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Technisches Gebiet
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Die Erfindung betrifft ein Verfahren zum Stabilisieren eines Kraftfahrzeugs während eines Brems- oder Antriebsvorgangs, bei dem unterschiedlich große Bremskräfte auf der linken und rechten Fahrzeugseite wirken. Die Erfindung betrifft ferner ein Fahrdynamikregelsystem zum Stabilisieren eines Kraftfahrzeugs während eines Brems- oder Antriebsvorgangs, bei dem unterschiedlich große Bremskräfte auf der linken und rechten Fahrzeugseite wirken, das zur Durchführung des Verfahrens geeignet ist.
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Hintergrund und Stand der Technik
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Bei Bremsvorgängen in einer so genannten µ-Split-Situation, d.h. Bremsvorgängen auf einer Fahrbahn mit seitenweise verschiedenen Fahrbahnreibwerten, sind die Bremskräfte auf der linken und rechten Fahrzeugseite in der Regel unterschiedlich groß. Hierdurch entsteht ein Störgiermoment, das ein Eindrehen des Fahrzeugs in Richtung der Hochreibwertseite bewirkt. Ein ähnlicher Effekt tritt während einer Kurvenfahrt im Teilbremsbereich auf, wobei sich aufgrund der Achslastverschiebung unter dem Einfluss der Zentripetalbeschleunigung auch eine asymmetrische Bremskraftverteilung ergibt. Hier verringern sich die Bremskräfte auf der kurveninneren Fahrzeugseite aufgrund der reduzierten Radaufstandskraft gegenüber den Bremskräften auf der kurvenäußeren Fahrzeugseite, so dass ein Störgiermoment entsteht, das ein Untersteuern des Fahrzeugs bewirkt. Der Effekt tritt auch beim Anfahren in einer µ-Split-Situation auf, da sich aufgrund der verschiedenen Fahrbahnreibwerte unterschiedlich übertragbare Antriebskräfte einstellen, die ein Störgiermoment bewirken. Das Störgiermoment kann durch das Einlenken der lenkbaren Räder des Kraftfahrzeugs in Richtung der Fahrzeugseite mit den geringeren Bremskräften kompensiert werden. Hierdurch wird ein Radeinschlagswinkel eingestellt, der einen Anteil zur Kompensation des Störgiermoments enthält und daher nicht dem Richtungswunsch des Fahrers entspricht. Der Radeinschlagswinkel wird jedoch in der Regel von Fahrdynamikregelsystemen als eine den Fahrerrichtungswunsch repräsentierende Eingangsgröße verwendet. In diesen Systemen wird anhand des Radeinschlagswinkels eine Soll-Gierrate berechnet, welche die Führungsgröße eines Gierratenreglers darstellt. Aufgrund des Kompensationsanteils des Radeinschlagswinkels repräsentiert die Soll-Gierrate in den zuvor dargestellten Situationen aber in der Regel nicht den gewünschten Zustand des Fahrzeugs. So entsteht eine Regelabweichung zwischen der Soll-Gierrate und der Istgierrate des Fahrzeugs, die zu unerwünschten Regeleingriffen des Fahrdynamikregelsystems führt. Diese Regeleingriffe tragen nicht zu einer Stabilisierung des Fahrzeugs bei, und können sich im Gegenteil ungünstig, insbesondere bremswegverlängernd, auswirken.
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Es ist bekannt, derartige unerwünschte Regeleingriffe durch eine Desensibilisierung des Fahrdynamikregelsystems zu verhindern. In der Regel werden dafür die Regeleintrittsschwellen des Fahrdynamikregelsystems angehoben, so dass der Gierratenregler erst bei größeren Regelabweichungen in das Fahrverhalten des Fahrzeugs eingreift. Hiermit ist jedoch der Nachteil verbunden, dass das Fahrdynamikregelsystem in derartigen Situationen keine hinreichende Unterstützung im Falle einer Instabilität des Fahrzeugs bietet, da eine Bewertung der Fahrsituation aufgrund der Desensibilisierung nur sehr eingeschränkt erfolgen kann. Insbesondere wenn der Fahrer nicht korrekt gegenlenkt, bleibt eine erforderliche Unterstützung des Fahrdynamikregelsystems aufgrund der Desensibilisierung oftmals aus, obwohl ein instabiler Fahrzustand vorliegt.
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Verfahren und Vorrichtungen zum Erhöhen der Stabilität eines Fahrzeugs beim Beschleunigen und Bremsen auf einer Fahrbahn mit einem inhomogenen Reibwert sind dabei beispielsweise in
WO 2005/ 087 562 A1 und
WO 2004/ 005 093 A1 beschrieben.
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Darstellung der Erfindung
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Daher ist es eine Aufgabe der vorliegenden Erfindung, eine Fahrdynamikregelung so zu verbessern, dass eine zuverlässige Stabilisierung des Fahrzeugs durch eine Fahrdynamikregelung auch bei Brems- oder Antriebsvorgängen gewährleistet ist, bei denen seitenweise unterschiedliche Brems- oder Antriebskräfte vorliegen.
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Erfindungsgemäß wird diese Aufgabe durch ein Verfahren mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1 und durch eine Vorrichtung mit den Merkmalen des Patentanspruchs 9 gelöst.
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Demgemäß ist es vorgesehen, dass ein Verfahren der eingangs genannten Art mit den folgenden Schritten durchgeführt wird:
- - Bestimmen eines aufgrund der unterschiedlich großen Brems- oder Antriebskräfte auf das Kraftfahrzeug wirkenden Störgiermoments,
- - Berechnen einer Referenzgierrate für das Kraftfahrzeug nach Maßgabe eines an lenkbaren Rädern des Kraftfahrzeugs eingestellten Radeinschlagswinkels anhand eines Fahrzeugmodells und der gemessenen oder geschätzten Fahrzeuggeschwindigkeit unter Berücksichtigung des ermittelten Störgiermoments,
- - Vergleichen der Referenzgierrate mit einer erfassten Istgierrate des Kraftfahrzeugs und
- - Beeinflussen des Fahrverhaltens des Kraftfahrzeugs in Abhängigkeit von einer Abweichung zwischen der Referenzgierrate und der Istgierrate.
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Zudem wird eine Vorrichtung geschaffen, die folgende Einrichtungen umfasst:
- - eine Störgiermomentberechnungseinrichtung, in der ein aufgrund der unterschiedlich großen Brems- oder Antriebskräfte auf das Kraftfahrzeug wirkendes Störgiermoment bestimmbar ist,
- - eine Referenzgierratenberechnungseinrichtung, in der eine Referenzgierrate für das Kraftfahrzeug nach Maßgabe eines an lenkbaren Rädern des Kraftfahrzeugs eingestellten Radeinschlagswinkels unter Berücksichtigung des ermittelten Störgiermoments berechenbar ist,
- - eine Vergleichseinrichtung, in der eine Abweichung zwischen der Referenzgierrate und einer erfassten Istgierrate des Kraftfahrzeugs ermittelbar ist und
- - eine Regeleinrichtung, in der eine Stellgröße zur Ansteuerung eines das Fahrverhalten des Kraftfahrzeugs beeinflussenden Aktuators in Abhängigkeit von der Abweichung zwischen der Referenzgierrate und der erfassten Istgierrate ermittelbar ist.
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Vorteilhaft sieht die Erfindung vor, dass das infolge der seitenweise verschiedenen Bremskräfte entstehende Störgiermoment bei der Berechnung der Referenzgierrate berücksichtigt wird. Hierdurch wird erreicht, dass ein das Störgiermoment kompensierender Anteil des Lenkwinkels mittelbar als Kompensationslenkwinkel und nicht als Richtungswunsch des Fahrers interpretiert wird. Eine Beeinflussung des Fahrverhaltens des Kraftfahrzeugs erfolgt in Abhängigkeit von der Abweichung zwischen der unter Berücksichtigung des Störgiermoments berechneten Referenzgierrate und der Istgierrate des Kraftfahrzeugs. Hierdurch werden unerwünschte Beeinflussungen des Fahrverhaltens durch das Fahrdynamikregelsystem vermieden, ohne das Fahrdynamikregelsystem zu desensibilisieren. Insbesondere ist eine zuverlässige Bewertung des Fahrverhaltens des Kraftfahrzeugs anhand der Abweichung zwischen der Istgierrate und der Referenzgierrate möglich. Somit können auch bei Bremsvorgängen mit seitenweise unterschiedlichen Bremskräften an den Fahrzeugseiten stabilisierende Eingriffe in das Fahrverhalten des Fahrzeugs vorgenommen werden, wenn das Fahrzeugistverhalten in einem Maße von dem anhand der Referenzgierrate vorgegebenen Sollverhalten abweicht, das auch in Fahrsituationen, in denen keine seitenweise unterschiedlichen Bremskräfte vorliegen, zu stabilisierenden Eingriffen eines Fahrdynamikregelsystems führt. Insbesondere können stabilisierende Regeleingriffe auch dann vorgenommen, wenn der Fahrer zur Kompensation des Störgiermoments nicht korrekt gegenlenkt.
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Bei einer Ausführungsform des Verfahrens und der Vorrichtung ist es vorgesehen, dass das Störgiermoment aus Brems- oder Antriebskräften an während des Brems- oder Antriebsvorgangs gebremsten oder angetriebenen Rädern des Kraftfahrzeugs berechnet wird.
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Vorteilhaft kann das Verfahren zur Korrektur der Referenzgierrate nicht nur beim Bremsen sondern auch beim Anfahren beispielsweise auf µ-split verwendet werden kann. Die dort wirkenden asymmetrischen Kräfte sind zwar keine Brems- sondern Antriebskräfte, aber das Verfahren ist bis auf die Schätzung bzw. Messung der Antriebskräfte komplett übertragbar auf diesen Anwendungsfall. Die Antriebskräfte können beispielsweise aus einem Radersatzmodell mittels Radbeschleunigung, Motorantriebsmoment, Trägheitsmoment, Reifenradius bestimmt werden.
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Vorteilhaft wird das Störgiermoment in dieser Ausführungsform anhand der Bremskräfte an den gebremsten Rädern berechnet, deren Unterschiede ursächlich für die Entstehung des Störgiermoments sind.
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Eine Weiterbildung des Verfahrens und der Vorrichtung beinhaltet, dass es sich bei dem Kraftfahrzeug um ein vierrädriges Kraftfahrzeug mit zwei lenkbaren Vorderrädern handelt und dass ein Schätzwert ̂M̂
z für das Störgiermoment durch
berechnet wird, wobei δ ein Lenkwinkel an lenkbaren Rädern des Kraftfahrzeugs, F
ij eine Bremskraft an einem Rad und s
ij ein in Fahrzeugquerrichtung gemessener Abstand eines Aufstandspunktes des Rades von einem Fahrzeugschwerpunkt mit Indizes ij = FL für ein linkes Vorderrad, ij = FR für ein rechtes Vorderrad, ij = RL für ein linkes Hinterrad und ij = RR für ein rechtes Hinterrad ist und wobei mit l
F ein in Fahrzeuglängsrichtung gemessener Abstand zwischen den Vorderrädern und dem Fahrzeugschwerpunkt sowie mit l
R ein in Fahrzeuglängsrichtung gemessener Abstand zwischen den Hinterrädern und dem Fahrzeugschwerpunkt bezeichnet ist.
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Es hat sich gezeigt, dass anhand der zuvor aufgeführten Formel ein ausreichend zuverlässiger Schätzwert für das Störgiermoment ermittelbar ist.
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Eine Ausgestaltung des Verfahrens und der Vorrichtung sieht vor, dass die Bremskraft an einem Rad aus einem Bremsdruck oder dem gemessenen oder geschätzten Blockierbremsdruck bestimmt wird, der in einer dem Rad zugeordneten Radbremse vorliegt. Der Blockierbremsdruck kann aus dem Bremsdruck und dem Radschlupfreglerverhalten bestimmt werden.
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Insbesondere wenn das Kraftfahrzeug über eine hydraulische oder pneumatische Bremsanlage verfügt, kann die Bremskraft hierdurch in einfacher Weise bestimmt werden. Die erforderliche Sensorik ist in Kraftfahrzeugen, die mit einem Fahrdynamikregelsystem ausgestattet sind, in der Regel bereits vorhanden, so dass keine zusätzlichen Sensoren vorgesehen werden müssen. Wenn in dem Fahrzeug keine Sensoren zur direkten Erfassung vorhanden sind, können in einem Model auch Schätzgrößen für die Bremsdrücke ermittelt werden und diese bei der Ermittlung des Störgiermoments verwendet werden.
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Insbesondere für Räder auf Niedrigreibwert besteht a priori kein linearer Zusammenhang zwischen dem Bremsdruck und der Bremskraft, da die Räder ins Gleiten geraten können.
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Daher ist eine Ausführungsform des Verfahrens und der Vorrichtung dadurch gekennzeichnet, dass ein Bremsdruck an dem Rad derart eingestellt wird, dass ein Bremsschlupf des Rades auf einen vorgegebenen Schwellenwert begrenzt wird.
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Eine derartige Funktion wird in Kraftfahrzeugen üblicherweise durch ein Antiblockiersystem (ABS) ausgeführt, das in Kraftfahrzeugen, die mit einem Fahrdynamikregelsystem ausgestattet sind, in der Regel vorhanden ist.
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Weiterhin ist es in einer Ausführungsform des Verfahrens und der Vorrichtung vorgesehen, dass es sich bei dem Fahrzeugmodell um ein Einspurmodell des Kraftfahrzeugs handelt. Auch andere Ersatzmodelle eines Fahrzeugs können verwendet werden, so zum Beispiel ein lineares oder nicht lineares Zweispurmodell.
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Der Vorteil von Einspurmodellen gegenüber anderen Fahrzeugmodellen besteht darin, dass sie relativ einfach parametrierbar sind und daher eine besonders robuste Ermittlung der Referenzgierrate erlauben.
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Eine weitere Ausgestaltung des Verfahrens und der Vorrichtung ist dadurch gekennzeichnet, dass die Referenzgierrate unter Berücksichtigung des Störgiermoments als Lösung der Zustandsgleichung
berechnet wird. Dabei ist Ψ̇ die Gierrate des Kraftfahrzeugs, β der Schwimmwinkel des Kraftfahrzeugs, δ der Lenkwinkel an lenkbaren Rädern des Kraftfahrzeugs, M̂
z ein Schätzwert für das Störgiermoment, A eine 2×2-Matrix mit zumindest teilweise geschwindigkeitsabhängigen Einträgen,
ein geschwindigkeitsabhängiger zweikomponentiger Vektor und J
z ein Trägheitsmoment des Kraftfahrzeugs bezüglich seiner Gierachse.
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Vorteilhaft wird in dieser Ausgestaltung ein lineares Einspurmodell zur Berechnung der Referenzgierrate herangezogen, das durch zwei gekoppelte Gleichungen beschrieben wird, in denen das Störgiermoment innerhalb eines Zusatzterms bei der Drehimpulsbilanz auftritt.
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Darüber hinaus wird ein Computerprogrammprodukt bereitgestellt, das einen Algorithmus definiert, der ein Verfahren der zuvor beschriebenen Art umfasst.
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Entgegen der bisherigen Annahme, dass die Lenkwinkelvorgabe des Fahrers grundsätzlich als Richtungswunsch zu interpretieren ist, geht die Erfindung vorteilhaft davon aus, dass die Lenkbewegungen des Fahrers in bestimmten Situationen zur Kompensation von äußeren Einflüssen vorgenommen werden.
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Die Erfindung beinhaltet dabei die Idee, das Störgiermoment, das bei Bremsvorgängen mit unterschiedlichen Bremskräften auf der linken und rechten Fahrzeugseite auftritt, in die Berechnung der Referenzgierrate eingehen zu lassen. Hierdurch wird der an den lenkbaren Rädern eingestellte Lenkwinkel nicht vollständig als Fahrerrichtungswunsch interpretiert. Es wird vielmehr mittelbar berücksichtigt, dass der Lenkwinkel einen Kompensationsanteil zur Kompensation des Störgiermoments aufweist. Unerwünschte Eingriffe des Fahrdynamikregelsystems während eines Bremsvorgangs in einer µ-Split-Situation werden somit verhindert. Erst ein von dem Kompensationslenkwinkel abweichender Lenkwinkel an den lenkbaren Rädern des Kraftfahrzeugs wird als Fahrerrichtungswunsch interpretiert und führt gegebenenfalls zu einem stabilisierenden Eingriff des Fahrdynamikregelsystems, wenn das Fahrzeugverhalten von dem anhand der Referenzgierrate vorgegebenen Sollverhalten abweicht.
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Diese und andere Gesichtspunkte der Erfindung werden auch anhand der Ausführungsbeispiele deutlich und im Hinblick auf die Ausführungsbeispiele nachfolgend anhand der Figuren beschrieben.
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Figurenliste
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Von den Figuren zeigt:
- 1 ein schematisches Blockdiagramm eines Fahrdynamikregelsystems mit einem Gierratenregler,
- 2 ein schematisches Blockdiagramm einer Einrichtung zur Berechnung der Referenzgierrate in einer ersten Ausführungsform,
- 3 eine Skizze zur Veranschaulichung von auf das Fahrzeug wirkenden Kräften und Drehmomenten,
- 4 eine Skizze zur Veranschaulichung verschiedener Fahrzeugparameter und
- 5 ein schematisches Blockdiagramm einer Einrichtung zur Berechnung der Referenzgierrate in einer zweiten Ausführungsform.
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Darstellung von Ausführungsbeispielen
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In
1 ist beispielhaft eine grundsätzliche Struktur eines eine Gierratenregelung durchführenden Fahrdynamikregelsystems anhand eines schematischen Blockdiagramms des Regelkreises dargestellt. Die Istgierrate Ψ̇
ist des Fahrzeugs
101 wird beispielsweise mittels eines Gierratensensors gemessen. Aus der Differenz zwischen der Istgierrate Ψ̇
ist und einer Referenzgierrate Ψ̇
ref wird die Regelabweichung ΔΨ̇=Ψ̇
ref -Ψ̇
ist berechnet. Die Regelabweichung ΔΨ̇ stellt die Eingangsgrößen einer Regeleinrichtung
103 dar, die einen Gierratenregler
104 umfasst. Der Gierratenregler
104 ist beispielsweise als adaptiver linearer Regler ausgeführt, dessen Reglerparameter an die Fahrzeuggeschwindigkeit und gegebenenfalls an weitere die Fahrsituation bestimmende Größen angepasst werden und der in einer Ausführungsform als Proportional-Differential-Regler (PD-Regler) ausgeführt ist. Der Gierratenregler
104 wird aktiviert, wenn die Regelabweichung ΔΨ̇ sowie gegebenenfalls eine oder mehrere weitere Größen vorgegebene Regeleintrittsschwellenwerte überschreiten. Die in Abhängigkeit von der Regelabweichung ermittelten Ausgangssignale entsprechen einer Giermomentanforderung, die üblicherweise mit den Giermomentanforderungen anderer in der Regeleinrichtung
103 enthaltener Regler, wie beispielsweise einem in
1 nicht dargestellten Schwimmwinkelregler, arbitriert wird. Aufgrund der Arbitrierung ergibt sich eine Gesamtgiermomentanforderung, nach deren Maßgabe wenigstens ein Aktuator
106, mit dem das Fahrverhalten des Fahrzeugs
101 beeinflusst werden kann, angesteuert wird. Hierbei kann es sich um einen dem Fachmann bekannten Bremsenaktuator handeln, mit dem radindividuelle Bremsdrücke in den Radbremsen des Fahrzeugs
101 aufgebaut werden. Durch das gezielte Abbremsen eines Rades kann das Fahrzeug
101 dabei mit dem angeforderten Giermoment beaufschlagt werden. Gleichfalls kann ein Lenkungsaktuator verwendet werden, mit dem fahrerunabhängig ein Lenkwinkel an lenkbaren Rädern des Fahrzeugs
101 einstellbar ist, durch den ein auf das Fahrzeug
101 wirkendes Giermoment aufgebaut werden kann. Der Lenkungsaktuator kann beispielsweise als eine so genannte Überlagerungslenkung ausgeführt sein. Ferner kann zur Beeinflussung des Fahrverhaltens in die Motorsteuerung eines Antriebsmotors des Fahrzeugs
101 eingegriffen werden. Darüber hinaus sind dem Fachmann weitere Aktuatoren, wie beispielsweise elektronisch regelbare Differenzialsperren oder auch aktive Hinterradlenksysteme bzw. Systeme zur aktiven Beeinflussung der Hinterachskinematik bekannt, mit denen das Fahrverhalten des Kraftfahrzeugs
101 beeinflusst werden kann, und die bei der Fahrdynamikregelung eingesetzt werden können. Vorzugsweise werden mehrere der zuvor genannten Aktuatoren eingesetzt, wobei das Fahrdynamikregelsystem eine Verteileinrichtung enthält, die aus der Gesamtgiermomentanforderung beispielsweise mehrere Teilanforderungen bestimmt, die zur Ermittlung der Stellgröße für die eingesetzten Aktuatoren herangezogen werden. Die Berechnung der Referenzgierrate Ψ̇
ref erfolgt in der Referenzgierratenberechnungseinrichtung
107 auf der Basis eines Fahrzeugmodells anhand von Größen, die den vom Fahrer gewünschten Fahrzustand des Fahrzeugs
101 repräsentieren. Bei diesen Größen handelt es sich um den von dem Fahrer an lenkbaren Rädern des Fahrzeugs
101 eingestellten Lenkwinkel δ, der mit einem Lenkwinkelsensor gemessen werden kann, sowie die von dem Fahrer eingestellte Fahrzeuggeschwindigkeit v, die aus den Signalen von Raddrehzahlsensoren ermittelbar ist. Das dargestellte Fahrdynamikregelsystem ist dem Fachmann insoweit an sich bekannt. Im Hinblick auf Regeleingriffe in das Bremssystem und die Motorsteuerung wird ein derartiges Fahrdynamikregelsystem beispielsweise in der deutschen Offenlegungsschrift
DE 195 15 059 A1 beschrieben, auf die hiermit vollumfänglich verwiesen wird.
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Im Folgenden wird beispielhaft davon ausgegangen, dass es sich bei dem Fahrzeug 101 um ein zweiachsiges, vierrädriges Fahrzeug handelt, dessen Vorderräder lenkbar sind. Neben dem zuvor dargestellten Fahrdynamikregelsystem verfügt das Fahrzeug 101 über ein Antiblockiersystem (ABS), das den Bremsschlupf an den gebremsten Rädern des Fahrzeugs 101 regelt. In dem Fachmann bekannter Weise werden die Bremsschlupfe an den Fahrzeugrädern durch einen gezielten Bremsdruckabbau in den entsprechenden Radbremsen oder durch das Verhindern eines weiteren Druckaufbaus unterhalb eines vorgegebenen Schwellenwertes gehalten. Hierdurch wird ein Blockieren der Räder verhindert, das zu einer Reduzierung der von den Rädern übertragbaren Längskräfte und Seitenführungskräfte führen würde. Insbesondere in so genannten µ-Split-Situationen, d.h. Situationen, in denen auf der linken und rechten Fahrzeugseite unterschiedliche Fahrbahnreibwerte vorliegen, verhindert das ABS ein Schleudern des Fahrzeugs 101. Da ein Blockieren der Räder insbesondere auf der Niedrigreibwertseite verhindert wird, können Seitenführungskräfte an den Rädern aufgebaut werden, die das Störgiermoment, das sich infolge der asymmetrischen Bremskräfte aufbaut, abstützen. Das Störgiermoment wird hierdurch allerdings noch nicht kompensiert. Dies geschieht erst dadurch, dass an den lenkbaren Rädern des Fahrzeugs 101 im Zuge eines Gegenlenkens ein Kompensationslenkwinkel eingestellt wird, der zum Aufbau eines das Störgiermoment ausgleichenden Giermoments führt. Um den Fahrer beim Gegenlenken nicht zu überfordern, ist das ABS in der Regel so programmiert, dass eine Druckdifferenz zwischen den Bremsdrücken an den Vorderrädern des Fahrzeugs 101 langsam aufgebaut wird. Diese als Giermomentaufbauverzögerung bekannte Strategie führt zu einem langsamen Aufbau des Störgiermoments, so dass der Fahrer ausreichend Zeit für die Einstellung des Kompensationslenkwinkels erhält. Das Gegenlenken kann dabei auch durch ein Fahrerassistenzsystem unterstützt werden, das eine von dem Fahrer bediente Lenkhandhabe in einer µ-Split-Situation mit einem Drehmoment beaufschlagt, um dem Fahrer eine Lenkempfehlung für das Gegenlenken zu geben. Gleichfalls kann es auch vorgesehen sein, dass der Kompensationslenkwinkel automatisch mittels eines Regelsystems eingestellt wird. Darüber hinaus werden die Bremsdrücke an den Radbremsen der Hinterräder in der Regel auf den Bremsdruck begrenzt, der auf der Low-Seite, d.h. auf der Seite mit dem niedrigeren Fahrbahnreibwert, eingestellt wird. Diese Strategie wird üblicherweise als Select-Low-Strategie bezeichnet. Sie wird mit dem Ziel angewendet, dass an der Hinterachse ausreichend große Seitenführungskräfte aufgebaut werden können, damit das Fahrzeug 101 auch in kritischen Fahrsituationen durch Lenkaktionen des Fahrers nicht sofort destabilisiert wird.
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Aufgrund des Gegenlenkens entspricht der von dem Fahrer an den lenkbaren Rädern des Fahrzeugs 101 eingestellte Lenkwinkel nicht dem Richtungswunsch des Fahrers. Um bei der Ermittlung der Referenzgierrate zu berücksichtigen, dass der Lenkwinkel einen Kompensationsanteil zum Kompensieren des Störgiermoments aufweist, wird das Störgiermoment bei der Berechnung der Referenzgierrate berücksichtigt.
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In
2 ist ein schematischer Blockschaltplan der Referenzgierratenberechnungseinheit
107 dargestellt. Wie aus der Figur ersichtlich ist, verfügt die Einheit
107 über eine Störgiermomentberechnungseinheit
201, in der ein Schätzwert M̂
z für das aufgrund der asymmetrischen Bremskräfte wirkende Störgiermoment
Mz berechnet wird. Wie anhand der Skizze in
3 veranschaulicht, wird das Störgiermoment
Mz im Allgemeinen durch unterschiedliche Bremskräfte
FFL und
FFR am linken und rechten Vorderrad sowie durch unterschiedliche Bremskräfte
FRL und
FRR am linken und rechten Hinterrad (sofern nicht Select-Low Betrieb mit dann gleichen Bremsdrücken links wie rechts an der Hinterachse) verursacht. Die Bremskräfte auf der Low-Seite (low-µ), bei der es sich in
3 beispielhaft um die linke Fahrzeugseite handelt, sind dabei geringer als die Bremskräfte auf der High-Seite (high-µ) mit dem höheren Fahrbahnreibwert, so dass ein Störgiermoment
Mz erzeugt wird, das ein Eindrehen in Richtung der High-Seite bewirkt. Werden die Bremsdrücke durch das ABS an der Fahrzeughinterachse entsprechend der Select-Low-Strategie eingestellt, so sind die Bremskräfte
FRL und
FRR an den Hinterrädern gleich groß. Wenn auch in geringerem Maße, kommt es jedoch auch hierbei aufgrund unterschiedlicher Bremsdrücke an den Vorderrädern zum Aufbau des Störgiermoments
Mz . Die Störgiermomentberechnungseinheit
201 berechnet das Störgiermoment gemäß
wobei die genannten Größen, die teilweise auch in
4 veranschaulicht sind, folgende Bedeutung haben:
- δ: Lenkwinkel an den lenkbaren Rädern des Fahrzeugs 101
- F̂FL: Geschätzte Bremskraft am vorderen linken Rad 401
- F̂FR: Geschätzte Bremskraft am vorderen rechten Rad 402
- F̂RL: Geschätzte Bremskraft am hinteren linken Rad 403
- F̂RR: Geschätzte Bremskraft am hinteren rechten Rad 404
- SFL : Abstand zwischen dem Radaufstandspunkt des vorderen linken Rades 401 und dem Fahrzeugschwerpunkt COG in Fahrzeugquerrichtung
- SFR : Abstand zwischen dem Radaufstandspunkt des vorderen rechten Rades 402 und dem Fahrzeugschwerpunkt COG in Fahrzeugquerrichtung
- SRL : Abstand zwischen dem Radaufstandspunkt des hinteren linken Rades 403 und dem Fahrzeugschwerpunkt COG in Fahrzeugquerrichtung
- SRR : Abstand zwischen dem Radaufstandspunkt des hinteren rechten Rades 404 und dem Fahrzeugschwerpunkt COG in Fahrzeugquerrichtung
- IF: Abstand zwischen der Vorderachse und dem Fahrzeugschwerpunkt COG
- lR: Abstand zwischen der Hinterachse und dem Fahrzeugschwerpunkt COG
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Die Gleichung (1) kann auch in vereinfachter Form
angewandt werden, wobei die folgenden Annahmen zu Grunde liegen können:
- • Schwerpunkt in der Fahrzeugmitte (Abstände der Räder links und rechts vom Schwerpunkt sind identisch)
- • Bei der Annahme kleiner Lenkbewegungen können die trigonometrischen Anteile linearisiert werden
- • Select Low an der Hinterachse, wobei die Bremsdrücke an der Hinterachse links wie rechts identisch sind
Besitzt das Fahrzeug auch eine Hinterradlenkung, so muss der Hinterradlenkwinkel auch ähnlich dem Vorderradlenkwinkel berücksichtigt werden.
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Die in
4 veranschaulichten Parameter l
i, i = F,R, und s
ij, i = F,R, j=L,R, sind im Wesentlichen konstant, wenn davon ausgegangen wird, dass die Lage des Fahrzeugschwerpunkts COG sich im Wesentlichen nicht verändert. Sie können daher einmalig bestimmt und als feste Parameter in einem Speicher des Fahrdynamikregelsystems hinterlegt werden. Im Hinblick auf die Bremskräfte kann von einem linearen Zusammenhang zwischen den Bremskräften an den Rädern
401,...,404 und dem Bremsdruck an den zugehörigen Radbremsen ausgegangen werden, da der Bremsschlupf an den Rädern
401,...,
404 durch das ABS begrenzt wird. Daher können die Bremskräfte in einfacher Weise aus Bremsdruckinformationen ermittelt werden. In einer ersten Ausführungsform wird neben dem äußeren von den Radbremsen bewirkten Drehmoment das durch das Trägheitsmoment der Räder bewirkte Drehmoment berücksichtigt. Die Bremskräfte an den Rädern
401,...,
404 werden in dieser Ausführungsform durch
berechnet, wobei p
ij den Bremsdruck bzw. den Blockierbremsdruck, ω
ij die Winkelgeschwindigkeit und J
Whl,ij das Trägheitsmoment des vorderen linken (ij = FL), vorderen rechten (ij = FR), hinteren linken (ij = RL) und hinteren rechten (ij = RR) Rades bezeichnet. Bei der Größe B handelt es sich um einen bremsanlagenspezifischen Parameter und mit r ist der dynamische Halbmesser der Räder bezeichnet. Der dynamische Radhalbmesser r, der Parameter B sowie die Trägheitsmomente J
Whl,ij sind im Wesentlichen unveränderliche Größen, die nach ihrer einmalige Bestimmung in einem Speicher des Fahrdynamikregelsystems hinterlegt werden können; gleichfalls sind jedoch auch Schätzverfahren zum Ermitteln einer oder mehrerer dieser Größen einsetzbar. Die Winkelgeschwindigkeiten ω
ij der Räder
401,...,
404 können mithilfe der Raddrehzahlsensoren ermittelt werden. Die in den Radbremsen vorliegenden Bremsdrücke p
ij können mithilfe von Drucksensoren ermittelt werden oder modellbasiert geschätzt werden. In einer zweiten Ausführungsform werden die Bremskräfte unter Vernachlässigung des dynamischen Radverhaltens durch
geschätzt. Gleichfalls kann auch eine Messung der Bremskräfte vorgesehen sein, wozu beispielsweise bekannte Torsionssensoren an den Rädern eingesetzt werden können.
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Das anhand von Gleichung (1) geschätzte Störgiermoment M̂
z bildet das Ausgangssignal der Störgiermomentberechnungseinheit
201 (
2) und wird dem Block
202 der Referenzgierratenberechnungseinheit
107 zugeführt. In dem Block wird die Referenzgierrate nach Maßgabe der Fahrzeuggeschwindigkeit v und dem Lenkwinkel δ in einer Ausführungsform anhand eines linearen Einspurmodells des Fahrzeugs
101 ermittelt. Dem Modell liegt einerseits die Bilanz der Querkräfte zugrunde, für die gilt
wobei mit m die Fahrzeugmasse, mit α
y Querbeschleunigung des Fahrzeugs
101, mit
FY,F die an der Vorderachse wirkenden Querkräfte und mit
FY,R die an der Hinterachse wirkenden Querkräfte bezeichnet sind. Da die Fahrzeugmasse im Wesentlichen konstant ist, kann diese in einem Speicher des Fahrdynamikregelsystems hinterlegt werden. Anderseits basiert das Modell auf der Drehmomentbilanz bezüglich der Fahrzeughochachse, für die unter Berücksichtigung des Störgiermoments gilt
wobei mit
Jz das Trägheitsmoment des Fahrzeugs
101 bezüglich seiner Hochachse bezeichnet ist, das beispielsweise in dem Speicher des Fahrdynamikregelsystems hinterlegt werden kann. Insbesondere durch eine Linearisierung und durch Berücksichtigung der Schräglaufsteifigkeit c
F der Vorderräder und der Schräglaufsteifigkeiten c
R der Hinterräder sowie anhand der Beziehung α
y = ν · (ψ̇+β̇) ergeben sich aus den Gleichungen (4) und (5) die Zustandsgleichungen
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Für die Einträge α
ij der Matrix A = (α
ij) mit i,j=1,2 gilt dabei
und für die Komponenten des Vektors
gilt
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Anhand von Gleichung (6) wird in dem Block 202 die Referenzgierrate ψ̇ref des Fahrzeugs 101 berechnet, wobei für das Störgiermoment Mz der innerhalb der Einheit 201 berechnete Schätzwert M̂z eingesetzt wird. Das Störgiermoment wird durch den Zusatzterm (0,1/Jz)TMz innerhalb des an sich bekannten linearen Einspurmodells berücksichtigt. In analoger Weise können zur Berechnung der Referenzgierrate auch beliebige andere Fahrzeugmodelle herangezogen werden, etwa ein nichtlineares Einspurmodell oder ein Zweispurmodell des Fahrzeugs 101. Auch in diesen Modellen kann das Störgiermoment in ähnlicher Weise berücksichtigt werden.
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Bei der in der 2 dargestellten Ausführungsform der Referenzgierratenberechnungseinheit 107 wird laufend ein Schätzwert für das Störgiermoment in der Störgiermomentberechnungseinheit 201 ermittelt und bei der Berechnung der Referenzgierrate berücksichtigt. Bei einer weiteren, in 5 dargestellten Ausführungsform ist es vorgesehen, dass das berechnete Störgiermoment erst nach der Freischaltung durch eine Aktivierungseinrichtung 501 berücksichtigt wird. Erfolgt keine Freischaltung, wird ein Störgiermoment von M̂z = 0 zugrunde gelegt. Die Freischaltung erfolgt vorzugsweise nur bei Vorliegen seitenweise verschiedener Bremskräfte. Sie kann beispielsweise in Abhängigkeit von den Bremsdrücken pij vorgenommen werden, wenn die Druckdifferenz an der Vorder- oder Hinterachse einen vorgegebenen Schwellenwert überschreitet. Ferner kann auch von dem ABS ein µ-Split-Flag zur Freischaltung übermittelt werden.
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Aufgrund der Berücksichtigung des Störgiermoments bei der Berechnung der Referenzgierrate wird der an den lenkbaren Rädern eingestellte Lenkwinkel nicht vollständig als Fahrerrichtungswunsch interpretiert. Es wird vielmehr berücksichtigt, dass der Lenkwinkel einen Kompensationsanteil zur Kompensation des Störgiermoments aufweist. Unerwünschte Eingriffe des Fahrdynamikregelsystems während eines Bremsvorgangs in einer µ-Split-Situation werden somit verhindert. Erst ein von dem Kompensationslenkwinkel abweichender Lenkwinkel an den lenkbaren Rädern des Fahrzeugs 101 wird als Fahrerrichtungswunsch interpretiert und führt gegebenenfalls zu einem stabilisierenden Eingriff des Fahrdynamikregelsystems, wenn das Fahrzeugverhalten von dem anhand der Referenzgierrate vorgegebenen Sollverhalten abweicht.