Jan-Peter Voß, Dierk Rauknecht
Der Einfluss von Technik auf GovernanceInnovationen : Regulierung zur
gemeinsamen Netznutzung in
Infrastruktursystemen
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Suggested Citation
Voß, Jan-Peter ; Bauknecht, Dierk: Der Einfluss von Technik auf Governance-Innovationen : Regulierung
zur gemeinsamen Netznutzung in Infrastruktursystemen. - In: Dolata, Ulrich ; Werle, Raymund (Hg.):
Gesellschaft und die Macht der Technik. - Frankfurt, New York : Campus, 2007. - ISBN:
978-3-593-38357-6. - pp. 109–131.
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Der Einfluss von Technik auf GovernanceInnovationen: Regulierung zur gemeinsamen
Netznutzung in Infrastruktursystemen
Jan-Peter Voß und Dierk Rauknecht
1
Einleitung
In den Infrastruktursektoren hat sich über die letzten Jahrzehnte ein tief greifender institutioneller Wandel vollzogen. Wo lange Telefongesellschaften, Elektrizitäts-, Gas- und Wasserwerke als vertikal integrierte Monopole für die Versorgung zuständig waren, stehen jetzt verschiedene Unternehmen miteinander
im Wettbewerb. Damit das möglich ist, müssen funktionierende Regelsysteme
im Einsatz sein, die dafür sorgen, dass Leitungsnetze von allen Wettbewerbern
zu gleichen Bedingungen genutzt werden können. Denn wer keinen Zugang hat,
kann nicht am Markt teilnehmen.
In diesem Beitrag steht die Entstehung von neuen Regeisystemen zur gemeinsamen Netznutzung im Blickpunkt. Wie haben sich entsprechende Governance-Formen entwickelt? Welche Einflussfaktoren und Wirkungsmechanismen
erklären den konkreten Verlauf und das Ergebnis ihres Entwicklungsprozesses?
Im Sinne der übergreifenden Fragestellung dieses Bandes legen wir dabei besonderes Augenmerk auf den Einfluss von Technik.
Der Schwerpunkt liegt auf der Analyse eines bestimmten empirischen Ausschnitts der Governance-Innovation gemeinsame Netznutzung. Wir >zoomen<
uns an die Entwicklung der Netzregulierung innerhalb der deutschen Versorgungssektoren heran. In der vergleichenden Betrachtung von Telekommunikation, Elektrizität, Gas und Wasser lassen sich deutliche Unterschiede im Verlauf
erkennen. Unsere Analyse zielt darauf, die Wirkung der spezifischen technischen
Struktur der Sektoren auf die Entfaltung neuer Regelungsarrangements in dem
jeweiligen Kontext herauszuarbeiten. Auf dieser Basis formulieren wir einige
konkrete Mechanismen, in denen sich der Einfluss von Technik auf institutionelle Wandlungsprozesse manifestiert.
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Innovation Journey der gemeinsamen Netznutzung
2.1
Konzept, Funktionsbedingungen, Komponenten
Bis Ende des letzten Jahrhunderts dominierte in Infrastruktursektoren weltweit
ein Governance-Regime, das auf vertikal integrierten Monopolen basierte. Diese Sektoren waren als natürliche Monopole von allgemeinen Wettbewerbsregeln
ausgenommen. Um den Missbrauch von Monopolmacht zu verhindern, waren
sie entweder der staatlichen Regulierung von Preisen und Investitionen unterworfen oder waren Staatsbetriebe.
In diesem Kontext stellt die Governance-Form der gemeinsamen Netznutzung eine radikale Innovation dar. Ihr liegt die Idee zugrunde, dass Teilleistungen der Versorgung unterschieden werden können, die jeweils eigenständige Teilmärkte darstellen (zum Beispiel Erzeugung, Transport und Vertrieb).
Von diesen Teilleistungen sind nur die netzgebundenen Leistungen natürliche
Monopole. Auf den anderen Teilmärkten lässt sich Wettbewerb organisieren.
Voraussetzung dafür ist allerdings, dass institutionelle Arrangements im Einsatz
sind, die den Betrieb der Netze so regeln, dass sie gemeinsam und zu gleichen
Bedingungen von den Wettbewerbern genutzt werden können, die auf anderen
Teilmärkten miteinander konkurrieren (Armstrong et al. 1994; Helm/Jenkinson
1998; Newbery 2001). In diesem Punkt ist die Liberalisierung von Versorgungssektoren mit einem erheblichen institutionellen Entwicklungsaufwand verbunden. Ihre Umsetzung erfordert die Einrichtung eines komplexen Systems der
Regulierung von Netzzugang und Netznutzung sowie weitreichende strukturelle Anpassungen innerhalb des sektoralen Kontextes. Dabei müssen folgende
Funktionen erfüllt werden (Knieps/Brunekreeft 2003: 2):
-
Ein nicht diskriminierender Zugang zu den Monopolbereichen muss für alle
Wettbewerber gesichert sein;
die Erwirtschaftung von Monopolrenten im Netzbetrieb muss verhindert
werden;
die Qualität der Leitungsnetze und des Netzbetriebs muss garantiert sein.
Zur Umsetzung dieser Funktionen durch ein neues Regulierungsarrangement
müssen verschiedene kognitive, institutionelle und technische Komponenten
entwickelt und aufeinander abgestimmt werden. Sie umfassen:
-
die konzeptionelle Abgrenzung der Netzbereiche, die natürliche Monopole
bilden und reguliert werden sollen (zum Beispiel Verteilnetze, Langstreckentransport, bestimmte Anlagen);
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methodisch-theoretische Konzepte zur Bestimmung von Niveau und Struktur der Entgelte für die Netznutzung (zum Beispiel Einzelpreisgenehmigung
auf Basis von Kostenprüfungen oder Preisniveauregulierung wieprice cap);
Verfahren zur Festlegung, Überwachung und Sanktionierung von Netznutzungsregeln (zum Beispiel Ex-ante- oder Ex-post-Genehmigung, Revisionsintervalle, Regeln zur Informationsbereitstellung);
institutionelle Strukturen, in denen Konzepte und Verfahren entwickelt und
implementiert werden (zum Beispiel Verbändevereinbarung, Regulierungsbehörde);
die Verknüpfung mit dem existierenden Kontext (zum Beispiel kartellrechtliche Institutionen, Konzept der Daseinsvorsorge und technische Messeinrichtungen für Netzflüsse).
Das soziotechnische Projekt der Netzregulierung besteht in der Entwicklung,
wechselseitigen Abstimmung und Einbettung dieser unterschiedlichen Komponenten in bestehende sektorale Governance-Regime.
2.2
Innovationsverlauf in sektoralen Kontexten
Wie hat sich die Entwicklung der gemeinsamen Netznutzung vollzogen? Wo
wurde sie >erfunden<? Wie hat sie sich entwickelt, verändert und verbreitet? Wir
greifen auf das Konzept der »Innovation Journey« (Van de Ven et al. 1999) zurück, um diesen Prozess zu beschreiben. Die Innovation Journey bezeichnet die
Entfaltung von Ereignissen, in denen sich Form und Funktion einer Innovation
verändern. Gestaltungshandeln spielt eine wichtige Rolle für die Dynamik und
Richtung der Reise. Der Weg, den die Innovation letztlich nimmt, iässt sich aber
weder vorhersagen noch kontrollieren. Er hängt vom Zusammenwirken verschiedener Akteure und von Kontextbedingungen ab, die sich unter anderem in
Wechselwirkung mit der Innovation selbst verändern.
Die Innovation Journey der gemeinsamen Netznutzung von der ersten Formulierung des Konzeptes bis zu einem in der Realität funktionierenden institutionellen Arrangement (oder: von der Erfindung bis zur Implementation des
institutionellen Artefaktes) umfasst bisher knapp neunzig Jahre. In dieser Zeit
wurden Regulierungssysteme zur gemeinsamen Netznutzung im Kontext unterschiedlicher sektoraler und nationaler Governance-Regime entwickelt. Heute
zahlen sie zum globalen Stand der Technik in der Governance von Infrastruktursektoren.
Zu diesem Entwicklungsprozess gehört die frühe Formulierung der essential
doctrine durch den US Supreme Court in einer Entscheidung zu Eisen-
facilities
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bahnanlagen im Jahr 1912 - Einrichtungen, die unabdingbar sind, um Wettbewerbern ihre Geschäftstätigkeit zu ermöglichen und die mit angemessenen
Mitteln nicht neu geschaffen werden können, müssen geteilt werden (Beckmerhagen 2001) — ebenso wie die erste Umsetzung in Form eines sektorweiten Regulierungsansatzes bei der Liberalisierung des chilenischen Elektrizitätssektors im
Jahr 1978 (Spiller/Martorell 1996: 113-114), die Etablierung eines Prototyps
der Netzregulierung in den sektorübergreifenden britischen Liberalisierungsreformen der späten achtziger Jahre (Helm/Jenkinson 1998) und seine Etablierung als Standard-Governance-Form für Infrastruktursektoren in mehreren
EU-Richtlinien der neunziger Jahre (Arentsen/Künnecke 2003; Midttun 1997;
Newbery 2001; Schneider 2001).
Auch in Deutschland wurden über die Jahre immer wieder Versuche gestartet, die Monopolregime der Versorgungssektoren infrage zu stellen. Sie erwiesen
sich aber im internationalen Vergleich als besonders resistent (Mez 1997, 2003;
Vogelsang 2002). Die klassischen Governance-Formen wurden einerseits durch
die funktionale Argumentation legitimiert, dass das natürliche Monopol und
komplexe Koordinations- und Betriebserfordernisse zur Sicherung der Versorgung wettbewerbliche Reformen verbiete. Andererseits wurden sie durch den
großen wirtschaftlichen und politischen Einfluss der Versorgungsunternehmen
stabilisiert, deren Interesse darin bestand, den Monopolstatus zu behalten. Erst
gegen Ende der achtziger Jahre, als neoliberale Politikkonzepte weltweit an Dominanz gewannen und die gemeinsame Netznutzung durch den britischen Prototypen Momentum erhielt, fanden entsprechende Governance-Innovationen wie
die gemeinsame Netznutzung auch in Deutschland fruchtbaren Boden. Die Geschwindigkeit und die Form, in der sie sich entwickelt haben, waren über die
Sektoren hinweg allerdings unterschiedlich. Das Spektrum reicht von der Umsetzung des globalen Standardmodells im Telekommunikationssektor über die
Verfolgung einer deutschen Eigenentwicklung, der Verbändevereinbarung zur
Netzregulierung im Strom- und Gassektor, bis zur Niederlage der gemeinsamen
Netznutzung im Wettbewerb mit weniger radikalen Governance-Innovationen
im Wassersektor (Voß/Bauknecht 2006).
Telekommunikation
Im Telekommunikationssektor erfolgte die Umsetzung des globalen Standardmodells der Liberalisierung, das die Isolierung von natürlichen Monopolbereichen und deren Regulierung durch eine staatliche Behörde vorsieht. Zwar
erfolgte der Prozess langsam und in mehreren Schritten, insgesamt aber recht
linear von entsprechenden Forderungen der Monopolkommission im Jahr 1981
über die Öffnung des Marktes in Nischen 1989 bis zur vollständigen Liberalisierung auch der Netze 1998 (Müller 2002; Ritter 2004; Thorein 1997).
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Eine wichtige Rolle für den Innovationsverlauf im Telekommunikationssektor hat die Veränderung der Innovationsarena gespielt, durch die sich nach
und nach eine Veränderungskoalition entwickelte. Dies ist einerseits in einem
Strategiewechsel begründet, den mehrere Akteure innerhalb der Innovationsarena vollzogen haben - vor allem die Deutsche Post beziehungsweise Deutsche
Telekom und das Bundespostministerium (Schneider 2001: 245). Zum anderen ist die Innovationsarena durch neue Akteure sukzessive erweitert worden
(Thorein 1997: 55). Dabei hat die technische Entwicklung das Interesse neuer
Akteure am Telekommunikationssektor geweckt und gleichzeitig die Liberalisierung ermöglicht (vgl. Werle 1990).
Mit der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP)
wurde 1998 erstmals in Deutschland eine sektorspezifische Regulierungsbehörde eingerichtet, die sich um die Netznutzung und andere Aspekte der Marktfunktion kümmern sollte. Im Rahmen dieses Arrangements wurden konkrete
Methoden und Verfahren der Regulierung in praktischer Erprobung entwickelt
(Ritter 2004). Dabei fokussiert die Regelung der Netznutzung auf den Bereich
der lokalen Verteilnetze (letzte Meile) und der Netzzusammenschaltung. Konkrete Fragen sind zum Beispiel, ob die Netznutzung für Einzelverbindungen
gewährt werden muss (call tbj call) oder dauerhaft für einzelne Anschlüsse (preselection), ob Rufnummern bei Anbieterwechsel mitgenommen werden können (Rufnummernportabilität) und ob Investoren in neue Netzinfrastrukturtechnologien
zeitweise von der Verpflichtung ausgenommen werden, Wettbewerbern diese
Netze zur Verfügung zu stellen (Breitband-Glasfaserkabel).
Elektrizität
Im Elektrizitätssektor wurde die Liberalisierung erst 1998 auf externen Druck
der Europäischen Kommission und ihrer Strombinnenmarktrichtlinie von 1996
umgesetzt. Die europäische Richtlinie war jedoch so angepasst worden, dass sie
ein Netzzugangsregime ermöglichte, das in Deutschland durchgesetzt werden
konnte. So wurde der starke Widerstand der Kommunen, die um die kommunale Konzessionsabgabe und die Zukunft ihrer Stadtwerke fürchteten, dadurch
gebrochen, dass das sogenannte Single-Bujer-System als Alternative zur Netzdurchleitung eingeführt wurde. Zur Umgehung des Widerstandes der großen
Stromversorgungsunternehmen wurde außerdem auf eine staatliche Regelung
des Netzzugangs verzichtet. Stattdessen wurde ein Arrangement eingesetzt,
das die Verhandlung von Netznutzungsbedingungen in einer Vereinbarung von
Netzbetreibern und industriellen Netznutzern vorsah - und zwar unter Ausschluss neuer Akteure (Voß 1998).
Die Regelungsmethoden wurden in mehreren Versionen der Verbändevereinbarung weiterentwickelt (Voß 2000). Letztlich wurde das Arrangement aber,
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wiederum auf europäischen Druck, aber auch weil die Interessenkoalition aus
großen Stromverbrauchern und Netzbetreibern zerfiel, zugunsten der Einrichtung einer sektorübergreifenden Regulierungsbehörde unter dem Dach der
ehemaligen Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post aufgegeben.
Mit der Einrichtung der Bundesnetzagentur im Juli 2005 ist auch ein Wandel der
angewendeten Regelungsverfahren verbunden.
Die Weiterentwicklung der Netzzugangsregeln hat nicht zuletzt damit zu
tun, dass durch die Liberalisierung die Innovationsarena verändert wurde und
zahlreiche andere Innovationen wie zum Beispiel die Entwicklung einer Strombörse angestoßen wurden, durch die sich der Kontext, in den der Netzzugang
eingebettet war, wandelte. Die Liberalisierung ermöglichte es zum Beispiel wettbewerbserprobten ausländischen Unternehmen im deutschen Markt Fuß zu
fassen. Dadurch waren neue Unternehmen im Markt, die — mit technischem
Know-how ausgestattet - den alteingesessenen Versorgern entgegentraten und
für eine Weiterentwicklung des Netzzugangsregimes warben.
Gas
Im Gassektor erfolgte die formale Liberalisierung über gemeinsame Netznutzung zeitgleich mit den Entwicklungen im Stromsektor. In beiden Sektoren
führte der Weg zur staatlichen Netzregulierung über den verhandelten Netzzugang und das Regime der Verbändevereinbarung. Im Gassektor wurden zwar
auch mehrere Versionen einer solchen Vereinbarung verabschiedet, die Netzzugangsregeln sind dabei jedoch im Gegensatz zum Stromsektor kaum W e t t bewerbs freundlicher geworden (BMWA 2003). M t dem Abbruch der Verhandlungen im Jahr 2003 ist die Verbändevereinbarung Gas schließlich gescheitert
(Meran/von Hirschhausen 2004), und die Regulierung des Sektors wurde der
sektorübergreifenden Bundesnetzagentur übertragen.
Der Abbruch der Verhandlungen zur Weiterentwicklung der Verbändevereinbarung wurde explizit mit unterschiedlichen Ansichten der Verhandlungspartner über die technischen Voraussetzungen des Netzzugangs und das angemessene Netzzugangsmodell begründet (Zeitschrift für Kommunale Wirtschaft
05/2003). Die Gasanbieter wollten das Punkt-zu-Punkt-Modell beibehalten,
nachdem die Kosten des Gastransports über den gesamten Transportweg vom
Einspeise- zum Entnahmeort errechnet werden. Die Gasabnehmer wollten
dagegen ein transaktionsunabhängiges Modell durchsetzen. Durch das Scheitern der Verhandlungen wurde die auf der freiwilligen Verbändevereinbarung
basierende Variante der Netzregulierung insgesamt diskreditiert, was den Druck
zur Einführung einer staatlichen Regulierung sowohl für den Gas- als auch den
Stromsektor erhöhte.
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Die technischen Eigenschaften des Gasnetzes haben die gemeinsame Netznutzung erschwert. Dies betrifft vor allem die unterschiedlichen Gasqualitäten
und Mischungsprobleme sowie die relativ hohen variablen Transportkosten und
relativ hohen durchschnittlichen Transportentfernungen (Müller-Kirchenbauer/
Zander 2003: 2-5). In Deutschland kommt hinzu, dass die Eigentumsstruktur
des Gasnetzes sehr diversifiziert ist. Dadurch ist es unabhängig von technisch
bedingten Engpässen schwieriger als in anderen Ländern, eine geringe Zahl an
Regelzonen zu definieren, die als jeweils einheitliches Marktgebiet entsprechend
dem Kupferplattenmodell im Stromnetz fungieren können (Müller-Kirchenbauer et al. 2004: 225-231). Diese Eigenschaften werden auch in den Analysen
des Regulierungsregimes als Gründe dafür angeführt, dass die Selbstregulierung
deutlich schlechter funktionierte als im Stromsektor (Böllhof 2002). Wichtig
ist aber auch, dass es im Gassektor im Gegensatz zum Stromsektor zumindest
Ansätze eines Netzwettbewerbs gibt (durch Wingas), wodurch für die Ferngasgesellschaften ein Anreiz bestand, den Netzzugang grundsätzlich zu sabotieren
(Brunekreeft/Twelemann 2006: 99-126).
Wasser
Im Wassersektor kam die Netzregulierung parallel mit der Umsetzung wettbewerblicher Reformen in den anderen Sektoren in die Diskussion. Konkret stellte
sich bei der Änderung des Wettbewerbsgesetzes zur Abschaffung des Monopolstatus in den Energiesektoren die Frage, ob für den Wassersektor ein gesonderter Tatbestand erhalten bleiben müsse. Zunächst wurde übergangsweise
eine Sonderregelung vereinbart, aber die zukünftige Regelung der Netze stand
damit zur Disposition. Schon einige Jahre vorher war das Regime unter Druck
geraten, weil die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wasserwirtschaft bemängelt wurde und aufgestaute Instandhaltungsinvestitionen großen
Kapitalbedarf mit sich brachten, der von den meist kommunalen Betreibern
nicht aufgebracht werden konnte (Briscoe 1995: 422-432; Franke 2001: 170;
Rothenberger 2003: 50).
Die gemeinsame Nutzung war in der Diskussion zur Stärkung von Wettbewerb im Wassersektor eine Governance-Option (neben anderen wie zum
Beispiel der zeitlichen Ausschreibung von Versorgungsgebieten). Sie wurde insbesondere von Seiten des Wirtschaftsministeriums und der ökonomischen Wissenschaft sowie von Beratern und Dienstleistern vorangetrieben (zum Beispiel
Deutsche Bank Research 2000). Kommunen, Gewerkschaften und Umweltinteressen (BMU, Verbände) als Gegner der Liberalisierung orientierten ihre Abwehr
insbesondere darauf, die mangelnde Funktionsfähigkeit der Netzregulierung
mit Bezug auf technische Bedingungen im Wassersektor herauszustellen (zum
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Beispiel die Beiträge in Büscher 2001; UBA 2000). Dabei stand das Risiko einer
Abnahme der Trinkwasserqualität (durch Wiederverkeimung) bei unkontrollierter Durchmischung von Wässern unterschiedlicher Einspeiser im Vordergrund.
Als Alternative wurde die Option einer »Modernisierungsstrategie« eingebracht,
die Reformen innerhalb der Monopolstruktur des Sektors vorsah (zum Beispiel
betriebswirtschaftlich orientiertes Management, Zusammenlegung von Versorgungsgebieten; VKU 2001). Schließlich konnte sich diese Auffassung, auch mit
Verweis auf Gesundheitsrisiken für die Bevölkerung, durchsetzen. Nach einer
intensiven zweijährigen Debatte stellte das Wirtschaftsministerium bei der Vorstellung einer Studie (BMWi 2001), in der Umsetzungsoptionen für die Einführung von Wettbewerb entwickelt wurden, fest, dass »nicht alles, was an Marktöffnung theoretisch möglich, auch praktisch und politisch sinnvoll« ist. Damit
nahm auch der Protagonist von der Netzregulierung im Wassersektor Abstand.
Einige Monate später beauftragte der Bundestag das Wirtschaftsministerium
mit der Entwicklung einer Modernisierungsstrategie.
3
Einfluss von Technik auf institutionelle Variation
und Selektion
3.1
Evolution von Governance-Innovationen
Entscheidend für das Verständnis der Entwicklung von Governance-Innovationen ist die Wechselwirkung der Prozesse in der Innovationsarena, in der
neue institutionelle Arrangements konzipiert und entwickelt werden, mit den
Strukturen der etablierten Governance-Regime, die den Kontext bilden, in den
die Innovationen eingebettet sind. Diese Wechselwirkung untersuchen wir mit
Hilfe von Konzepten aus der Innovationsforschung, die Innovationen als Evolutionsprozess begreifen.1 Dabei unterscheiden wir die Makroebene des Innovationsprozesses, auf der Varianten institutioneller Arrangements mit dem Selektionsumfeld sektoraler Governance-Regime in Wechselwirkung stehen, und die
Mikroebene, auf der diese Varianten in der strategischen Interaktion von unterschiedlichen Akteuren generiert werden.
Neue Regelsysteme wie die gemeinsame Netznutzung müssen in das in
einem Sektor vorherrschende Governance-Regime passen, damit sie akzeptiert
1 Zur Übertragung von Konzepten aus der Innovationsforschung, die sich mit technologischen
und organisatorischen Innovationen im Kontext von Unternehmen und soziotechnischen Systemen befasst, auf die Entwicklung von Politikinstrumenten im Kontext von Governance-Regimen siehe Voß (2004a, 2005, 2006), Voß/Bauknecht (2006).
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werden und funktionieren können. Dieses Selektionsumfeld aus etablierten
Normen, Organisationsstrukturen, Technologien und Diskursen befindet sich
selbst durch Innovationsprozesse, die in seinen unterschiedlichen Dimensionen
ablaufen, ständig in Bewegung. Mit diesen Innovationen stehen GovernanceInnovationen in Wechselwirkung. Verschiedene Innovationen können komplementär sein und sich gegenseitig bestärken oder sie können miteinander in Konkurrenz stehen. Daraus resultieren gekoppelte Entwicklungen (Ko-Evolution).
Wenn Evolution menschliches Handeln einschließt, ist die Antizipation dieser
Wechselwirkungen von zentraler Bedeutung: Erwartete Selektionswirkungen
fließen bereits in die Suche nach und die Entwicklung von Governance-Varianten mit ein. Variation und Selektion sind damit keine voneinander unabhängigen
Prozesse.2 Auf diese Weise ist die Selektionswirkung durch den GovernanceKontext, in direkter und antizipierter Form, ein Faktor in der Entwicklung von
Governance-Innovationen.
Auf der Mikroebene wirken sektorale Governance-Strukturen in einer anderen, schon vor der Selektionswirkung relevant werdenden Weise auf den Innovationsprozess ein. Sie strukturieren schon die Interaktionen, in denen neue
Regelungsformen überhaupt erst erdacht, gestaltet, verhandelt und ausprobiert
werden. Akteurkonstellationen und strategisches Handeln spielen hier eine zentrale Rolle dabei, welche Variationen überhaupt so weit kommen, dass sie mit
dem Selektionsumfeld in Kontakt treten können. Die Strukturen bestehender
Governance-Regime bestimmen dabei die spezifischen Möglichkeiten und Restriktionen, die einzelne Akteure haben, um Handlungs- und Argumentationsstrategien zu entwickeln, mit denen sie präferierte Regelungsdesigns in die
Diskussion und auf die politische Agenda bringen können.
Diese Mechanismen der Strukturierung und der Selektion greifen wir auf,
um Erklärungsansätze für den unterschiedlichen Innovationsverlauf in den
deutschen Versorgungssektoren herauszuarbeiten. Wir beschränken uns im
Rahmen dieses Artikels darauf, die Wirkung der technischen Dimension sektoraler Governance-Kontexte zu analysieren.3
2 Rip (1992: 69-103) bezeichnet Evolutionsprozesse unter menschlicher Beteiligung, in denen
Selektion gesellschaftlich antizipiert wird, in Abgrenzung zu Modellen aus der Biologie als
»Quasi-Evolution«.
3 Für ein umfassendes Verständnis der Entwicklungsdynamik von Governance-Innovationen
waren auch andere Dimensionen des Kontextes in ihrer strukturierenden und selektierenden
Wirkung zu analysieren und, zumindest über längere Zeit, auch die andere Richtung des Einflusses, die Strukturierung und Selektion von technischen Innovationen durch Governance-Arrangements zu berücksichtigen. Dann würden die komplexen Ko-Evolutionsprozesse deutlich
werden, in denen sich struktureller Wandel in soziotechnischen Systemen vollzieht (Konrad et
al. 2004; vgl. Voß 2004b)
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Abbildung 1
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Schematische Darstellung des Einflusses von Technik auf
Governance-Innovationen über Strukturierung und Selektion
Governance-Kontext
(inkl. spez. Technikstruktur)
Innovationsarena
3.2
Selektion von institutionellen Arrangements
Die Leistungserbringung in Infrastruktursektoren basiert auf der Funktion
komplexer technischer Systeme (Mayntz 1988). Um diese Funktion aufrechtzuerhalten, müssen zum Beispiel Einspeisung und Entnahmeverhalten so koordiniert werden, dass das System stabil bleibt, also zum Beispiel Über- und
Unterdeckung von Nachfrage sowie Netzengpässe vermieden werden. Aus den
technischen Funktionsbedingungen ergeben sich Anforderungen an gesellschaftliche Handlungsmuster und entsprechende Regelsysteme. Nicht jede Governance-Form ist gleichermaßen geeignet, Handlungsmuster zu erzeugen, die
den jeweiligen technischen Funktionsbedingungen genügen. Hier liegt ein zentraler Aspekt der fitness von Governance-Innovationen, der in Realexperimenten
zutage tritt, wenn zum Beispiel nach der Liberalisierung des Elektrizitätssektors >die Lichter ausgehend Aber auch schon die gesellschaftliche Erwartung
bestimmter Selektionswirkungen beeinflusst, wie sich eine Governance-Innovation innerhalb eines spezifischen sektoralen Kontextes etablieren kann.4 Im
4 Besondere Dynamiken gewinnen Innovationsprozesse dadurch, dass technische Funktionsbedingungen selbst Gegenstand gesellschaftlicher Auseinandersetzung sind und dass spezielles
Wissen als Ressource in diesen Auseinandersetzungen sehr ungleich über die verschiedenen
Akteure verteilt ist. Ein Beispiel dafür sind die langjährigen Debatten über das Risiko des Sys-
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Innovationsprozess zur gemeinsamen Netznutzung zeigen sich die Selektionswirkungen spezifischer technischer Strukturen der Versorgungssektoren in verschiedenen konkreten Mechanismen.
Technisch konstituiertes natürliches Monopol begrenzt Einsat.£ von Wettbeiverb
Eine spezielle Herausforderung in Infrastruktursektoren liegt in ihrer Tendenz
zur Monopolbildung (natürliche Monopole). Die in westlichen Industriestaaten
verankerte allgemeine wettbewerbliche Marktordnung lässt sich deshalb nicht
ohne Weiteres auf diese Sektoren übertragen. Es müssen besondere Governanceformen entwickelt werden, die zumindest für Teile der Sektoren nicht wettbewerbliche Regulierungsprinzipien beinhalten.
Es sind spezifische Eigenschaften von technischen Betriebsmitteln und Kostenstrukturen mit Größenvorteilen, die das natürliche Monopol in den Infrastruktursektoren konstituieren. Hierbei handelt es sich in erster Linie um die
Netze, die hohe irreversible Investitionen erfordern. Wenn diese einmal verlegt
sind, kann die erlangte Marktposition von keinem Wettbewerber mehr streitig gemacht werden - abgesehen davon, dass es gesellschaftlich ineffizient und
ungewünscht wäre, mehrere Netzinfrastrukturen parallel zu verlegen.5 Die
technische Bedingung der Leitungsgebundenheit der Versorgung mit Telekommunikation, Strom, Gas und Wasser impliziert averse Selektionswirkungen für
marktbasierte Governance-Formen.
Mit dem Wandel von Technik verändert sich auch das natürliche Monopol in
den Infrastruktursektoren (Knieps 2001: 72; Vogelsang 2002). Im Elektrizitätsund Telekommunikationssektor waren es zum Beispiel bis vor wenigen Jahrzehnten nicht nur die Netze, die als natürliche Monopole galten, sondern auch
Kraftwerke und telefonische Vermittlungseinrichtungen. Die Kostenstrukturen
dieser Technologien sorgten dafür, dass Wettbewerb auch in diesen Marktbereichen für nicht praktikabel gehalten wurde. Erst mit der Verfügbarkeit von flexibler einsetzbaren Kraftwerkstechnologien und digitalen Kommunikationstechnologien wurde eine wettbewerbliche Organisation dieser Teilmärkte als möglich
erachtet (Indermühle 2002). Veränderte technische Kontextstrukturen können
so zu bestimmten Zeitpunkten Governance-Innovationen ermöglichen, die zu
anderen Zeitpunkten dem Selektionsdruck nicht hätten entsprechen können.
Die Selektionswirkung von Technik über die Konstituierung natürlicher
Monopole lässt sich auch im Quervergleich über die Sektoren festmachen. So
liegt zum Beispiel der unterschiedliche Zuschnitt der Netzregulierung im Teletemzusammenbruchs bei Einführung von Wettbewerb im Elektrizitätssektor und über die
Möglichkeiten zur Kontrolle von Gesundheitsrisiken bei der Mischung von Wässern.
5 Diese Definition geht auf neuere Konzepte des natürlichen Monopols auf der Basis der Theone der contestable markets zurück (Knieps/Brunekreeft 2003: 11, 14).
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kommunikationssektor einerseits und im Strom- und Gassektor andererseits in
den unterschiedlichen Technikstrukturen begründet. Während Telefonleitungen
im Langstreckenbereich grundsätzlich zu Bedingungen installiert und betrieben
werden können, die Wettbewerb über parallelen Leitungsbau ermöglichen und
die Netzregulierung auf lokale Verteilnetze und die Netzzusammenschaltung
beschränken, sind elektrische Höchstspannungsnetze und Pipelines für den
Langstreckentransport von Gas6 weiterhin natürliche Monopole und unterliegen
entsprechender Regulierung.
Technische Bedingungen definieren die Marktgröße und damit den Einsat^ von Wettbewerb
Eine andere konkrete Form, in der sich die Selektionswirkung für institutionelle
Variationen zeigt, ist die technisch bedingte Größe des Marktes. Um mehreren
Wettbewerbern Raum zu geben, muss ein ausreichend großer Markt gegeben
sein, was für die netzgebundenen Infrastrukturen bedeutet, dass ein entsprechend weiträumiges Netz vorhanden sein muss oder verschiedene Netze miteinander gekoppelt sein müssen.
Im Vergleich über die Sektoren zeigt sich, dass verschiedene technische
Strukturen hier zu unterschiedlichen Bedingungen führen. Das betrifft insbesondere die Größe des Verbundnetzes, das heißt die Anzahl von Kunden beziehungsweise die Nachfragemenge, die über den Netzzugang an einem Punkt
erreicht werden können. Weiterhin betrifft es den Anteil von variablen, entfernungsabhängigen Transportkosten am Gesamtpreis der Versorgung. Wenn
dieser sehr hoch ist, dann sind die Margen gering, in denen Effizienzvorsprünge
in Wettbewerbsvorteile in entfernt liegenden Netzgebieten übersetzt werden
können. Dementsprechend schrumpft der jeweils erreichbare Markt auf einen
lokalen Radius zusammen.
In beiden Punkten setzt sich die technische Struktur im Wassersektor gegenüber den anderen Sektoren ab. Hier sind die lokalen Verteilnetze bis auf wenige
Ausnahmen nicht in einem Verbundnetz miteinander verkoppelt. Das heißt, die
Öffnung der Netze für Wettbewerb würde in diesem Fall jeweils nur den lokalen
Markt umfassen. Außerdem ist der Transport von Wasser über lange Entfernungen sehr teuer, da Pumpenergie aufgewendet werden muss, um die Masse
des Wassers zu bewegen. Die Konkurrenzfähigkeit neuer Unternehmen wäre
daher selbst bei Existenz einer flächendeckenden Netzstruktur auf den lokalen
Umkreis ihrer Aufbereitungsanlagen begrenzt, jedenfalls solange es andere Versorger gibt, die räumlich näher gelegene Vorkommen nutzen können. Hier liegt
6 Auch für Gas-Ferntransportnetze wird allerdings mittlerweile infrage gestellt, dass diese als
natürliche Monopole reguliert werden müssen (Knieps 2002).
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ein wichtiger technischer Einflussfaktor für das Scheitern der Netzregulierung
im Wassersektor.7
Technische Funktionsbedingungen erfordern spezifische Handlungsmuster %ur Sicherung
von Systemstabilität und Versorgungsqualität
Um technische Systeme unterbrechungsfrei und effizient betreiben zu können, sind bestimmte Operationsroutinen einzuhalten. Mögliche GovernanceFormen müssen mit diesen kompatibel sein, um für den Einsatz infrage zu
kommen (Schneider 1992). In den Netzsektoren betrifft das insbesondere die
Einspeisung und Entnahme. Egal ob dies Daten, elektrische Spannung, Erdgas
oder Wasser sind: Immer erfordert die Funktion des Systems die Einhaltung
bestimmter Standards bei der Netznutzung, damit die Qualität der Versorgung
gesichert werden kann. Außerdem ist es für die Stabilität des Gesamtsystems
essentiell, dass die Mengen von Einspeisung und Entnahme koordiniert werden, um Verstopfung oder Engpässe bei der Versorgung zu vermeiden. Da Entnahme in der Regel unkoordiniert nach dem individuellen Bedarf erfolgt, geht
es praktisch um das >Nachfahren< der Nachfrage durch das Angebot.8 Je nach
Fließeigenschaften des Mediums und nach der spezifischen Struktur des Netzes
betrifft die Koordinationsleistung besondere zeitliche und örtliche Parameter
von Einspeisung und Entnahme. Die Komplexität der Koordination, die erfüllt werden muss, um Systemstabilität zu gewährleisten, ist in allen Sektoren
ein wichtiger Ansatzpunkt der Gegner von Liberalisierung. Sie übersetzen die
antizipierte Selektion durch Technik, die sich in Systemzusammenbrüchen zeigen würde, in politische Drohungen: Wenn Netzbetreiber nicht gleichzeitig die
Kontrolle über die Einspeisung behielten, würden Versorgungsengpässe sowie
ein Qualitätsrückgang unvermeidlich sein.
Mit der Koordination von Einspeisung und Entnahme sind bei der organisatorischen Trennung vom Netzbetrieb unabhängig von der strategischen Instru-
7 Allerdings wird an diesem Beispiel auch das enge Zusammenspiel mit der natürlichen Dimension der Kontextstruktur deutlich. In den Fällen, wo lokale Wasservorkommen nicht ausreichen,
um den Bedarf zu decken, existieren nämlich auch im gegenwärtigen Governance-Regime der
Wasserversorgung einige Nischen, in denen sich andere technische und institutionelle Formen
entwickelt haben. So werden einige Ballungsgebiete, zum Beispiel der Großraum Stuttgart, mit
Wasser aus entfernt liegenden Vorkommen versorgt (Bodensee). In anderen Gebieten werden regionale Verbundsysteme geschaffen (Hessenwasser). Im Falle derartiger lokaler Abweichungen in der Kontextstruktur sind auch andere Selektionsbedingungen für Governance-Innovationen gegeben. Für die Möglichkeiten, in der Zukunft auch im Wassersektor Modelle
der Netzregulierung zur gemeinsamen Netznutzung durchzusetzen, können diese Nischen eine
wichtige Rolle spielen.
8 Neue technische Möglichkeiten zur Nachfragesteuerung zum Beispiel bei Haushaltsgeräten
konnten auch hier die Entstehung neuer Regelungsformen bewirken.
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mentalisierung des Argumentes große Herausforderungen verbunden. Praktisch
ist die Abstimmung von technischen Funktionsbedingungen mit dezentralen
ökonomischen Entscheidungen im Markt (zum Beispiel über Strombörsen) erst
mit der Verfügbarkeit von leistungsstarken Informationstechnologien möglich
geworden.
Als Rahmenbedingung von Governance-Innovationen in hoch technisierten
Sektoren zeigt sich hier die Informationsasymmetrie in Bezug auf die tatsächlichen Selektionsbedingungen durch Technik. In der Regel verfügen die Betreiber, für deren Handeln Regelungen entwickelt werden sollen, als Einzige über
die notwendigen Informationen, um die technischen Möglichkeiten und Risiken
zu beurteilen (zum Beispiel Daten über Netzflüsse). Dazu kommen generelle
Unsicherheiten über die Folgen veränderter Operationsroutinen in komplexen
Systemen. Deshalb erhält die (strategische) Interpretation von Technik besonderes Gewicht.
Während technische Koordinationserfordernisse in den Sektoren für Telekommunikation, Strom und Gas zwar eine wichtige Rolle spielten, aber letztlich
nicht dazu führten, die Netzregulierung als untauglich auszuschließen, waren sie
im Wassersektor für das Scheitern der Innovation ausschlaggebend. Unsicherheiten in Bezug auf das Mischungsverhalten von Einspeisungen aus verschiedenen Wasserquellen und damit verbundene Risiken für Trinkwasserqualität und
Gesundheit verhinderten die weitere Entwicklung. Allerdings sind hier Entwicklungsarbeiten im Gange, um die Konfiguration der Netzregulierung sowohl um
technische Verfahren zur Kontrolle der Wasserqualität als auch um institutionelle Verfahren zur Kontrolle von Einspeisungsverhalten und Haftung zu erweitern (Oelmann 2005). So könnte dieser Flaschenhals im Innovationsprozess
in der Zukunft überwunden werden.
Technische Lebenszyklen stellen Anforderungen an Investitionskapazität
Eine besondere Form, in der Technik die Passung bestimmter Governance-Formen beeinflusst, ist die zyklisch wiederkehrende Notwendigkeit, sie zu ersetzen. Vor allem bei kapitalintensiven langlebigen Anlagen ist der Aufbau und
die Wiederherstellung nicht Teil des Tagesgeschäfts, sondern tritt in Abständen
von mehreren Jahrzehnten auf. Besondere Auswirkungen ergeben sich insbesondere dann, wenn die Infrastrukturen, wie in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg geschehen, innerhalb sehr kurzer Zeit aufgebaut wurden. Dann
tritt zu bestimmten Zeitpunkten konzentrierter Re-Investitionsbedarf auf. Hier
besteht eine technische Selektionswirkung darin, dass zumindest für einen bestimmten Zeitraum diejenigen Governance-Formen eine hohe fitness besitzen,
mit denen große Kapitalmengen für den Sektor mobilisiert werden können. Im
Wassersektor ist dieses Phänomen eklatant. Aufgestauter Investitionsbedarf ist
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ein wesentlicher Faktor für die Attraktivität und die weite Verbreitung von Privatisierungsmodellen in den letzten Jahren (Rothenberger 2003).
Antizipierte Technikentwicklung erfordert Anpassung von Institutionen
Eine letzte Form der Selektionswirkung von Technik ist die auf technologische
Innovationen ausgerichtete Anpassung von institutionellen Arrangements. Hierbei geht es darum, Institutionen quasi vorauseilend anzupassen, um antizipierte
und gewünschte technische Entwicklungen zu ermöglichen oder zu unterstützen. So bildet zum Beispiel das politische Ziel, Innovationen in der Kommunikationstechnologie zu beschleunigen, einen wichtigen Faktor bei der Entwicklung neuer Governance-Formen für den Telekommunikationssektor. Dem liegt
die Erwartung zugrunde, dass Wettbewerb technische Innovationen im Bereich
von Kommunikationsdienstleistungen besser befördert als die monopolförmige
Organisation. Anders herum können andere als wettbewerbliche GovernanceFormen Selektionsvorteile gewinnen, wenn erwartet wird, dass Wettbewerb zum
Beispiel Investitionen in die Entwicklung von neuen Glasfasernetzen bremst.
Ein Beispiel aus dem Elektrizitätssektor ist der derzeit an Dynamik gewinnende
Prozess zur Entwicklung neuer Arrangements der Netzregulierung, die Innovationen im Bereich dezentraler Erzeugungstechnologien und nachfrageseitiger
Energieeinsparungstechnologien ermöglichen sollen (Bauknecht et al. 2006).
Hierbei handelt es sich um Beispiele dafür, wie die antizipierte Wirkung von
institutionellen Strukturen auf die Technikentwicklung praktische Wirkung im
Wandel von Governance-Formen zeigt.
3.3
Strukturierung des Prozesses, in dem institutionelle
Variationen entstehen
Technische Strukturen beeinflussen nicht erst die Funktionsfähigkeit von alternativen Governance-Formen, sondern auch schon den Prozess, in dem diese
entstehen. Sie beeinflussen Akteurkonstellationen, das heißt Interessen, Orientierungen, strategische Ressourcen und Beziehungen zwischen Akteuren, die an
der Entwicklung von Governance-Variationen beteiligt sind. Diese Strukturierungswirkung manifestiert sich bei der Entwicklung von Ansätzen zur gemeinsamen Netznutzung in den vier deutschen Versorgungssektoren ebenfalls in
einigen konkreten Mechanismen.
TechnikenUvicklung verändert Interessen und bringt neue Akteure ins Spiel
Ein Mechanismus, der in allen Sektoren Wirkung zeigt, besteht darin, dass die
kommerziellen Potenziale des Einsatzes neuer Technologien neue Interessen
und Akteure hervorbringen, die sich in die Entwicklung und Diskussion von
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neuen Governance-Formen einbringen. Die Liberalisierung des Telekommunikationssektors wird teilweise damit erklärt, dass Entwicklungen in der Mikroelektronik Anwendungspotenziale in der Telekommunikation eröffneten und Anbieter dieser Technik zu einer Lobby für Marktöffnung in der Telekommunikation
machten (Schneider 2001; Thorein 1997). Im Stromsektor hat die Entwicklung
regenerativer Erzeugungstechnologien einen vergleichbaren Effekt. Gegenwärtig entwickelt sich auch die Branche dezentraler Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen zu einer Lobby für weitere Reformen der Netzregulierung, die die speziellen
Probleme beim Netzzugang dezentraler Erzeuger berücksichtigt. Im Gassektor
sind technische Entwicklungen, die Interessen am Marktzugang stärken, hingegen nur abgeschwächt und im Wassersektor sind sie gar nicht anzutreffen.
Dies kann zur Erklärung der langsameren beziehungsweise nicht erfolgreichen
Durchsetzung der Netzregulierung in diesen Sektoren beitragen.
Kontrolle und Wissen über Technik wird als politische Machtressource genutzt
Über technische Vernetzung entstehen Abhängigkeiten, die als politisches Machtpotenzial genutzt werden können (Schneider 1992; Schneider/Mayntz 1995).
Sie können einseitig sein, wenn einige Akteure darauf angewiesen sind, dass
andere Akteure technische Funktionen sichern. Das ist der Fall, wenn spezifische Produktions- und Lebensmuster auf der Annahme gesicherter Versorgung mit Telekommunikation, Strom, Gas oder Wasser aufgebaut sind. Hier
liegt ein Machtpotenzial der Betreiber von Versorgungssystemen gegenüber anderen Gesellschaftsbereichen (Mayntz/Schneider 1995). Wenn sich der Besitz
technischer Betriebsmittel mit der Verfügung über spezielles Wissen verbindet,
das benötigt wird, um sie zu betreiben oder um einzuschätzen, welche Formen
des Betriebs technisch möglich sind, dann können im politischen Prozess erhebliche Widerstandspotenziale gegenüber neuen Governance-Formen mobilisiert werden (Voß 1998). Im Wassersektor hat der von den Betreibern von
Wasserwerken als Drohung formulierte Verlust der Trinkwasserqualität mit entsprechenden Gesundheitsrisiken dafür sorgen können, dass die Netzregulierung
zur gemeinsamen Netznutzung fallen gelassen wurde. Auch innerhalb der Sektoren sind Beziehungen der Akteure durch technische Abhängigkeit geprägt.
Netzbetreiber verfügen zum Beispiel exklusiv über detaillierte Informationen
über Netzzustände und haben so die Möglichkeit, Netznutzungen mit Bezug
auf Überlastungsgefahren zu verweigern oder mit bestimmten Bedingungen zu
versehen.
Technikentwicklung verändert Handlungsoptionen und Beziehungen fischen Akteuren
Technik kann die Handlungsmöglichkeiten von Akteuren erweitern. Technische
Entwicklungen können zum Beispiel bestehende technische Abhängigkeiten
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auflösen. Für den Innovationsprozess zur Netzregulierung trifft dies auf Technologien zu, mit denen das natürliche Monopol der Netze umgangen werden
kann, so dass unbeeinträchtigt von eingesessenen Unternehmen Zutritt zum
Markt erlangt werden kann.
In der Telekommunikation erlauben Mobilfunknetze die Umgehung der
>letzten Meile< auf dem Weg zum Kunden. Insbesondere die offensichtliche Bedrohung der Marktposition der Festnetz-Telekommunikation durch den Mobilfunk kann erklären, dass die Telekom bei der Frage der Öffnung der Netze im
Vergleich mit Unternehmen aus den anderen Sektoren frühzeitig eingelenkt hat.
Im Strom- und Wassersektor ergibt sich hingegen nur die Möglichkeit, die Netze
dadurch zu umgehen, dass Strom selbst erzeugt oder Wasser selbst aufbereitet
wird. In Zukunft könnten Arealnetze im Strombereich, die die autonome Versorgung größerer Gruppen von Verbrauchern ermöglichen, in dieser Hinsicht Bedeutung erlangen. Im Wassersektor kann die Brauchwassernutzung und Regenwasseraufbereitung Effekte in dieser Richtung haben. Im Gassektor kann sich
schließlich mit der Verfügbarkeit technischer Möglichkeiten zum Transport von
Flüssiggas über Tanklastzüge eine Alternative zur Netznutzung eröffnen.
Technische Interdependen% befördert die Entwicklung sozialer Organisationskapazitäten
In mittelbarer Weise hat Technik auch Einfluss auf die Organisationskapazität von Akteuren in den Infrastruktursektoren. Wenn über technische Vernetzungen die wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen Akteuren hoch sind und
eine entsprechende Koordination beim Aufbau und Betrieb der Sektoren verlangen, dann müssen entsprechende soziale Strukturen entwickelt werden, in
denen kollektives Handeln organisiert werden kann. Hier hat also die technische
Struktur Auswirkungen darauf, welche Organisationskapazitäten aufgebaut werden und Akteuren später zur Verfügung stehen, um Governance-Varianten zu
entwickeln, die ihr kollektives Interesse bedienen, und diese im politischen Prozess durchzusetzen.
Im Vergleich über die Sektoren lassen sich hier drei verschiedene Muster
erkennen. Im Telekommunikationssektor wurde die technische Koordination
innerhalb eines organisatorisch hoch integrierten, staatlich betriebenen Telefonsystems geregelt. Die Organisationskapazität ist sehr hoch. Allerdings unterliegt
die Organisationsspitze staatlichem Einfluss, der mit der Privatisierung erst langsam abnimmt. Im Stromsektor und ansatzweise auch im Gassektor wurden technische Regelungsaufgaben über eine komplexe mehrstufige Verbandsstruktur
erfüllt, in der alle Unternehmensgruppen des Sektors zusammengefasst waren.
Diese Strukturen ermöglichten in der Liberalisierungsdiskussion eine schlagkräftige Vertretung politischer Interessen, die den lange erfolgreichen Widerstand
gegen die staatliche Netzregulierung ermöglichte und zur Durchsetzung eigener
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Modelle wie zum Beispiel der Single-Bujer-Option oder der Verbändevereinbarung führten (Voß 1998). Im Wassersektor sind überregionale technische Koordinationserfordernisse nur in den Nischen des Systems gegeben, in denen Netze
zu Verbundsystemen zusammengeschlossen sind oder über Fernleitungen versorgt werden. Hier sind es nicht in erster Linie technische Gründe, die der politischen Organisationskapazität zugrunde liegen. Allerdings ist im überwiegend
in kommunalem Eigentum befindlichen Wassersektor eine hohe Organisationskapazität über die kommunalen Verbände wie zum Beispiel den Verband kommunaler Unternehmen (VKU) oder den Städtetag gegeben.
Technische Organisationsmuster beeinflussen sektorale Deutungsmuster
Ein letzter Einfluss von Technik auf den Prozess, in dem Governance-Innovationen entstehen, kann hier nur hypothetisch angeführt werden. Die jeweils
dominanten Denkstrukturen der Akteure aus den verschiedenen Sektoren unterscheiden sich sehr deutlich.9 Während die Telekommunikationsakteure in an
Vernetzung, Komplexität und Dynamik orientierten Bildern und Begriffen diskutieren und langfristige Planung angesichts der Unwägbarkeiten tendenziell für
hinfällig halten, zeigte sich bei den Akteuren des Wassersektors ein Denkmuster,
in dem die Solidität und Sicherheit des Systems und entsprechend inkrementelle
Problemlösungsansätze im Vordergrund stehen. Wenn man das eine Muster als
selbst organisiertes Netz und das andere als Kontrollhierarchie typisiert und dazwischen ein Kontinuum aufspannt, finden sich Strom- und Gassektor in einer
Mittelposition, wobei die Denkmuster im Stromsektor denen des Telekommunikationssektors näher liegen und die des Gassektors denen des Wassersektors.
In diesen Denkmustern spiegeln sich die unterschiedlichen Organisationsstrukturen und Entwicklungsdynamiken der Techniksysteme in den Sektoren. Eine
plausible, wenn auch mit unseren Mitteln nicht belegbare Annahme ist, dass
sich die gedankliche Auseinandersetzung mit den verschiedenen technischen
Ordnungen (zum Beispiel über den Gebrauch von Analogien und Metaphern)
in allgemeinen Denkmustern niederschlägt, die dann ebenfalls Auswirkung darauf haben, wie über Governance gedacht und in welcher Richtung nach neuen
Regelungsansätzen gesucht wird. Der relativ frühe Erfolg der Liberalisierung
über gemeinsame Netznutzung als ein mit hoher Komplexität und Dynamik
der Regulierung einhergehendes Instrument im Telekommunikationssektor und
sein Scheitern im Wassersektor würden eine solche Hypothese stützen.
9 Diese Beobachtung haben wir im Rahmen der Teilnahme an jeweils gesonderten Sektorworkshops im Rahmen des Projekts »Integrierte Mikrosysteme der Versorgung« gemacht. Sie spiegeln sich auch in der Dokumentation der Workshops <www.mikrosysteme.org>.
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Schlussfolgerungen
Unsere Untersuchung der Einführung der gemeinsamen Netznutzung als neuer
Governance-Form in den Infrastruktursektoren hat die jeweils unterschiedlichen Innovationsverläufe im Kontext des Telekommunikations-, Elektrizitäts-,
Gas- und Wassersektors herausgestellt. Das Spektrum reicht von einer weitgehenden Umsetzung eines globalen Standardmodells über eine mehr und eine
weniger erfolgreiche Verfolgung einer deutschen Eigenentwicklung in Form der
Verbändevereinbarung bis zum Scheitern im Wettbewerb mit anderen Governance-Innovationen.
Die unterschiedlichen Verlaufsformen des Innovationsprozesses können
zum Teil als Ergebnis des Einflusses der jeweils vorherrschenden technischen
Strukturen erklärt werden. Dafür lassen sich Mechanismen auf der Makroebene
herausarbeiten, auf der Technik als eine Dimension des Selektionsumfeldes für
Governance-Variationen Wirkung entfaltet. Ebenso lassen sich Mechanismen
auf der Mikroebene des sozialen Interaktionsprozesses identifizieren, in denen
Governance-Variationen entwickelt werden. Hier strukturiert Technik die Interessen und Beziehungen von Akteuren.
Der Einfluss von Technik auf Governance-Innovationen ist aber nicht determinierend. Vielmehr ist Technik nur eine Dimension der Kontextstruktur, in
der sich Governance-Innovationen entfalten. Technik ist dort mit spezifischen
Institutionen, Werten, Wissen und natürlichen Bedingungen verknüpft, die in
ihrer Überlagerung den Entwicklungsraum (fitness landscape) für neue Governance-Formen definieren. Das heißt, eine Innovation kann technische Funktionsbedingungen hervorragend erfüllen, sich in einem bestimmten Governance-Kontext aber trotzdem nicht entwickeln, weil sie zum Beispiel fest gegen
verankerte Gerechtigkeitsprinzipien verstößt oder mit verfassungsrechtlichen
Regeln in Konflikt gerät.
Außerdem ist die Dynamik von Interaktionsprozessen in der Innovationsarena entscheidend für die Entwicklung von Governance-Innovationen. Hier
hat Technik die oben herausgearbeitete strukturierende Wirkung. Durch technische Strukturen ergeben sich deshalb Möglichkeiten und Restriktionen, die
Handlungsmuster bestimmen. Dabei ist jedoch weiterhin großer Spielraum für
strategisches Handeln gegeben. Komplexe Interaktionsprozesse werden in den
seltensten Fällen durch Technik eindeutig determiniert. Wenn der Verlust technischer Funktionen in Kauf genommen wird, was durchaus im Ermessen der
Akteure liegt, kann auch dieser Spielraum natürlich noch erweitert werden.
Ein dritter Punkt, in dem der Einfluss von Technik spezifiziert werden muss,
ist die besondere Form, in der sie als Selektionsumfeld wie auch als Handlungsstruktur Wirkung erhält. Weit überwiegend geschieht dies gesellschaftlich ver-
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mittelt. Das heißt, technische Bedingungen und Möglichkeiten werden durch
Akteure interpretiert und in politische Diskurse eingebracht. Nur in seltenen
Fällen sind es unmittelbare Erfahrungen aus Realexperimenten, die Bedingungen und Möglichkeiten von Technik in Bezug auf Governance-Alternativen
aufzeigen. Kulturelle Deutungsrahmen und strategische Interessen prägen auf
diese Weise das, was als technische Potenziale oder Funktionsbedingungen politisch verhandelt wird. Die in politischen Prozessen wirksame gesellschaftlich
vermittelte Technik ist also nicht mit derjenigen identisch, die sich in materieller
Interaktion manifestieren würde.
Von einem Determinismus institutionellen Wandels durch Technik kann also
nicht gesprochen werden. Genauso wenig kann Technik bei der Analyse der Entwicklung neuer Governance-Formen jedoch ausgeklammert werden. Gerade in
Infrastruktursektoren, so hat die vergleichende Untersuchung gezeigt, ermöglicht der Blick auf die spezifische Struktur des technischen Netzes die Identifizierung wichtiger Faktoren zur Erklärung institutioneller Wandlungsprozesse.
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