Angemessene Vorkehrungen
Als Arbeitgeber müssen Sie laut EU-Vorschriften angemessene Vorkehrungen für Arbeitnehmer*innen mit Behinderungen treffen. Etwaige Anpassungen und damit verbundene Kosten müssen realistisch sein und dürfen für Ihr Unternehmen nicht zu einem unverhältnismäßigen Mehraufwand führen.
Was als verhältnismäßig angesehen werden kann, hängt von der Größe und der Anpassungsfähigkeit Ihres Unternehmens, sowie den finanziellen und sonstigen Kosten (z. B. damit einhergehendem Zeitaufwand des Personals, Auswirkungen auf die Produktivität oder Unterbrechungen) und etwaigen öffentlichen Mitteln oder sonstiger Unterstützung in Ihrem Land ab. Viele Anpassungen können kostenfrei vorgenommen werden.
Was ist unter angemessenen Vorkehrungen zu verstehen?
Angemessene Vorkehrungen sind alle Veränderungen an einem Arbeitsplatz oder einem Arbeitsumfeld, die erforderlich sind, damit ein Mensch mit einer Behinderung sich bewerben, arbeiten, beruflich vorankommen und sich weiterbilden kann.
Alle Arbeitnehmer*innen mit Behinderung haben das Recht auf angemessene Vorkehrungen. Dieses Recht erstreckt sich vom Bewerbungsverfahren bis zur Beendigung ihres Arbeitsvertrags auf alle arbeitsbezogenen Tätigkeiten, die unter das EU-Recht fallen – auch auf Arbeitsbedingungen und Zusatzleistungen.
Fallbeispiel
Carlos, ein begabter Softwareentwickler, erhielt eine erschütternde Diagnose, die seine bisherige Arbeitsfähigkeit beeinträchtigte. Sein*e Vorgesetzte*r passte seinen Aufgabenbereich an und ermöglichte ihm flexible Arbeitszeiten und die Arbeit von zu Hause aus. Zudem stellte das Unternehmen ergonomische Arbeitsausrüstung bereit und passte seine Aufgaben an seine Stärken an. Aufgrund dieser angemessenen Vorkehrungen konnte Carlos weiterhin erfolgreich arbeiten und wertvolle Erkenntnisse in das Team einbringen.
Formen angemessener Vorkehrungen
Unterstützende Technologien
Mithilfe von unterstützenden Technologien können Arbeitnehmer*innen mit Behinderungen ihre Aufgaben effizient und eigenständig erledigen, da sie dazu beitragen, körperliche, sensorische oder kognitive Einschränkungen zu überwinden.
Beispiele:
- Bildschirmleser für Arbeitnehmer*innen mit Sehbehinderung.
- Speech-to-Text-Software für Menschen mit Bewegungseinschränkungen, die ihre Hände betreffen.
- Hörgeräte oder technische Hörhilfen für Arbeitnehmer*innen mit Hörbehinderungen.
- Ergonomische Tastaturen und Mäuse für Menschen mit Verletzungen durch wiederholte Belastung.
Fallbeispiel
Ein großes deutsches Gesundheitsunternehmen mit 3 400 Mitarbeiter*innen und mehreren angegliederten Krankenhäusern traf angemessene Vorkehrungen für eine Krankenpflegerin mit einer Hörbehinderung. Dazu wurde ein erweitertes Signalsystem mit visuellen Warnsignalen auf der Pflegestation und in den Fluren sowie ein Funksignalsystem für Infusionspumpen installiert. Außerdem wurde ein neues drahtloses Telefon mit Lautstärkeregelung, Vibration, Blinklichtanzeige und Bluetooth-Verbindung zu den Hörhilfen der Pflegerin installiert. Diese Maßnahmen ermöglichten es der Pflegerin, ihren Aufgaben auf der Kinderkrebsstation trotz ihrer Hörbehinderung effektiv nachzugehen.
Persönliche Assistenz
Persönliche Assistenz kann Arbeitnehmer*innen mit Behinderungen einerseits bei für sie schwierigen Aufgaben helfen und andererseits sicherstellen, dass sie ihre Aufgaben wirksam erfüllen können.
Beispiele:
- Gebärdendolmetscher*innen während Sitzungen für gehörlose Mitarbeiter*innen.
- Ein Jobcoach, der Menschen mit kognitiven Behinderungen vor Ort bei Schulungen und dem Aufgabenmanagement unterstützt.
Fallbeispiel
In Portugal konnte ein multinationales Energieunternehmen einen autistischen Computeringenieur einstellen, indem es umsichtige Vorkehrungen traf. In der Einarbeitungsphase wurden ein geeigneter Arbeitsbereich und ein geeignetes Team ausgewählt sowie Sitzungen zur Sensibilisierung der Führungskräfte und Mitarbeiter*innen abgehalten. Sie stellten dem Arbeitnehmer auch Kopfhörer mit Geräuschunterdrückung zur Verfügung, um abrupte oder laute Geräusche, die störend sein könnten, so gering wie möglich zu halten. Dank dieses Ansatzes wurden die einzigartigen Herausforderungen und Stärken des Ingenieurs berücksichtigt, sodass er sich sinnvoll einbringen konnte. Mit minimalen Anpassungskosten gewann das Unternehmen so einen qualifizierten Mitarbeiter, bewies soziales Verantwortungsbewusstsein und förderte ein inklusiveres Arbeitsumfeld.
Anpassung des Arbeitsbereichs
Die Anpassung des physischen Arbeitsbereichs kann Barrieren beseitigen und ein inklusives Umfeld schaffen, das den Bedürfnissen von Arbeitnehmer*innen mit Behinderungen gerecht wird.
Beispiele:
- Höhenverstellbare Schreibtische oder Arbeitsplätze für Mitarbeiter*innen in Rollstühlen.
- Breite Türrahmen, um die Verwendung von Mobilitätshilfen zu ermöglichen.
- Einbau von Rampen oder Aufzügen für Arbeitnehmer*innen, die keine Treppen benutzen können.
- Die Zugänglichkeit von Gemeinschaftsbereichen wie Küchen und Toiletten gewährleisten.
Fallbeispiel
In Belgien hat das Gericht des öffentlichen Sektors einem Richter, der seit einem Skiunfall querschnittsgelähmt ist, einen angepassten Arbeitsbereich in seiner Wohnung bereitgestellt. So konnte er mehrere Tage pro Woche von zu Hause aus arbeiten. Weitere Vorkehrungen umfassten flexible Arbeitszeiten und finanzielle Unterstützung für Änderungen am Arbeitsplatz. Durch diese Maßnahmen konnte der Richter seine Arbeit wieder aufnehmen, einen wesentlichen Beitrag leisten und dabei eine gleichberechtigte Stellung gegenüber seinen Kolleg*innen wahren. Dieser Ansatz im öffentlichen Sektor in Belgien ermöglichte es einem erfahrenen Richter, seinen Arbeitsplatz zu behalten, zeugte von einem Engagement für Inklusion und Vielfalt und ist ein Präzedenzfall für angemessene Vorkehrungen im öffentlichen Sektor mit moderaten Anpassungskosten.
Flexible Arbeitszeiten
Durch flexible Arbeitszeiten können Arbeitnehmer*innen ihre Tätigkeit nach ihrem Gesundheitszustand, ihren Behandlungsplänen oder ihren Kräften ausrichten und so ihre Produktivität und Arbeitszufriedenheit erhalten.
Beispiele:
- Gewährung eines flexiblen Arbeitsbeginns und -endes für Arbeitnehmer*innen, die Arzttermine wahrnehmen müssen oder aufgrund ihres Zustands schwankende Energiepegel haben.
- Angebot einer komprimierten Arbeitswoche (z. B. vier 10-Stunden-Tage), um die Anzahl der Pendeltage zu verringern.
- Die Möglichkeit von Teilzeitarbeit oder Jobsharing für Arbeitnehmer*innen, die keine Vollzeitarbeit leisten können.
Fallbeispiel
In Kroatien stellte ein großes Telekommunikationsunternehmen eine Mitarbeiterin ein, die sich für ihr Kind mit mehrfacher Behinderung einsetzt. Das Unternehmen bot ihr flexible Arbeitszeiten an und förderte ein kollegiales Arbeitsumfeld, um ihr dabei zu helfen, berufliche und persönliche Pflichten miteinander zu vereinbaren. So konnte sie weiterhin hervorragende Arbeit leisten und sich gleichzeitig um ihr Kind kümmern. Das Unternehmen behielt eine hoch qualifizierte IT-Fachkraft mit zwanzigjähriger Erfahrung, stärkte seinen Ruf als inklusives Unternehmen und erlangte Anerkennung als einer der Arbeitgeber des Jahres für Menschen mit Behinderungen. Die Kosten waren minimal bis moderat und umfassten hauptsächlich die Bemühungen des Managements, ein flexibles und unterstützendes Umfeld zu schaffen.
Flexible Aufgabenregelungen
Eine Anpassung der Aufgabenzuteilung oder -abwicklung kann Arbeitnehmer*innen mit Behinderungen helfen, effektiver zu arbeiten, indem die Aufgaben auf ihre Fähigkeiten abgestimmt werden.
Beispiele:
- Umstrukturierung des Arbeitsplatzes, um nebensächliche Aufgaben, die Arbeitnehmer*innen mit einer Behinderung nicht ausführen können, auf andere Teammitglieder zu verteilen.
- Ermöglichung von Telearbeit oder Fernarbeit für Arbeitnehmer*innen, die Schwierigkeiten mit dem Pendeln haben oder aufgrund einer Überempfindlichkeit gegenüber Reizen eine ruhige Umgebung benötigen.
- Änderung der Arbeitsaufgaben zugunsten der Stärken und Fähigkeiten, z. B. Übertragung von vorwiegend auditiven Aufgaben auf sehbehinderte Arbeitnehmer*innen.
Fallbeispiel
In Litauen führte ein Hotel in Vilnius eine Job-Carving-Strategie ein, um Menschen mit verschiedenen Behinderungen, die Schwierigkeiten mit den traditionellen Aufgaben in Hotels haben könnten, gerecht zu werden. Dieser Ansatz beinhaltete die Anpassung der Arbeitsaufgaben auf der Grundlage individueller Bewertungen, um die besonderen Fähigkeiten von Arbeitnehmer*innen mit Behinderungen zu fördern. Mit diesem Vorgehen wurden ihre Produktivität und Arbeitszufriedenheit maximiert und die Vielfalt und Integration am Arbeitsplatz gestärkt. Durch die Nutzung der einzigartigen Kompetenzen dieser Arbeitnehmer*innen konnte das Hotel spezialisierte Rollen effektiv besetzen, die Vielfalt am Arbeitsplatz fördern und sein Engagement im Bereich der sozialen Verantwortung unterstreichen. Die anfänglichen Kosten für die individuellen Bewertungen und das Job-Carving waren minimal bis moderat und wurden durch die Vorteile einer effektiveren Besetzung der Stellen ausgeglichen.
Siehe auch:
Umsetzung angemessener Vorkehrungen in die Praxis – Leitfaden für vielversprechende Vorgehensweisen
Weitere Informationen und Zugang zu nationalen Portalen finden Sie unter: Gleichbehandlung am Arbeitsplatz.
Nachstehend finden Sie länderspezifische Informationen.