Der Bundesnachrichtendienst (BND) hat in den achtziger Jahren eine Spionin im Umfeld des heutigen russischen Präsidenten Wladimir Putin geführt. Wie der Geheimdienstexperte Helmut Müller-Enbergs der ZEIT sagte, warb der BND in der Dresdner KGB-Filiale in der Angelikastraße eine sogenannte Innenquelle an. Dort bildete der damals 33-jährige Putin DDR-Bürger zu Funkagenten aus.

Die Dolmetscherin erhielt den Decknamen Lenchen. Sie sei auch mit Putins Ehefrau Ljudmila befreundet gewesen, sagte Müller-Enbergs. "Der BND bekam so also auch Informationen über sein Privatleben." Nach einer Liaison mit einem KGB-Offizier wurde die Agentin aber abgezogen und in der Bundesrepublik mit neuer Identität versehen.

Die russische Regierung hatte den gesamten Vorgang zwar dementiert. "Trotzdem würde ich angesichts der Quellenlage formulieren: Als Putin 1999 als Ministerpräsident das Ruder in Russland übernahm, war er für die zuständigen Stellen in Deutschland kein Unbekannter", sagte Müller-Enbergs, der Professor für Spionagegeschichte an der Süddänischen Universität Odense ist. Seit 1992 arbeitet Müller-Enbergs als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stasi-Unterlagenbehörde. Er gilt als einer der besten Kenner des DDR-Geheimdienstes.

US-Lauschangriffe lange vor Snowden bekannt

Seinen Angaben zufolge waren deutschen Behörden auch die Abhöraktivitäten des NSA in Deutschland lange vor den Papieren des US-Whistleblowers Edward Snowden bekannt. Die DDR-Stasi hatte demnach 1983 einen Unteroffizier in der US-Abhörstation auf dem Westberliner Teufelsberg als Agenten angeworben. "Der lieferte unter anderem eine 68-seitige Liste mit allen Telefonnummern, die von dort aus abgehört wurden – in Ost- und in Westdeutschland. Die Liste war ein Schatz."

Nach dem Mauerfall wurden die Unterlagen offenbar auf politischen Druck aus den Archiven der Gauck-Behörde entfernt. Laut Müller-Enbergs standen auf ihr alle Telefonnummern, die die NSA in Ost- und Westdeutschland abhörte. Dazu gehörten unter anderem das Bonner Kanzleramt oder das Funktelefon im Auto des damaligen BND-Präsidenten. "Man hätte schon vor mehr als zwei Jahrzehnten die Debatte führen können, was befreundete Staaten dürfen und was nicht", sagte Müller-Enbergs.

Verwanzte Wohnung an Egon Bahr vermietet

Der Brandt-Referent Günther Guillaume war laut Müller-Enbergs kein Spitzenagent der Stasi, sondern "nicht mal Mittelklasse". Die Topspione der DDR seien stattdessen "Menschen, die kaum jemand kennt". Der Wissenschaftler nannte unter anderem den einstigen Lobbyisten des Flick-Konzerns, Hans-Adolf Kanter. "Er war CDU-Mitglied, Lobbyist des Flick-Konzerns in Bonn, eng befreundet mit führenden Unionspolitikern und Wirtschaftsmanagern – und arbeitete von 1948 bis 1989 für Ost-Berlin", sagte Müller-Enbergs. Kanter habe sogar Egon Bahr eine mit Abhörgeräten verwanzte Wohnung in West-Berlin vermietet.