Angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine fordert Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) eine Wiederaufnahme der Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen mit den USA. "Gerade jetzt in der Krise zeigt sich, wie wichtig der freie Handel mit Partnern in der Welt ist, die unsere Werte teilen", sagte Lindner dem Handelsblatt.

Die EU und die USA hatten bereits im Jahr 2013 Verhandlungen über das sogenannte TTIP-Abkommen aufgenommen, um den transatlantischen Handel zu erleichtern. Ende 2016 wurden die Gespräche wegen öffentlicher Proteste jedoch ausgesetzt. Besonders in Deutschland wurden rechtliche Grauzonen und eine mögliche Absenkung von Umwelt- und Verbraucherstandards kritisiert.

Lindner fordert, Ceta zu ratifizieren

"Aus den Erfahrungen mit den TTIP-Gesprächen sollten wir dabei lernen", sagte Lindner. Zudem forderte er, Deutschland solle "jetzt endlich auch das Ceta-Abkommen ratifizieren". Nachdem das Bundesverfassungsgericht diese Woche entschieden hat, dass Deutschland sich weiterhin an Ceta beteiligen darf, gebe es "keinen Grund, ein solches Abkommen mit einem befreundeten Staat wie Kanada länger aufzuhalten", sagte Linder.

Verschiedene Wirtschaftsexperten unterstützen diesen Vorschlag. Der Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) etwa, Achim Wambach, sagte dem Handelsblatt, die ökonomische Antwort auf Versorgungsengpässe und strategische Abhängigkeiten seien nicht unbedingt Renationalisierung, sondern vielmehr Diversifizierung, also der Aufbau alternativer Lieferanten.

Ähnlich äußerte sich Vincent Stamer vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). Wie Russland könne auch China als Absatzmarkt wegbrechen, für diesen Fall müsse man "schon vorher für adäquate Alternativen sorgen", sagte Stamer. Ein europäisch-amerikanisches Handelsabkommen brauche es in diesen Zeiten "dringender denn je".

VW will statt auf China verstärkt auf USA setzen

Große Unternehmen kündigten bereits an, in Zukunft stärker auf den US-amerikanischen als den chinesischen Markt setzen zu wollen. Zum Beispiel kündigte Volkswagen-Chef Herbert Diess im Handelsblatt an, dass der Marktanteil in den USA von vier auf zehn Prozent steigen solle. VW hatte sich zuletzt stark auf den chinesischen Markt orientiert.

Bereits nach der letzten US-Wahl hatten sich hierzulande die Stimmen für ein neues Freihandelsabkommen mit den USA gemehrt. Ein Ersatz für das 2016 gescheiterte TTIP-Abkommen würde Europas Stellung gegenüber China stärken, sagte etwa der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Marcel Fratzscher der Augsburger Allgemeinen im Januar 2021.

Er kritisierte zudem das Investitionsabkommen zwischen der EU und China: Eine Einigung mit China sei zwar wichtig, "aber China spielt nach den eigenen Regeln", sagte Fratzscher. Die beste Strategie für Europa sei es, "die eigenen Interessen im globalen Systemwettbewerb zu behaupten, in einer starken transatlantischen Partnerschaft".