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apolitisch |
Adj., seit Anfang 17. Jh. selten, erst seit frühem 20. Jh. häufiger
nachgewiesene, aus dem Negationspräfix → a-2 und → politisch gebildete
Kombination (vgl. jedoch schon griech. ἀπολιτικός ‘zu Staatsgeschäften
ungeschickt’), im 18. Jh. vereinzelt in der latinisierten Form
apoliticus.
Bildungsspr. verwendet in der Bed. ‘keine Kenntnisse,
Erfahrungen im politischen Bereich aufweisend, besitzend’, dann insbes. ‘ohne
Interesse an Politik, politischem Geschehen; politischen Angelegenheiten,
Ereignissen gleichgültig, passiv, teilnahmslos, apathisch gegenüberstehend; ohne
jede politische Motivation (handelnd)’, z. B. völlig apolitisch sein, ein
apolitischer Mensch, eine apolitische Tat ‘Tat ohne politisches Motiv’, auch
für ‘nicht politisch, unpolitisch’, z. B. ein apolitisches Theaterstück;
im 19./20. Jh. vereinzelt die subst. Ableitungen Apolitie und
Apolitismus ‘apolitische Haltung’.
Belege
Guarinonius 1610 Greuel 1329
Ja schaemen sich vil tausent jetzige
Maul-Christen jhrer verdampten . . Apolitischen Weisz;
Zedler 1732
Universallex. II 858
Apoliticus homo, der nicht weiß, wie man dem Regimente
vorstehen kan;
Mendelssohn-Bartoldy 1869 Br. 14
hat sich das Bild
Mendelssohns aus seinen späteren Lebensjahren als das eines apolitischen
Künstlers befestigt;
Vischer 1879 Auch Einer II 397
Das Christentum ist
an sich eine apolitische Religion;
Dombrowski 1919 System I 292
Herr von
Kühlmann, dem man galante Damenabenteuer zum Vorwurf machen wollte, hatte nicht
bloß mit einem moralischen Unterrock oder zweien als Widerständen zu rechnen,
sondern auch mit andern apolitischen Faktoren, realen „Imponderabilien“, deren
Bismarck noch immer Herr zu werden verstanden hatte;
Masing 1924–26
Dtschbalt. Gemeinschaftsschelten 402
der apolitische . . Sinn des
Deutschbalten;
Th. Mann 1930 Reden u. Aufs. (W. X 304)
sie wollen uns auf
die Seele, das Dichterische, die reine Anschauung, das Gemüt, die apolitische
Einfalt festlegen;
ders. 1938 Reden u. Aufs. (W. IX 565)
aber seine
apolitische-antipolitische, id est konservative Gesinnung wurzelt
selbstverständlich tiefer, sie ergibt sich aus seiner Philosophie;
Dtsch. AZ.
28. 6. 1944
Das Rom von heute hat . . fast keine politische Haltung, weder
in Pro noch in Contra. Es ist apolitisch;
Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W.
XII 257)
Partei genommen hat, wenigstens einmal, auch der apolitische
Goethe: als er nämlich zu Eckermann sagte, jeder vernünftige Mensch sei ein
gemäßigter Liberaler;
Schmid 1957 Aufs. 46
[er war] zu einem Exponenten
des apolitischen Gelehrten-Typus bestimmt;
Manstein 1958 Soldatenleben 81
Anm.
der a-politische Soldat;
Jaspers 1958 Atombombe 67
Gandhis
Politik steht im Gegensatz . . zur uralten apolitischen Lebensweise des
indischen Asketen;
ebd. 266
der Forscher ist als solcher apolitisch;
Brügge 1971 Wir wollen o. S.
unabhängig voneinander träumen apolitische
Radikale der deutschen Scene diese Utopie einer Gegengesellschaft;
Saarbr.
Ztg. 7. 12. 1979
weil es keinen apolitischen Umgang mit Geschichte geben
kann;
Zeit 4. 1. 1985
Reagans große Leistung besteht darin, daß er die
Vereinigten Staaten noch apolitischer gemacht hat, als sie ohnehin schon waren;
ebd. 5. 4. 1985
Neutralisten sind unrealistisch, illusionär,
leichtsinnig, irrational, verträumt, apolitisch;
ebd. 27. 9. 1985
seine
Erfolge mit „Hör zu“, . . und „Bild“ beruhten geradezu auf seiner fast
apolitischen Verlegerstrategie;
ebd. 4. 10. 1985
die Gewalt der Chaoten
in der Bundesrepublik ist apolitisch, sie kreist in sich;
ebd.
29. 8. 1986
Samuel Fischer war als Jude ein typischer Deutscher: ein
apolitischer;
ebd. 5. 12. 1986
die Unbeholfenheit des erklärtermaßen
politikfernen Künstlers („ich bin apolitisch: ich fühle mich nur als Mensch auf
der Erde“).
1841 (Scheidler, Jen. Bl. II 151)
Apolitie;
Schmid 1957 Aufs. 52
Nationen wie Deutschland, Frankreich oder
Italien vermögen die Apolitie der Eliten einigermaßen
auszuhalten.