Pfingsten ist das Fest des Heiligen Geistes. Oder besser: der Heiligen Geistin. Denn Ruach, das hebräische Wort dafür, ist weiblich. Sie schwebte am Beginn der Schöpfung über den Wassern, steht gleich im zweiten Satz der Bibel.
Aber wen interessiert das schon! Für die meisten ist Pfingsten bloß ein langes Wochenende. Der Glaube an Gott, in welcher Variante auch immer, verliert an Bedeutung. Das zeigt sich nicht nur in sinkenden Kirchenmitgliederzahlen oder am wachsenden Einfluss des Atheismus. Auch von den evangelischen Christinnen und Christen sagt laut aktueller Studie der Evangelischen Kirche in Deutschland nur ein Drittel, dass man schon mal eine Erfahrung mit Gott gehabt habe.
Dabei ist das Konzept eigentlich zu wichtig, um es fallen zu lassen. Haben die ge
sen. Haben die gegenwärtigen Krisen nicht alle mit Machbarkeitsillusionen, instrumentellen Menschenbildern und vor allem neoliberalem Gewinnstreben zu tun? Lauter Dinge also, die sich mit Gott nicht vereinbaren lassen, wie Kirchenleute immer wieder betonen. Aber trotz solcher Fragen bleibt oft unklar, inwiefern der Bezug auf Gott für uns gerade jetzt besonders nützlich sein könnte. Liegt das vielleicht daran, dass unsere Gottesvorstellungen von einer jahrhundertealten patriarchalen Beeinflussung derart verformt sind, dass der Begriff Gott, und damit natürlich auch Gott selbst, fast unbrauchbar geworden ist?„Ein Mal Gott sein: In diesen zehn Spielen dürft ihr den Chef spielen“, las ich kürzlich in einer Zeitung, die neue Computerspiele vorstellte. So geht es natürlich nicht. Solange man sich Gott als eine Art Chef vorstellt, der als alter Mann im Himmel sitzt und uns Anweisungen gibt, ist der Begriff unbrauchbar. Aber das muss ja nicht so sein. Bundespräsident Joachim Gauck zum Beispiel sagte kürzlich beim evangelischen Kirchenkongress in Wuppertal, es sei nicht gleichgültig, „wie in der Kirche von Gott gesprochen wird – ja, ob überhaupt noch vernehmbar und verstehbar von Gott gesprochen wird“.Ja, genau: Es ist nicht gleichgültig. Reden wir doch von Gott einmal als Frau. Biblische Bilder und religiöse Traditionen gibt es dafür genügend. Es gibt Bibelstellen, die von Gott als Hausherrin, als Hebamme, als Gebärende oder als Mutter sprechen. Eine ganze antike Tradition verehrte Sophia, die Weisheit, als göttliche Kraft mit weiblichen Zügen. Es geht hier nicht nur um eine Frage der Geschlechtszugehörigkeit. Mit dem Frausein Gottes entsteht auch ein anderes Gesamtbild, es ensteht ein ganz anderes und völlig neues Image.Ein patriarchales VerständnisWenn Gott nicht länger der Zampano sein soll, der mit Blitz und Donner regiert, kann man sie leichter in den alltäglichen Dingen entdecken. Unvorhergesehene Wendungen, Geistesblitze, glückliche Fügungen: Das ist sie. Wenn jemand in einer Diskussion etwas sagt, das die Debatte wirklich weiterbringt, wenn uns plötzlich ein Licht aufgeht, wenn ich in einer brenzligen Lage geistesgegenwärtig das Richtige tue, wenn irgendwo ein frischer Wind weht, dann hat Gott geholfen. Ist es nicht gut, sich klarzumachen, dass das nicht selbstverständlich ist? Dass man Glück hatte? Denn es kommt ja auch vor, dass Gott sich nicht blicken lässt. Gottes Geist weht, wo sie will. Oder eben auch nicht.Es ist natürlich keine ganz neue Idee, dass Gott eine Frau ist. Den Klospruch „Als Gott den Mann schuf, übte sie nur“ hat wahrscheinlich jeder schon einmal gesehen. Kevin Smith hatte in seinem Film Dogma, einer Fantasy-Satire über das Christentum aus dem Jahr 1999, die hübsche Idee, die Rolle Gottes mit Alanis Morissette zu besetzen. Das hat mir sofort eingeleuchtet. Ich mag auch diesen Witz über den Astronauten, der gefragt wird, ob er im Weltraum Gott gesehen hat, und der antwortet: „Ja, und sie ist schwarz.“Solche Geschichten sind wichtig, denn es ist nicht leicht, das Bild des alten Mannes mit dem weißen Bart wirklich loszuwerden. Die Vorstellung von Gott als „Vater“ und „Herr“ hat sich wie ein altes Kaugummi in alle Ritzen unserer Kultur hineingeklebt. Vor allem im Christentum, wo man, anders als im Judentum und im Islam, das Gebot „Du sollst dir kein Bildnis von Gott machen“ nie so ganz ernst genommen hat. Gottesdarstellungen im Stil Michelangelos sind allgegenwärtig. Erst neulich ist er mir wieder in einem Weltraumcomic begegnet: Der Protagonist trifft darin auf einem fernen Planeten Gott, der in Wahrheit bloß ein Alchimist ist. Ein alter Alchimist mit weißem Bart natürlich.Man muss keine Feministin sein, um zu sehen, dass diese Gottesvorstellung einem patriarchalen, männlichen Selbstverständnis entsprungen ist. Kein Wunder, dass in emanzipierten und modernen Kontexten immer weniger Leute glauben. Wir glauben ja auch nicht mehr, dass alte Männer die Welt besonders gut regieren. Im Gegenteil sind wir eher zu der Auffassung gelangt, dass Männer mit einem nicht hinterfragten Anspruch auf Vorherrschaft oft selber das Problem sind.Aber auch in der Kirche hat man sich im Laufe der vergangenen 100 Jahre Stück für Stück vom Alter-Mann-mit-Bart-Prinzip verabschiedet. Natürlich sei Gott kein Mann, beteuern die Theologen und Theologinnen von heute stattdessen. Um sofort hinzuzufügen: „Eine Frau aber auch nicht!“ Und weiter fröhlich vom Herrn und Vater zu predigen. Andere betrachten Gott im Licht von Post-Gender-Illusionen: Sie stellen sich keinen alten Mann vor, sondern lieber eine unsichtbare Energie, eine Kraftquelle, eine Art esoterisches Grundsummen der Welt. Aber ein Gott, der über Jahrhunderte hinweg als ein personales und männliches Gegenüber vorgestellt wurde, kann nicht mal eben sein Geschlecht ablegen. In einer Kultur, die damit beginnt, selbst Überraschungseier für Mädchen und Jungen zu produzieren, kann Gott nicht plötzlich geschlechtsneutral sein. Die alten Bilder sind zu wirkmächtig. Und zu behaupten, Gott ist kein Mann, funktioniert genauso wenig wie die Aufforderung: Denken Sie nicht an einen Elefanten!Aber warum überhaupt noch von Gott reden?, werden manche denken. Wäre das Problem nicht vom Tisch, wenn wir einfach alle Atheisten würden? Aber so einfach ist es leider nicht. Das Wort Gott wird ja nicht nur in religiösen Kontexten benutzt, auch säkulare Menschen tippen OMG, also „Oh my God“, in ihre Tweets oder reden vom Wettergott oder vom Fußballgott. Das Konzept ist mit der gesamten Kultur verwoben. Man kann Gott genauso wenig einfach abschaffen wie die Geschlechterdifferenz. Auch diejenigen, die sagen, dass es Gott nicht gibt, haben ja eine bestimmte Vorstellung: Was genau ist es denn, das es ihrer Ansicht nach nicht gibt? Wenn Atheisten begründen, warum sie nicht glauben, verbreiten sie meist ein Gottesbild, das dem der traditionellen Religionen gleicht wie ein Ei dem anderen.„Wenn Gott männlich ist, dann ist das Männliche Gott“, hat Mary Daly schon Anfang der 70er Jahre geschrieben. Mit ihrem Buch Jenseits von Gottvater, Sohn & Co. hat sie die feministische Theologie maßgeblich beeinflusst. Später hat Daly sich vom Christentum gänzlich abgewendet, weil sie es für unrettbar hielt. Und tatsächlich haben im Verlauf von mehreren Tausend Jahren Männlichkeit und Göttlichkeit so stark aufeinander abgefärbt, dass Zerrbilder von beidem entstanden sind. Deshalb nützt es nichts, Gott abzuschaffen oder für tot zu erklären oder zu behaupten, er (!) wäre geschlechtslos. Diese Okkupation muss vielmehr offen herausgefordert werden.Die Guten und die BösenZum Beispiel, wenn man sich den Begriff „Herr“ anschaut, die bis heute am häufigsten verwendete Anrede für Gott im Christentum. Natürlich ist an der Metapher was dran, sie macht klar, dass wir „Gott mehr gehorchen sollen als den Menschen“, was richtig ist. Aber vor 2.000 Jahren bezeichnete das Wort Herr tatsächlich jemanden, der über andere nach Belieben verfügen konnte, über seine Untertanen oder über seine Sklavinnen und Sklaven. Da war es revolutionär, zu behaupten: In Wahrheit ist nicht der euer Herr, sondern Gott! Aber heute, wo jeder Schmidt, Meier oder Schulze mit Herr angesprochen wird?In den meisten Fernsehserien gibt es einen Helden, der verspricht, dass am Ende alles gut wird. Wie hat mich Jack Shephard in Lost mit dieser Attitüde genervt! Und immer ist es ein weißer Mann. Auch Actionfilme kommen selten ohne männlichen Helden aus, der in letzter Sekunde die Welt von dem Bösen erlöst. „Er hat die ganze Welt in seiner Hand“, heißt es in einem alten Gospel. „Millionen von Menschenleben liegen in deiner Hand“, sagt sein Alter Ego zu Douglas Quaid, dem Protagonisten in der Neuverfilmung von Total Recall. Zum Verwechseln ähnlich sind sie sich, der Supermann und der Supergott.Diese Verwechslung macht nicht nur unser Konzept von Männlichkeit leicht größenwahnsinnig, es macht auch Gott im wahrsten Sinne des Wortes unglaubwürdig. Denn dass Gott (oder heldenhafte Männer) die Dinge regeln würden, ist ja eine Behauptung, die von der Realität ständig widerlegt wird. Im wirklichen Leben geht es selten so aus wie im Film. Am Ende werden die Guten oft nicht gerettet und die Bösen nicht bestraft. Für alle, die an den Zampano-Gott glauben, ist das bitter. Wie kann er das zulassen?, fragen sie, und auf diese sogenannte Theodizeefrage finden Theologen seit Jahrhunderten keine überzeugende Antwort. Und für Atheisten ist sie wiederum der Beweis für Gottes Nicht-Existenz: Wenn ständig schreckliche, grausame, ungerechte Dinge geschehen, kann es Gott wohl nicht geben. Sonst würde er doch etwas unternehmen!Wenn Gott aber nicht Bruce Willis, sondern Meryl Streep wäre? Also keine, die wie ein strenger Vater droht: Wehe, du hörst nicht auf mich, dann gibt’s Hausarrest!, sondern eine, die warnt: Zieh dir lieber etwas Warmes an, sonst wirst du dich noch erkälten? Meine Lieblingsbibelstelle dazu steht beim Propheten Hosea, 11. Kapitel. Dort wird Gott, gefragt, warum sie die abtrünnigen Israeliten nicht bestraft, mit den Worten zitiert: „Mein Mitleid lodert auf, aber ich vollstrecke meinen Zorn nicht. Denn Gott bin ich, und kein Mann.“So einfach ist das nämlich: Gott ist kein Mann. Sie hat Mitleid, ist zornig, aber sie ist keine Vollstreckerin des Gesetzes. Theodizeefrage gelöst.Allerdings nicht in den üblichen Bibelübersetzungen. Dort steht an dieser Stelle: „Denn Gott bin ich, und kein Mensch.“ Das aber ist falsch, denn das hebräische Wort im Originaltext heißt „Mann“ (geschlechtlich bestimmt) und nicht „Mensch“ (geschlechtsneutral). Der Text widerspricht explizit einer „vermännlichten“ Gottesvorstellung, nicht einfach einer „vermenschlichten“. Den Übersetzern aber war das offenbar zu hoch, sie haben den Text nach Gutdünken „korrigiert“. Wenn es aber nicht Gottes Art ist, die Gesetzlosen zu strafen, wenn sie uns anders als ihre irdischen Imitatoren nicht verspricht, dass am Ende alles gut wird, weil sie es schon regelt: Was ist Gott dann? Was tut sie? Wie wirkt sie?Sie ist, sagt der Prophet Hosea, die, die „den Säugling an ihre Wangen hebt, sich ihm zuneigt und ihm zu essen gibt“. Gott ist so allmächtig, wie eine Mutter (oder jemand anders an ihrer Stelle) für ein kleines Kind allmächtig ist: Von ihr hängt es ab, dass wir überleben. Sie gibt uns Nahrung, lehrt uns sprechen, erklärt uns die Welt, leidet mit uns, wenn es uns schlecht geht, steht uns mit Rat und Tat zur Seite, tröstet und ist ein Vorbild. Aber manchmal erkälten wir uns trotzdem oder schlagen uns das Knie auf. Das kann sie nicht verhindern.Nichts als Strafen GottesKaum jemand hat diese Erkenntnis so klar in Worte gefasst wie die Niederländerin Etty Hillesum. Sie war noch keine 30 Jahre alt, als sie im Jahr 1943 in Auschwitz umgebracht wurde. In den zwei Jahren zuvor hatte sie in ihrem Tagebuch – posthum unter dem Titel Das denkende Herz veröffentlicht – angesichts der Katastrophe des Holocaust, von der sie klar vorhersah, dass sie sie als Jüdin das Leben kosten würde, ein intensives Gespräch mit Gott geführt. Etty Hillesum schrieb: „Ja, mein Gott, an den Umständen scheinst auch du nicht viel ändern zu können. Ich fordere keine Rechenschaft von dir, du wirst uns später zur Rechenschaft ziehen. Und mit fast jedem Herzschlag wird mir klarer, dass du uns nicht helfen kannst, sondern dass wir dir helfen müssen und deinen Wohnsitz in unserem Inneren bis zum Letzten verteidigen müssen.“Für manche klingt das beängstigend. Als ich diese Passage in meinem Blog diskutierte, kommentierte jemand: „Für mich liest sich das wie ein Kind, das sich selbst verantwortlich macht, weil ihr Vater die Familie verlässt. Gruselig.“ Das zeigt nicht nur, wie eng die Verbindung zwischen Gott und Vater auch in säkularen Kontexten noch immer ist (der Kommentator war Atheist). Es zeigt auch, welche fatalen Folgen diese Verbindung hat. Denn wenn Gott als Herr und allmächtiger Vater imaginiert wird, muss seine ausbleibende Hilfe als Urteil über die Menschen verstanden werden. Unglück ist dann kein Unglück, sondern eine Strafe Gottes. Bei so einem Gott bleibt den Menschen in der Tat nur die Unterwerfung oder die Rebellion.Etty Hillesum ist aber nicht die Einzige, die das Verhältnis zwischen Menschen und Gott als eines der gegenseitigen Bedürftigkeit – und nicht der Herrschaft – interpretiert hat. Dieser Gedanke durchzieht die Theologie der Frauen seit Jahrhunderten, fast wie eine unsichtbare Parallele zur Männerkirche. Eines der wichtigsten Bücher in dieser anderen, ich möchte sagen weiblichen Theologietradition ist Ende des 13. Jahrhunderts erschienen und heißt Der Spiegel der einfachen Seelen von Margareta Porete, einer französischen Begine. Das Beginentum war damals eine in Europa weit verbreitete religiöse Bewegung, die überwiegend, aber nicht ausschließlich von Frauen getragen wurde. Sie lebten in größeren und kleineren Gemeinschaften zusammen, ohne sich dabei aber offizielle Ordensregeln zu geben. Viele originelle und einflussreiche Denkerinnen waren Beginen, und auch Poretes Buch war damals eine Art internationaler Bestseller. Es wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt.Sie beschreibt Gott darin als „Fern-Nahen“, der seine Handlungsmöglichkeiten an die Beziehung zu einzelnen Menschen knüpft. Die Erkenntnis des Wahren, erläutert Porete, ist keine Frage des Glaubens, der Vernunft oder der Tugend, sondern eine der Liebe. Nur eine liebende und „vernichtigte“ Seele könne ein „Durchlass“ für Gott auf diese Welt sein.Margareta Porete verehrt Gott nicht als Frau, sondern geht tatsächlich noch einen Schritt weiter: Sie verehrt Gott als Nichts, als Leerstelle. Das ist sozusagen Glauben für Fortgeschrittene: nicht der Versuchung nachzugeben, die unverfügbare Leerstelle Gott mit irgendetwas aufzufüllen. Mystikerinnen und Mystiker aller Religionen mahnen das immer wieder an, aber ich persönlich finde das im Alltag nicht so leicht. Die italienische Philosophin Luisa Muraro hat im Jahr 1998 geschrieben: „Die größte Sünde der Männer war es, dass sie sich den Frauen gegenüber an die Stelle Gottes gesetzt haben, und die größte Sünde der Frauen, dass sie das zuließen.“ Und ja, unsere Aufgabe ist es, diese Stelle Gottes wieder frei zu räumen. Sie von allen menschlichen Projektionen leer zu machen. Auszuhalten, dass dort nichts ist. Deshalb ist es tatsächlich auch nur ein Zwischenschritt, Gott als Frau zu denken. Aber er erscheint mir notwendig, um das Mann-Gott-Kuddelmuddel zu überwinden.Ich will damit keineswegs behaupten, Frauen wären die besseren Menschen. Gott bewahre! Frauen haben sich in der Geschichte immer als Profiteurinnen gezeigt. Sie haben Nachbarinnen als Hexen denunziert und das Gesetz des Männergottes in den Familien hochgehalten. Frauen sind nicht besser als Männer. Deshalb halte ich auch nichts davon, alte Göttinnenkulte wiederzubeleben. Weiblichkeit ist nicht per se etwas Gutes, wir Frauen sind Teil des Systems, wir sind es nur auf andere Weise als Männer.Zum Beispiel waren wir aus der Kirchenhierarchie weitgehend ausgeschlossen und sind es in den meisten religiösen Gemeinschaften immer noch. Das ist heute ein klarer Vorteil, vermutlich war es schon immer einer, denn es ist ja vor allem der religiöse Klerus, der die Leerstelle Gottes mit Dogmen, Katechismen, heiligen Schriften und Ritualen auffüllt. Frauen sind dem allem nichts schuldig, müssen die religiösen Institutionen nicht retten, denn sie waren ohnehin nie wirklich unsere. Wir können uns stattdessen ganz auf Gott konzentrieren.Das ist heute zum Glück, jedenfalls im Westen, weniger gefährlich als vor 700 Jahren. Zwar werden Menschen immer noch bestraft, wenn sie sich kirchlichen Dogmen nicht unterwerfen, wie jüngst erst Martha Heizer, die Vorsitzende der österreichischen Reformbewegung „Wir sind Kirche“. Sie wurde im Mai zusammen mit ihrem Mann von Papst Franziskus exkommuniziert, weil sie ohne Beisein eines geweihten Priesters Messen gefeiert hatten.Aber wenigstens müssen freie Gottesdenkerinnen heute nicht mehr so wie einst Margareta Porete um ihr Leben fürchten. Weil die ihre Lehren nicht widerrief, wurde sie 1310 auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Dasselbe Schicksal ereilte übrigens auch Mayfreda Pirovano, die in Mailand Anführerin einer Bewegung mit Tausenden Anhängerinnen und Anhängern war. Diese sogenannten „Wilhelmiten“ verehrten die bereits verstorbene Predigerin Wilhelmina von Böhmen als weibliche Inkarnation Gottes, und Mayfreda zelebrierte in ihrem Namen Messen und Liturgien. Sie starb, zusammen mit anderen Mitgliedern der Bewegung, im Jahr 1300 auf dem Scheiterhaufen.Irdische GerichtsbarkeitMargareta Porete, Mayfreda Pirovano und viele andere angebliche Ketzerinnen und Ketzer wurden nicht etwa ermordet, auch wenn wir das heute so nennen würden, sondern nach aufwendigen Gerichtsprozessen für ihre Verbrechen verurteilt und hingerichtet. Das ist überhaupt das Merkwürdigste an dem Zampano-Gott: Dass er eine irdische Gerichtsbarkeit braucht, um sich durchzusetzen und bemerkbar zu machen. Es sind in allen Religionen fast ausnahmslos Männer, die den Anspruch erheben, Gottes Willen verbindlich für andere auszulegen. Wie kommen sie auf die anmaßende, ja geradezu gotteslästerliche Idee, dass sie das könnten?Ich kann gut nachvollziehen, wenn Atheisten über so einen Gott sagen: Der existiert nicht. In einer Welt, in der Menschen davon überzeugt sind, den Willen Gottes zu kennen, und zwar so genau, dass sie für seine Durchsetzung nicht einmal vor brutaler Gewalt, vor Mord und Totschlag zurückschrecken, in einer solchen Welt ist Gott tatsächlich nicht existent. Die Säkularisierung ist nichts weiter als eine logische Konsequenz aus der Inquisition, dazu brauchte es gar keinen Atheismus.Niemand kann sagen, dass sie Gott wirklich versteht. Gott ist nicht Einer, sondern Differenz, Gott ist nicht Dieses, sondern das Andere. Gott ist nicht Etwas, sondern die Leerstelle, über die wir nicht verfügen können, von der aber dennoch unser Leben und die ganze Welt abhängen. Gott ist ein „Mem“, in dem Wissen, Erfahrungen, Theorien und Geschichten zusammengefasst sind. Geschichten, die sich damit auseinandersetzen, dass Menschen niemals alles in der Hand haben. Dass nie über etwas wirklich das letzte Wort gesprochen ist, dass ständig etwas Unerwartetes geschehen kann, und zwar im Positiven wie im Negativen. Dass da immer noch jenes Andere ist, das unsere Pläne und Prognosen möglicherweise durchkreuzt.Eine Gesellschaft, die Geschichten, Rituale und Verhaltensregeln im Repertoire hat, die dieses Wissen kultivieren, wäre klüger als eine, die das Unverfügbare einfach achselzuckend unter Zufall abheftet oder glaubt, es durch ausgefeiltere Prognosen und Versicherungen doch irgendwann noch eliminieren zu können. Ein einfaches „So Gott will“ kann menschliche Vorhaben und Projekte, die ernsthaft unter diesen Vorbehalt gestellt werden, nur besser machen. Es bringt realistischere Bilder von Aktivismus, von Erfolg und Niederlage, von Menschsein und Autonomie hervor.Natürlich ist niemand gezwungen, mit Gott zu rechnen, natürlich kann man sie auch einfach ignorieren. Das ändert aber nichts daran, dass es genau so ist, wie Teresa von Ávila sagte: „Wir können immer nur das tun, was von uns abhängt, für den Rest müssen wir vertrauen.“