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Kampf um die »Villa Johanna«

aus DER SPIEGEL 41/1990
Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?

Ulrich Dehnecke könnte auch anders heißen, er ist austauschbar. Der 41jährige Aachener will, wie inzwischen Hunderttausende mit ihm, den familiären DDR-Besitz zurück.

An beweiskräftigen Unterlagen fehlt es Dehnecke nicht. Als die Familie 1954 aus der DDR in die BRD wechselte, waren Pläne und Fotos des Hauses erhalten geblieben. Von seiner Mutter ist in einer Familienchronik die Geschichte des Hauses überliefert, eine sehr deutsche Geschichte.

Dehneckes Großeltern lebten vor dem Ersten Weltkrieg in Bremen. Der Großvater arbeitete als Ingenieur für die AG-Weser-Werft. Seine Großmutter schreckte die lärmende Industriewelt ab. Sie sympathisierte mit den allerorten sprießenden Naturbewegungen.

Im Harz, in frischer Waldluft, kaufte die Familie 15 Morgen, umgerechnet 37 500 Quadratmeter, Land, 1912 war die »Villa Johanna« fertig, ein Hort der Erholung für den gestreßten Großstädter. Unter Anleitung der Großmutter übten sich die Gäste in Atemgymnastik und rollten nackt durch den Morgentau - zur Freude der Dorfjugend, die durch Astlöcher im Holzzaun zusah.

In den dreißiger Jahren, als die Großmutter alt und ihre Kinder noch in der Ausbildung waren, verpachtete die Familie das »Kurheim Tanne«, _(* Mit einem alten Foto des ) _(Familienbesitzes. ) wie die »Villa Johanna« nun hieß. Die Ortschaft Tanne gab den Namen.

Daß Tanne ein paar Kilometer östlich von Braunlage liegt, wurde 1945 wichtig. Im Harz tobten die letzten Gefechte. Hitlers ehemaliger Generalfeldmarschall von Brauchitsch verschnaufte für ein paar Tage in dem Kurheim. Dann zogen die Amerikaner ein, kurz darauf die Russen. Die Grenze entstand. Das Kurheim lag in der Ostzone. Der Pächter, unter den alten Herren als Blockwart tätig, wartete die neuen nicht ab und verschwand.

Das Kurheim diente zunächst als Kinderheim, in dem ausgebombte Städter ihre Kinder für einige Zeit unterbringen konnten. Dehnecke kam 1949 im Harz zur Welt. 1952 schlossen seine Eltern einen Pachtvertrag mit der staatlichen Sozialversicherungsanstalt ab, die fortan Kranke und Rekonvaleszente zur Erholung in den Harz schickte.

An dieser Stelle der Geschichte bricht die Familienchronik des Hauses ab. Mit hohen Steuerforderungen, die ein Vielfaches der jährlichen Pacht von 5520 Mark betrugen, verjagten die DDR-Behörden Dehneckes Familie aus dem Kurheim. Die Familie zog 1954 in den Westen um.

Dorfbewohner aus Tanne erzählen, wie es weiterging. Die idyllisch gelegene Herberge machte Karriere: Die größte Massenorganisation der DDR, der FDGB, eroberte das Heim zur Erquickung der Werktätigen.

1972 schließlich griff die Partei zu. Die SED-Bezirksfürsten aus Magdeburg verlangte es nach einer standesgemäßen Erholungsstätte. Mit einem für DDR-Verhältnisse beträchtlichen Aufwand wurde das Kurheim umgebaut. Im »Erholungsheim Ernst Brandt«, wie die »Villa Johanna« nun nach einem verdienten Magdeburger Genossen hieß, konnten sich die SED-Oberen in gekachelten Bädern vom Kampf der Klassen ausruhen.

Harry Tisch und Horst Sindermann legten in Tanne eine Pause ein. Der Raumfahrer Sigmund Jähn und »der Chef von Sambia«, so erinnert sich der Dorfbäcker, betteten hier ihr Haupt. Wenn die dunklen Limousinen, meist im Dämmerlicht, zum Erholungsheim fuhren, lugten die Einwohner von Tanne mit verstohlener Neugier durch die Gardinen. Die letzte Prominente, die für Dorfgeflüster sorgte, war die Modrow-Wirtschaftsministerin Christa Luft.

Die Partei bewirtschaftete ihr Erholungsheim wie das gesamte Land. Für eine Übernachtung mit voller Verpflegung bezahlten die Genossen 6,40 Mark. So kam es, daß monatlichen Erträgen von 5000 Mark Ausgaben von 50 000 Mark gegenüberstanden.

Mithin war klar, daß nach der Wende mit dem Haus etwas passieren mußte. Das fand auch Ulrich Dehnecke, als er im Januar 1990 durch den Park strich, in dem einst seine Großmutter das Taurollen beaufsichtigt hatte.

Die erste Begegnung mit dem Erbe endete unerfreulich. Als Dehnecke mit dem Fotoapparat in der Hand in die Küche eindrang, warf ihn der Heimleiter, inzwischen vom SED- zum PDS-Mitglied gewendet, kurzerhand hinaus.

Im Februar kehrte Dehnecke zurück und meldete beim Bürgermeister in Tanne seine Ansprüche mündlich an. Zwei Monate später, inzwischen hatte die DDR gewählt, fuhr er wieder in den Harz. In Tanne amtierte ein neuer Bürgermeister - allerdings mit der alten Koalition aus CDU und SED/PDS.

Dehnecke brauchte einige weitere Besuche in der nahen Kreisstadt Wernigerode, um die Grundstücksverwaltung der DDR zu verstehen. Schließlich hatte er begriffen, daß im »Amt für Liegenschaften« und im »Liegenschaftsdienst« zwei verschiedene Akten geführt werden. In dem Amt hat die DDR pingelig notieren lassen, was mit den Hinterlassenschaften von Republikflüchtigen wie den Dehneckes geschehen ist. (Der ursprüngliche Grund dafür war, daß die DDR-Behörden auf die Rückkehr der Flüchtlinge hoffte.) Der Liegenschaftsdienst hingegen ähnelt dem westlichen Grundbuch.

Amt wie Dienst weigerten sich beharrlich, Dehnecke einen Grundbuchauszug zu zeigen, geschweige denn zu geben. Die Begründung: Nach DDR-Gesetz dürfe nur der Eigentümer oder eine Amtsperson, etwa der Bürgermeister, in das Grundbuch sehen, nicht aber, wie im Westen, jemand mit »berechtigtem Interesse«. Auf Dehneckes Einwand, daß sein Erbschein ihn doch als Eigentümer ausweise, ließen die Liegenschaftsverwalter notgedrungen durchblicken, das Kurheim sei »Volkseigentum«.

Mit dieser Auskunft hätte Dehnecke womöglich in Ruhe den 3. Oktober abgewartet. Aber er schreckte auf, als seine Späher Rumoren und neue Umbauten aus dem alten Haus meldeten: Die »Villa Johanna« der Kaiserzeit, das völkische »Kurheim Tanne«, das sozialistische »Erholungsheim Ernst Brandt« trat unter dem Namen »Parkhotel Tanneck« in die neue Zeit ein.

Dehnecke eilte nach Tanne, um die »zweite Enteignung« abzuwenden. Aber er prallte an jener ganz neuen Koalition ab, die in der DDR landauf, landab zu besichtigen ist: Die PDS liefert Informationen und Verbindungen, westdeutsche Geschäftsleute steuern die weiße Weste und Kenntnisse der doppelten Buchführung bei.

Es sind nicht die alleredelsten Ritter, die die Fackel der Marktwirtschaft nach Osten tragen. Heinz Barlmeyer machte in Bielefeld in Kiosken, als die Mauer fiel. Bald hatte er Freunde und Geschäftspartner in Magdeburg und machte dort in Kiosken. Inzwischen macht er auch in Fertiggerichten. »Tanneck«, sagt er, »ist mir empfohlen worden, als ich mal ein paar Tage ausspannen wollte.«

Während Dehnecke mit seinem Erbschein durch die Ämter wedelte, wurde Barlmeyer unternehmerisch tätig. Er pachtete für 120 000 Mark jährlich das »Parkhotel Tanneck«. Wie ein Schloßherr wieselt er durch seine neue Besitzung: Hier sollen zwei Suiten her, da wird die Veltins-Brauerei neue Möbel hinstellen, dort soll der neue Schriftzug montiert werden. Fürs erste läßt er in der Küche täglich 200 Essen kochen, die er im Nachbarort als Schulspeisung verkauft.

Ganz im Gegensatz zu dem extrovertierten Jung-Hotelier umgibt den Verpächter der wertvollen Immobilie schwer durchdringlicher Nebel. Der Hausherr des »Erholungsheim Ernst Brandt« gerät auf die Frage nach dem Eigentümer ins Schleudern: »Ja, ja, eine GmbH, Trilevus oder Trilevos heißt die«, lautet die erkennbar gequälte Auskunft der Magdeburger PDS.

Am Firmensitz des schwer benennbaren Eigners, einer Gründerzeitvilla, weisen die neueröffnete Bar mit Billardzimmer und die Videothek im zweiten Stock auf vorwärts gewandten Unternehmergeist. Auf die Trilevos GmbH, die immerhin den gesamten Immobilienbesitz der PDS in Sachsen-Anhalt verwaltet, kein Hinweis, kein Firmenschild, nichts.

Die gewendete SED hat das, was in ihrem ruinierten Land von Wert geblieben ist, sorgfältig beiseite geschafft. In aller Stille hat die alte SED-Immobiliengesellschaft Fundament ihre Reichtümer in den fünf künftigen Bundesländern auf fünf Grundstücksgesellschaften verteilt. Die Trilevos, von deren Existenz es auch im Magdeburger Handelsregister keine Spur gibt, ist eine davon. Wenn Ulrich Dehnecke Großmutterns »Villa Johanna« zurückerobern möchte, wird er mit dem scheuen Immobilienkraken vor Gericht gehen müssen.

Denn schließlich, so wiegen die Liegenschaftswächter in Wernigerode die Köpfe, hat die SED die teuren Badezimmer bezahlt. Von wessen Geld, fragt Dehnecke im Gegenzug, ihm hätten doch mindestens 5520 Mark Pacht seit 1954 zugestanden. Fragen über Fragen: Herr Barlmeyer hat inzwischen die ersten 10 000 Mark Pacht überwiesen und will wissen, wer ihm seine Umbaukosten erstattet.

Die Kreisverwaltung in Wernigerode kümmert sich um die Geschicke von etwa 100 000 der 16 Millionen DDR-Bürger. Der Fall des »Parkhotel Tanneck« ist in der kleinen Behörde einer von etwa 6000.

* Mit einem alten Foto des Familienbesitzes.

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