Als würde es mit den Impfungen nicht schon genug Herausforderungen geben: Am Montag trat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vor die Presse und verkündete, dass die Impfungen mit dem Mittel von AstraZeneca in Deutschland bis auf Weiteres pausiert werden. Als reine Vorsichtsmaßnahme.

Er folgte damit einer Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI). Das berichtet von einer auffälligen Häufung einer speziellen Form sehr seltener Hirnvenenthrombosen in Verbindung mit einem Mangel an Blutplättchen und Blutungen. Diese Blutgerinnsel traten bei sehr wenigen Personen auf, die zuvor den AstraZeneca-Impfstoff erhalten hatten. Ob ein direkter Zusammenhang besteht, müsse nun geprüft werden.

Die Europäische Arzneimittel-Agentur (Ema) ist dafür zuständig. Nach Angaben von Ema-Direktorin Emer Cooke werde das zuständige Gremium PRAC die Fälle bis Donnerstag überprüfen. Expertinnen und Experten für Embolien sollten bei einer Einschätzung helfen, wie wahrscheinlich die beobachteten Thrombosen mit der Impfung zusammenhängen.

Was bislang zu den Fällen bekannt ist, wie groß die Sorge über den Impfstoff ist und was nun untersucht wird – Antworten auf wichtige Fragen.

Kann ich diesem Impfstoff noch vertrauen?

Schon in den vergangenen Tagen hatten Meldungen über einen Impfstopp in mehreren Ländern viele Menschen an der Güte des Impfstoffs von AstraZeneca zweifeln lassen. Noch immer ist richtig, dass der Impfstoff an Millionen verimpft wurde, ohne dass schwere oder lebensbedrohliche Nebenwirkungen aufgetreten sind. Studien bescheinigen dem Mittel bislang ausreichend Sicherheit und Wirksamkeit. "Für die Aller-, Aller-, Aller-, Allermeisten besteht kein Risiko, aber ein Zusammenhang kann nicht ausgeschlossen werden, deshalb treffen wir jetzt diese Entscheidung", sagte Gesundheitsminister Jens Spahn auf einer Pressekonferenz am Montag. Auch Ema-Direktorin Cooke betonte während der Pressekonferenz am Dienstag, dass die Vorteile des Impfstoffs als Schutz vor Covid-19 weiterhin überwögen.

Zuvor war es die etwas geringere Wirksamkeit im Vergleich zu anderen Corona-Impfstoffen, die dazu führte, dass sich einige Menschen nicht mit dem Mittel des britisch-schwedischen Pharmaunternehmens impfen lassen wollten. Die Rede war zudem von häufigeren Impfreaktionen, zudem irritierte es, dass dieser Impfstoff in Deutschland zuerst nicht für ältere Menschen zugelassen wurde, weil die Datenlage anfangs zu dünn war. Seit wenigen Tagen nun gibt es Meldungen über Fälle von Blutgerinnseln, also Verstopfungen in Blutgefäßen, die zeitlich nach der Impfung aufgetreten sind. Nun kommen Meldungen über Hirnvenenthrombosen dazu. 

Dennoch betonen Experten: Es handle sich um einzelne Fälle unter Millionen von Geimpften. Zudem gebe es bisher keinen Hinweis dafür, dass es zwischen der Impfung und den Thrombosen einen Zusammenhang gebe. Das sagten Experten bereits vergangene Woche dem Science Media Center. 

"Um das Vertrauen in den Impfstoff zu erhalten, müssen wir unseren Expertinnen und Experten in Deutschland und der Europäischen Union jetzt die Zeit geben, die jüngsten Vorfälle zu überprüfen", sagte Spahn am Montagnachmittag. Auch die Frage sei zu klären, ob der Nutzen der Impfung überwiege, denn es sei klar: "Auch Nichtimpfen hat schwerwiegende gesundheitliche Folgen."

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Millionen Menschen sind geimpft, ohne negative Folgen. Warum jetzt der Impfstopp?

Noch vergangenen Donnerstag hatte das PEI in einer Pressemeldung erklärt, dass es in Deutschland insgesamt elf Meldungen über unterschiedliche thromboembolische Ereignisse bei etwa 1,2 Millionen Impfungen gebe. Damit sahen die Experten weder eine Häufung von Gerinnseln im Vergleich zur Normalbevölkerung, noch konnten sie Hinweise finden, dass die Impfung selbst die Ursache für die Ereignisse war. Wichtig ist: Diese Hinweise gibt es nach wie vor nicht. 

Im Vergleich zum Stand vom 11. März seien dem Paul-Ehrlich-Institut mit Stand 15. März allerdings weitere Fälle in Deutschland gemeldet worden. Dabei handelt es sich, anders als zuvor, um Hirnvenenthrombosen. "Bis jetzt gibt es sieben berichtete Fälle, die in Zusammenhang mit einer solchen Hirnvenenthrombose stehen können oder auch stehen bei mittlerweile über 1,6 Millionen Impfungen in Deutschland", sagte Spahn. "Es geht um ein sehr geringes Risiko, aber falls es tatsächlich in einem Zusammenhang mit der Impfung stehen sollte, um ein überdurchschnittliches Risiko", erklärte der Gesundheitsminister in der Pressekonferenz zum Impfstopp.

*Zu erwarten gewesen wäre in einem Zeitraum von 14 Tagen ungefähr ein Fall, gab das PEI in einer später veröffentlichten Mitteilung bekannt. Diese Einschätzung geht aus einer sogenannten Observed-versus-Expected-Analyse hervor. Dabei vergleichen Expertinnen und Experten verschiedener Fachrichtungen die gemeldeten Verdachtsfälle nach Impfungen mit den Krankheiten und Symptomen, die sonst ohne Impfung in der Bevölkerung beobachtet werden. Wird ein Krankheitsbild nach der Impfung häufiger beobachtet, als es statistisch zu erwarten wäre, handelt es sich um ein Risikosignal, das anschließend genauer untersucht wird. In diesem Fall wurden sieben Fälle beobachtet, die zwischen vier und 16 Tagen nach der Impfung auftraten, was das PEI dazu veranlasste, weitere Untersuchungen einzuleiten.

*Diesen Teil haben wir nachträglich ergänzt.

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Was ist eine Hirnvenenthrombose und wie häufig ist sie?

Laut PEI geht es dabei um eine spezielle Form von Hirnvenenthrombosen, genannt Sinusvenenthrombosen. Damit sind Blutgerinnsel in den großen venösen Gefäßen im Gehirn gemeint. Solche Sinusvenen transportieren sauerstoffarmes Blut aus dem Kopf in Richtung Herz. Wenn die Venen durch Gerinnsel so stark verstopft sind, dass das Blut nicht schnell genug abfließen kann, kann der Druck im Gehirn ansteigen. "Die typischen drei Symptome sind Kopfschmerzen, Krampfanfälle und neurologische Ausfälle", erklärt Olav Jansen, Direktor der Klinik für Radiologie und Neuroradiologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel. Dazu gehören zum Beispiel Sehstörungen, in späteren Stadien können auch Lähmungserscheinungen auftreten. Häufig gehen die Beschwerden mit Übelkeit einher. In seltenen Fällen können Sinusvenenthrombosen zu einem Schlaganfall führen. Sie sind verantwortlich für etwa 0,5 Prozent aller Schlaganfälle (Lancet Neurology: Bousser & Ferro, 2007).

*Diese Thrombosen kommen normalerweise selten vor, häufig findet man in der Literatur Angaben im Bereich von zwei bis fünf Fällen pro eine Million Menschen pro Jahr. Es gibt allerdings auch Studien, die von einer deutlich höheren Hintergrundinzidenz ausgehen. Ein Forschungsteam kam für die Niederlande etwa auf 13,2 Fälle pro Million Menschen und Jahr (Stroke: Coutinho et al., 2012). In einer Studie aus Australien berichten die Autorinnen und Autoren von 15,7 Fällen pro Million Menschen und Jahr (Stroke: Devasagayam et al., 2016). "Die gemeldete Inzidenz war bei Personen unter 50 Jahren höher als bei Personen über 50 Jahren", sagte Paul Hunter von der Norwich School of Medicine dem britischen Science Media Center. Es könne daher sein, dass die geschätzte Hintergrundinzidenz von zwei bis fünf Fällen pro Million Menschen und Jahr eine Unterschätzung um das Vier- bis Achtfache darstelle.

Am höchsten ist das Risiko für Menschen um die 30 Jahre, Frauen erkranken häufiger als Männer. Hirnvenenthrombosen können verschiedene Ursachen haben. "Meistens sind es äußere Einflüsse wie zum Beispiel ein Tumor, Entzündungen im Bereich des Kopfes, oder ein Bluterguss nach einem Schädel-Hirn-Trauma, die solche Thrombosen auslösen können", sagt Jansen. Möglich sei aber auch eine Störung im Gerinnungssystem. Insgesamt seien die Fälle aber extrem selten. Auch hormonelle Verhütung mit der Pille stellt einen Risikofaktor für Hirnvenenthrombosen dar.

*Wichtig ist, Hirnvenenthrombosen und Beinvenenthrombosen zu unterscheiden. Letztere sind mit etwa ein bis drei Fällen pro 1.000 Menschen und Jahr deutlich häufiger. Noch am 11. März hatte das PEI selbst diese Zahl als Vergleichswert herangezogen, nachdem allgemein von "thrombembolischen Ereignissen" bei Geimpften berichtet wurde. Der Impfstopp aber basiert nun auf sieben neuen Meldungen, die speziell in Verbindung mit Hirnvenenthrombosen stehen, in drei Fällen sind die Personen offenbar daran verstorben.

"Hirnvenenthrombosen sind gegenüber Beinvenenthrombosen ein ernst zu nehmendes Krankheitsbild", sagt der Chefarzt der Infektiologie der München Klinik Schwabing, Clemens Wendtner. Erkenne man die Gerinnsel früh genug, könne man sie normalerweise erfolgreich behandeln, indem man sie beispielsweise medikamentös auflöst. Der Mediziner könne die Entscheidung des PEI nachvollziehen, die Fälle zunächst weiter untersuchen zu wollen. "Jetzt muss man die Daten sehr gut verfolgen, analysieren und abwägen", sagt Wendtner.

*Diese Absätze haben wir nachträglich ergänzt.

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Wer ist erkrankt und wie schwer?

Sechs der sieben betroffenen Personen sind Frauen im Alter zwischen 20 und 50 Jahren. Bei ihnen trat eine Sinusvenenthrombose auf, wobei gleichzeitig ein Mangel an Blutplättchen festgestellt wurde. Ein weiterer Fall, bei dem ebenfalls Blutplättchenmangel, Thrombosen und Hirnblutungen aufgetreten waren, sei klinisch sehr ähnlich, schreibt das PEI. Drei der sieben Personen verstarben.

Im Moment ist unklar, ob Impfung und die beschriebenen Sinusvenenthrombosen unmittelbar zusammenhängen. Theoretisch könnte der Mangel an Blutplättchen auf eine sogenannte Verbrauchskoagulopathie hindeuten, "auch wenn dies zu diesem Zeitpunkt spekulativ bleibt und weitere Untersuchungen abgewartet werden müssen", sagt der Mediziner Wendtner. Das bedeutet: Wenn sich in den Sinusvenen Blutgerinnsel bilden, kann es dazu kommen, dass dabei Bestandteile des Blutes verbraucht werden, die für die Gerinnung nötig sind. Dazu gehören verschiedene Proteine, aber eben auch Blutplättchen. Ob dies bei den gemeldeten Verdachtsfällen nach der Impfung der Fall gewesen sei, sei Spekulation, sagt Wendtner. "Die Ergebnisse der Untersuchungen müssten abgewartet werden."

Dass Hirnvenenthrombosen und Thrombozytenmangel gemeinsam auftreten, ist eher untypisch. Es könnte dafür gesorgt haben, dass die vorliegenden Fälle besonders schwer zu behandeln waren. Normalerweise versucht man ein Blutgerinnsel mit gerinnungshemmenden Mitteln aufzulösen. Wenn aber Blutplättchen fehlen und es in der Folge eine erhöhte Blutungsneigung gibt, muss man hierbei besonderes vorsichtig sein, um keine schwerwiegenden und lebensbedrohlichen Blutungen auszulösen.

*Dieses Kapitel haben wir nachträglich ergänzt.

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Müssen bereits Geimpfte etwas beachten?

Das Paul-Ehrlich-Institut schreibt aktuell auf seiner Website, dass sich Personen, die den Impfstoff von AstraZeneca erhalten haben und sich mehr als vier Tage nach der Impfung zunehmend unwohl fühlen, unverzüglich in ärztliche Behandlung begeben sollten. Etwa, wenn Geimpfte starke und anhaltende Kopfschmerzen haben oder punktförmige Hautblutungen auftreten. PEI-Präsident Cichutek sagte, das treffe vor allem auf Personen zu, die innerhalb der letzten vier bis 16 Tage geimpft wurden und bei denen die normalen Impfreaktionen eigentlich abgeklungen sein sollten. Für Personen, deren erste Impfung schon mindestens 16 Tage her sei, könne er aber "Entwarnung geben".

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Was passiert jetzt mit der Impfkampagne?

Vorerst wird in Deutschland niemand mehr mit dem Impfstoff von AstraZeneca geimpft – und zwar bis zum Abschluss der Bewertung durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (Ema) am Donnerstag. Aktuell untersucht und analysiert die europäische Behörde die aufgetretenen Fälle.

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In Großbritannien wurde bislang am häufigsten mit AstraZeneca geimpft. Wurde dort eine ungewöhnliche Häufung von Thrombosen beobachtet?

Nein. Bis zum jetzigen Zeitpunkt haben etwa 9,7 Millionen Britinnen und Briten den Impfstoff von AstraZeneca bekommen. Dabei wurde insgesamt von vier Fällen berichtet, bei denen eine Sinusvenenthrombose im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung auftrat. Allerdings, sagte Cichutek, sei bis jetzt auch nicht explizit nach diesem Krankheitsbild gesucht worden. Zudem wurde der Impfstoff von AstraZeneca in Deutschland bislang vor allem in jüngeren Altersgruppen verimpft, vor allem auch bei Gesundheitspersonal, während in Großbritannien damit zunächst ältere Menschen geimpft wurden, die im Schnitt ein geringeres Risiko für Sinusvenenthrombosen haben.

Bevor am Montag öffentlich wurde, dass Fälle von Sinusvenenthrombosen geprüft werden, hatte AstraZeneca selbst nach einer Analyse von Impfdaten Zweifel über die Sicherheit zurückgewiesen. Sicherheitsdaten von mehr als 17 Millionen Geimpften in der EU und Großbritannien hätten keine Belege für ein höheres Risiko für Lungenembolien, tiefen Venenthrombosen und Thrombozytopenie geliefert, teilte der Konzern am Sonntag mit.

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Ist das Thromboserisiko durch die Antibabypille mit diesen Fällen vergleichbar?

Wer die Pille nimmt, hat ein erhöhtes Risiko, eine Sinusvenenthrombose zu entwickeln. Einer ärztlichen Leitlinie über diese spezielle Thromboseform zufolge lösen die hormonellen Verhütungsmittel etwa jede zehnte dieser Hirnvenenthrombosen aus (AWMF: Kurth / Weimar 2018), wobei es sich dabei immer noch um eine extrem seltene Nebenwirkung handelt. Über die Risiken der Antibabypille müssen Frauen aufgeklärt werden, bevor sie das Mittel verschrieben bekommen. Früh genug erkannt, lässt sich auch diese schwere Nebenwirkung in der Regel gut behandeln.

Die nun beobachteten Fälle sind den Pillennebenwirkungen ähnlich – aber nicht vollkommen vergleichbar. Grund ist der Mangel an Blutplättchen, der gleichzeitig mit der Thrombose auftrat. Diese Konstellation wird als Nebenwirkung der Pille normalerweise nicht beobachtet.

Sollte sich herausstellen, dass die Thrombosen mit der Impfung in Verbindung stehen, werden die zuständigen Behörden das Nutzen-Risiko-Verhältnis abwägen und eine Empfehlung abgeben, ob der Impfstoff weiterhin genutzt werden sollte. So wie es auch im Fall der Antibabypille geschehen ist.

*Dieses Kapitel haben wir nachträglich ergänzt.

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