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Verfahren zur Herstellung unschädlicher Impfstoffe aus gifthaltigen
pathogenen Mikroorganismen. Es ist bekannt, daß man den menschlichen Organismus
gegen eine Reihe von Krankheiten dadurch immunisieren kann, daß man ihm die abgetöteten=
Erreger der betreffenden Krankheit einverleibt. Dieses Immunisierungsverfahren hat
sich besonders bei Typhus und Cholera bewährt und bei diesen zur Einführung eines
Schutzimpfverfahrens von bedeutendem Umfange geführt. Es wurden Aufschwemmungen
von abgetöteten Typhus- oder Cholerabazillen mit bestimmter Dosierung in das Unterhautbindegewebe
gesunder Menschen eingespritzt, wodurch ein namhafter Impfschutz gegen Typhus öder
Cholera erfahrungsgemäß erzeugt wurde.
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Bei der Ausführung solcher Schutzimpfung hat sich nun als Übelstand
herausgestellt, daß Typhus- und Cholerabazillen in ihrer Leibessubstanz Giftstoffe
enthalten, welche namentlich bei überempfindlichen Personen zu recht schweren örtlichen
und allgemeinen Vergiftungserscheinungen Veranlassung geben .können. Diese Vergiftungserscheinungen
bestehen einerseits in - ausgedehnten Reizerscheinungen, namentlich Schwellungen
und Rötungen, die an der Injektionsstelle auftreten, anderseits in Allgemeinerkrankungen,
die in mehr oder weniger hohem Fieber, in Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen, Gliederschmerzen
und Drüsenschwellungen bestehen. Bei einer anderen Infektionskrankheit, nämlich
der Ruhr, mußtc man wegen der Heftigkeit der eine Schutzimpfung begleitenden Vergiftungserscheinungen
sogar von der Anwendung des Schutzimpfverfahrens vollständig Abstand nehmen und
konnte an die Bekämpfung der Ruhr durch aktive Immunisierung erst denken, nachdem
es gelungen war, Methoden zur Beseitigung dieser störenden Nebenwirkungen ausfindig
zu machen. Das Ziel, eine Entgiftung der zur Schutzimpfung verwendeten Bazillen
herbeizuführen, war um so mehr erstrebenswert, als nach den gemachten Erfahrungen
die geschilderten-Vergiftungserscheinungen völlig sekundärer Natur sind und mit
dem eigentlichen Immunisierungsprozeß- gegen die betreffenden Infektionskrankheiten
nichts zu tun haben.
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Es wurde nun gefunden, daß man pathogene Mikroorganismen dadurch in
ihrer sekundären Giftigkeit herabsetzen und auf diese Art unschädliche Impfstoffe
herstellen kann, daß man die betreffenden Krankheitserreger mit kolloidaler Kieselsäure
in, innige Berührung bringt. Dies kann derart ausgeführt werden, daß man Aufschwemmungen
der betreffenden .Krankheitserreger mit löslicher Kieselsäure versetzt und die Mischung
entweder längere Zeit bei gewöhnlicher oder auch bei erhöhter Temperatur sich selbst
überläßt oder etwa 2q. Stun=-den lang in Schüttelapparaten verarbeitet: -Man hat
bereits vorgeschlagen, in flüssiger
Form zu bearbeitende Stoffe,
wie Tuberkulin, an Kieselsäure zu binden, wobei gleichzeitig ein Ausfällen der gelösten
Stoffe mit der Kieselsäure zusammen erzielt wird. Ferner ist bekannt, daß Bakteriengifte
in lebenden Organismen mit Kolloiden, z. B. Bolus alba, Kohle, unschädlich gemacht
werden können. Demgegenüber handelt es sich bei der Erfindung darum, unschädlich
wirkende Impfstoffe aus gifthaltigen pathogenen Mikroorganismen herzustellen, indem
das auswählende. Adsorp tionsvermögen der kolloidalen Kieselsäure dazu benutzt wird,
in den Bakterienzellen selbst eine Entgiftung hervorzurufen und dadurch die schädigenden
Komplexe zu binden und unwirksam zu machen oder abzuschwächen.
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Die Herstellung bakterieller Impfstoffe nach dem neuen Verfahren sei
durch folgende Beispiele erläutert I. Ruhr-Impfstoff. Ruhrbazillen, und zwar sowohl
der Bazillus dysenteriae Shiga-Kruse, als auch die Pseudo-Dysenterie-Bazillen, nämlich
der Flexnersche und Strongsche Bazillus, sowie der Dysenteriebazillus Y werden auf
festen Nährsubstanzen kultiviert und in bekannter Weise zu konzentrierten Aufschwemmungen
mit o,5 prozentiger Karbolsäurelösung verarbeitet. Diese Aufschwemmungen, deren
Keimgehalt in bekannter Weise mikroskopisch und gewichtsanalytisch festzustellen
ist, -dienen als Stammemulsionen. Zur Fertigstellung des eigentlichen Impfstoffes
werden diese Stammemulsionen zunächst einzeln mit Karbolwasser unter Zusatz von
flüssiger kolloidaler Kieselsäure verdünnt, und zwar werden zu je 0,3 mg
oder ioo Millionen abgetöteten Keimen des Bazillus dysenteriae Shiga-Kruse o,6 mg
und zu je 5oo Million(n Keimen oder 1,5 mg Pseudo-Dysenterie-Bazillen i,o mg kolloidaler
Kieselsäure hinzugefügt. Nach etwa 24stündigem Stehen und Schütteln werden alle
diese Teilmischungen vereinigt, und zwar so, daß der nunmehrige gebrauchsfertige
Impfstoff gleiche Teile des Bazillus dysenteriae Shiga-Kruse und der oben erwähnten
drei Arten der Pseudo-Dysenterie-Bazillen enthält. Die Herstellung des Impfstoffes
kann auch ohne Schütteln vor sich gehen, indem der Impfstoff nach= erfolgter inniger
Vermischung von Kieselsäure und Aufschwemmungen der Bakterien, z. B. durch längeres
Stehenlassen, fertiggestellt wird.
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Im einzelnen wurde z. B. bei einem Versuch folgendermaßen verfahren:
Je fünf große mit Agar-Agar-Nährböden beschickte Petrischalen wurden mit den oben
näher bezeichneten Dysenterie-Bazillenrassen geimpft. Im ganzen waren also 2o große
Schalen vorhanden. Nach 48stündigem Wachstum (im Brutschrank bei 37° C) wurde jede
dieser Schalen mit 22o ccm Karbolwasser abgespült. Die Aufschwemmungen jeder Bazillenart
wurden unter sich vereinigt. Man erhielt auf diese Art vier Standard= ernulsionen
von je iooo ccm, welche folgende Mengen Bazillenmassen enthielten a) 1
1-
Aufschwemmung des Bac. dys. Shiga-Kruse . . . . . . .
.... 1,5 g, b) i 1
Aufschwemmung des Bac. dys. Flexner . . . . . . . . . . . . . . . . 2,o g, c) 1
1
Aufschwemmung des Bac. dys. Y. . . . . . . . . , . . . . . . . . : . .
475 g, d) 1
1 Aufschwemmung des Bac. dys. Strong . . . . .-. . . .
. . . . . . . 1,75 g. Man fügte nun zu a) 3700 ccm Karbolwasser und
300 ccm
gelöste Kieselsäure (iprozentig), zu b) 38oo ccm Karbolwasser und 200 ccm gelöste
Kieselsäure, zu c)
3850 ccm Karbolwasser und 150 ccm gelöste Kieselsäure,
zu d)
3850 ccm Karbolwasser und
150 ccm gelöste Kieselsäure. Hierauf
wurden diese Mischungen 24 Stunden lang in einen Schüttelapparat gebracht. Nach
dieser Zeit wurde durch Kulturversuche festgestellt, daß die Bazillen durch das
Karbolwasser und die Kieselsäure abgetötet waren. Die Mischungen aller Bakterienarten
wurden hierauf vereinigt und ergaben 2o 1 fertigen Impfstoff von nachfolgender Zusammensetzung:
i ccm enthielt
0,3 mg= ioo Millionen Keime Bac. dys. Shiga-Kruse + o,6 mg
Si 02, |
0,4 mg - 200 Millionen Keime Bac. dys. Flexner . . . -f- 0,4
mg 'Si 02, |
0,3 mg- 150 Millionen Keime Bac. dys. Y. . . . . . .
. + 0;3 mg S'02, |
0,3 mg = 150 Millionen Keime Bac. dys. Strong . . . . + 0,3
mg S' 02r |
43 mg= 6oo Millionen abgetötete Dysenteriebazillen +
1,6 mg Si 02. |
Außerdem enthielt der Impfstoff
0,5 Prozent Karbolsäure.
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Daß durch die im Impfstoff enth?Lltene Menge an kolloidaler Kieselsäure
tatsächlich eine. genügende Entgiftung der Ruhrbazillen, stattfindet, wurde an Tierversuchen
festgestellt;
Es hat sich gezeigt, =daß cue.tödliche Üosis von echten
Ruhrbazille. f,@ ,r Käninchen 0,3 ccm beträgt, während die, mit. gelöster
kolloidaler Kieselsäure . . vorbehandelten - Bazillen.-selbst in einer. Dosis von-
3-Ccm-.nur - schwache Lähmunserscheinungen hervorrufen, öhneden Tod der Versuchstiere
zu veranlassen.
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Der Beweis für die Entgiftung der Pseudo-Ruhrbazillen gemäß dem Verfahren
wurde dadurch erbracht, daß Emulsionen von Pseudo-, Ruhrbazillen, die mit Kieselsäure
behandelt wurden, beim Menschen keinerlei örtliche Reizerscheinungen nach subkutaner
Einspritzung auslösten, während Emulsionen, die nicht mit Kieselsäure vorbehandelt
sind, bei der Injektion im- Unterhautzellgewebe schwere Infiltrationen und andere
Reizerscheinungen veranlaßten.
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II. Typhus-Impfstoff.
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Zur Herstellung eines Typhus-Impfstoffes wird ebenfalls das für den
Ruhr-Impfstoff beschriebene Verfahren befolgt, nur enthält der gebrauchsfertige
Impfstoff r ooo Millionen abgetötete Typhuskeime und 5 mg kolloidale Kieselsäure
in jedem Kubikzentimeter. Man kann hierbei so verfahren, daß man entweder lediglich
den gewöhnlichen Typhusbazillus verwendet oder aber in gleicher Weise einen Impfstoff
aus Para-Typhusbazillen herstellt oder auch Gemische beider Bazillenarten für die
Herstellung eines sogenannten multivalenten Impfstoffes verwendet.
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So wurden z. B. 5o große mit Agar-Agar-Nährböden beschickte Petrischalen
mit Reinkulturen des Bac. typh. abdominalis geimpft und nach üppigem Wachstum der
Bazillen mit je 12o ccm Karbolwasser abgeschwemmt. Es wurden 5 000 ccm Aufschwemmung
mit 75 g Bazillensubstanz erhalten. Durch eine gesonderte Untersuchung war festgestellt
worden, daß 3 mg Bazillensubstanz einer Keimzahl von z ooo Millionen Typhusbazillen
entsprechen. Zu den 5 ooo ccm Aufschwemmung wurden infolgedessen 17 500 ccm
Karbolwasser und 2 500 ccm einer 5prozentigen Kiesel säurelösung beigefügt.
Das Gemisch wurde 24 Stunden im Schüttelapparat verarbeitet und hierauf die vollkommene
Abtötung der Keime festgestellt. Der so erhaltene gebrauchsfertige Impfstoff enthält
in x ccm 3 mg = t ooo Millionen Keime und 5 mg kolloidaler Kieselsäure.
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Die auf diesem Wege gewonnenen Typhus-Impfstoffe unterscheiden sich
von den gebräuchlichen ohne Verwendung von Kieselsäure hergestellten Typhus-Impfstoffen
dadurch, daß sie beim Menschen auffallend geringe örtliche Reaktion auslösen (vgl.
Dr. Fritz Ditthorn und Waldemar Loewenthal »Ein multivalenter Ruhr=Impfreteff(c=
Dtsch. med. -Wochenschrift, _1917, Nr. ,3@, letzter Absatz). .. . . . . ; ,--, @_
III: Cholera- Impfstoff.-Indem in ähnlicher Weise wie bei der Herstellung des Ruhr-
oder Typhus-Impfstoffes verfahren wurde, konnte ein Impfstoff aus abgetöteten Choleravibrionen
hergestellt werden, nachdem durch Tierversuche festgestellt worden . war, daß durch
lösliche kolloidale Kieselsäure eine völlige Entgiftung von abgetöteten Cholerakeimen
herbeigeführt werden kann, und zwar wurde festgestellt, daß zur Entgiftung von z
ooo Millionen Cholerakeimen 3 mg kolloidaler Kieselsäure genügen.
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Beispielsweise wurden 50 große Petrischalen mit gut entwickelten
Choleravibrionen mit je i2o ccm Karbolwasser abgeschwemmt. Nach Vereinigung der
einzelnen Abschwemmungen wurden 5-000 ccm einer Flüssigkeit erhalten, in welcher
50 g Bazillenmasse enthalten waren. Durch eine gesonderte Untersuchung wurde
festgestellt, daß 2 mg Bazillenmasse einer Keimzahl von x ooo Millionen Choleravibrionen
entsprechen. Infolgedessen wurden zu 5 000 ccm Aufschwemmung 18
500 ccm Karbolwasser und z 500 ccm einer 5 prozentigen Kieselsäurelösung
hinzugefügt. Nach 24stündiger Verarbeitung im Schüttelapparat und nach der Feststellung
der Abwesenheit von lebenden Keimen enthält der gebrauchsfertige Impfstoff in z
-ccm z ooo Millionen abgetötete Keime und 3 mg kolloidale Kieselsäure.
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Die nach dem Verfahren entgifteten Bazillen besitzen, wie durch Agglutinierungsversuche
'am Blute behandelter Tiere festgestellt wurde, ihre immunisatorischen Eigenschaften
noch in vollem Maße. Die Entgiftung der Ruhrbazillen z. B. durch Kieselsäure ermöglicht
es sogar, die Immunisierung von Kaninchen durch häufigere Injektionen und durch
Erhöhung der Dosen bedeutend kräftiger zu gestalten.
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Die Tatsache, daß abgetötete und, wie gefunden wurde, auch lebende
Bazillen in so hervorragender Weise durch kolloidale Kieselsäure entgiftet, aber
ihrer immunisatorischen Eigenschaften nicht beraubt werden, kann vielleicht dadurch
erklärt werden, daß eine Adsorption der Kieselsäure durch die Leibessubstanz der
Bakterien tatsächlich erfolgt ist, eine Annahme, die überdies durch das eigenartige
veränderte Verhalten bekräftigt wird, welches mit Kieselsäure behandelte Bazillen
gegenüber Anilinfarben zeigen. Bei der Färbung mit Anilinfarbstoffen nämlich zeigt
sich, daß die Bazillen ihre ursprüngliche Form und Färbbarkeit vollkommen eingebüßt
haben.