussiert auf den
Lebensraum seiner Kindheit: Wie bürgerliche
Regeln ihren Wert verlieren, wie Maßstäbe sich verändern, wenn es ums
Überleben geht. [Südkurier, 22.08.2012]
Bei der Premiere von »Podium uff’m Wald« am Freitagabend äußerten
sich Eltern, Erzieherinnen und Lehrer zum Stand der Kindheit in der heutigen
Zeit. […]
»Gibt es die Kindheit als geschützten Lebensraum
noch?«, fragte [der Moderator der Gesprächsrunde]
[…] zum Auftakt. [Badische Zeitung, 19.01.2009]
Es ist zwar ein lächerliches aber wirksames Hilfsmittel, wenn man
den Tod will verachten lernen, sich die Menschen zu vergegenwärtigen, welche
mit aller Inbrunst am Leben hingen. Denn was war ihr Loos, als dass sie zu
früh starben? Begraben liegen sie Alle[…]. – Wie
klein ist dieser ganze Lebensraum, und unter wie viel
Mühen, mit wie schlechter Gesellschaft, in wie zerbrechlichem Körper wird er
zurückgelegt! [[o. A.]: Mark Aurel’s Meditationen. 3. Aufl. Breslau: Eduard Trewendt 1875]
letzte Änderung:
Zum Originalartikel des WDG gelangen Sie hier.
Bedeutungsverwandte Ausdrücke
Biologie
Biotop ·
Lebensraum
Assoziationen |
|
Habitat ·
Lebensraum
Assoziationen |
|
Biologie,
Geografie
Biosphäre ·
Lebensraum
Assoziationen |
|
Typische Verbindungen zu ›Lebensraum‹ (berechnet)
Detailliertere Informationen bietet das DWDS-Wortprofil zu ›Lebensraum‹.
angestammt
artenreich
besiedeln
bevorzugt
Erhaltung
feucht
Freileitung
geeignet
ideal
Laichgebiet
Lebensstätte
marin
Nahrungsgrundlage
Nahrungshabitat
Nahrungsquelle
naturnah
Naturschutzgebiet
natürlich
Regenwald
Rückzugsgebiet
schutzwürdig
Trockenrasen
urban
Wald
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wertvoll
Wildtier
zerstören
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