Das Handicap des Owen King
Der Sohn des Bestsellerautors Stephen King hat einen politischen Roman geschrieben
Es gibt miesere Voraussetzungen, Schriftsteller zu werden. Man könnte in den Slums am Rande Teherans geboren sein, aus einer ehemaligen Hometown Südafrikas kommen oder in einer brasilianischen Favela leben. Abgesehen davon allerdings ist literarischer Ruhm schon statistisch gesehen reichlich unwahrscheinlich, wenn der eigene Vater zu den meistgelesenen Autoren des 20. Jahrhunderts zählt. Sicher - in Papas Regalen standen viele Bücher; und klar - ein paar wichtige Telefonnummern kannte Papa bestimmt auch. Läßt man aber beiseite, daß es für diesen jungen Mann näher lag als für andere, sich auf das Schreiben zu verlegen (und Papas Erfolg das finanzielle Risiko einer solchen Entscheidung erheblich reduzierte), dürfte er mit seiner Herkunft doch so manches Mal gehadert haben.
Denn Owen King ist der Sohn von Stephen King, dem Auflagenkönig und Herrscher über den Horrorroman. "Es war", so sagte einmal der bekannte Sohn eines bekannten Vaters, "unbedingt von Vorteil, der Sohn meines Vaters zu sein. Beruflich allerdings war es eher von Nachteil." Und was ein junger, ehrgeiziger Schriftsteller wohl fühlt, wenn zum Buchstart seines Debütromans ausgerechnet die Fanpage seines alten Herrn ein Gewinnspiel veranstaltet?
Owen King ist das jüngste der drei Kinder Stephen und Tabitha Kings, die übrigens auch Romane schreibt. Tochter Naomi wurde noch in Armut geboren und betreibt heute in New York ein Restaurant; und Joseph, Sohn Nummer eins, ist nur ein Jahr jünger als sie und hat in der Stephen King-Verfilmung "Creepshow" einmal eine Kinderrolle gespielt. Gemeinsam mit Owen, dem Nesthäkchen, schreibt Joe heute Drehbücher.
Owen wiederum wurde 1977 geboren, im Erscheinungsjahr von "Shining" - in Wohlstand also und im gewaltigen Schatten des väterlichen Ruhmes. Der war groß genug, daß Owens kindliche Vorliebe für Spielfiguren der Serie "GI Joe" den Hersteller Hasbro dazu veranlaßte, eine dieser Figuren nach Owen zu benennen. Als Geburtsort des plastikglänzenden Infanteristen Owen King - "Ein wahrer amerikanischer Held", stand damals auf der Packung - wurde, wie im wirklichen Leben, "Bangor, Maine" angegeben. Dort verbrachte Owen King, bis er sich an die Columbia University begab, eine wohlbehütete Jugend. Noch heute übrigens hat er sich das Gehabe eines "American Guy" bewahrt. Anders als Papa lebt der Sohn in der großen Stadt - Brooklyn -, wie Papa ist er mit einer eher unbekannten Schriftstellerin liiert. Vor allem aber steht Owen King auf Baseball und ist, was sich Deutsche nie so recht vorstellen können: ein linker Patriot.
Von linken Patrioten handelt denn auch sein erster Roman "Der wahre Präsident von Amerika". Dem sind, weil die Geschichte kurz ist, gleich einige, bereits preisgekrönte Kurzgeschichten des Jungautors beigebunden. Zwei Dinge an diesem Roman fallen auf: Erstens: Er überzeugt - und zwar ganz aus sich selbst heraus; und zweitens: Er läuft fast über vor gesellschaftskritischen Anspruch. So als könnte nur das irgendwie repräsentative Personal des Gesellschaftsromans Papas eralpträumte Zombies austreiben. Tatsächlich geht es im Buch um nicht weniger als den Niedergang der Gewerkschaften, die "gestohlene" Präsidentschaftswahl von 2000, um militante Abtreibungsgegner, Neofaschisten, die Alterung der Gesellschaft, die Krise der Familie, Ralph Nader und die Nafta. Das alles übrigens auf knapp 200 Seiten. Seit der junge, tatsächlich um einiges sprachmächtigere Jonathan Franzen vor bald 20 Jahren mit einem Roman über die Globalisierung, die Reaganomics und das Sterben der Innenstädte debütierte, haben wohl nur wenige so früh so viel gewollt. Was ein wenig pikant ist. Regte sich doch vor nicht allzu langer Zeit ausgerechnet Vater Stephen über Franzens "Korrekturen" auf: Er fand sie "herablassend" und "maßlos", ihm vermittelten sie nur eines: "Ich bin cleverer als du, mondäner als du, gebildeter als du, besser als du." Klingen so nicht Konflikte zwischen Aufsteigervater und Aufsteigersohn?
Wahrscheinlich eher nicht. Das Vaterthema hat Owen King in seinem ersten Roman gesellschaftlich wohl begründet und deshalb geradezu elegant umschifft: Sein jugendlicher Held George nimmt den eigenen Vater wegen dessen chronischer Unzuverlässigkeit als Vater gar nicht war. Nur eine kleine Abnormität teil er sich mit seinem Erzeuger: Beide haben sechs Zehen - und dazu fiele gewiß auch Stephen King etwas ein. Dem fiktiven Vater allerdings ist die kleine Teufelszehe schon abgefallen. Und vielleicht ist es ja ohnehin so, daß die Zombies dieser Tage gar nicht mehr auf dem Friedhof leben.
"Der wahre Präsident von Amerika" (Rütten & Löning, 313 S., 19,90 Euro)