"Die Endlösung der Israel-Frage"
Henryk M. Broder verfolgt seit 1976, was in linken Organen über den Nahost-Konflikt geschrieben wurde. Was er fand: Antisemitismus im Kostüm des Antizionismus.
Unter anderen Bedingungen hätte aus mir was werden können. Im Sommer 1946, fünfzehn Monate nach Kriegsende geboren, hatte mich das Schicksal einem Vater und einer Mutter zugeteilt, die sich gegenseitig das Überleben übel nahmen. Wäre ich gefragt worden, ob ich unter diesen Voraussetzungen auf die Welt kommen wollte, hätte ich sicher mit einem klaren „Nein!“ geantwortet. Ich hatte eine ziemlich miese Kindheit im polnischen Kattowitz.
Die Jugend im rheinischen Köln war auch nicht viel besser. Wurzeln schlagen, irgendwo heimisch werden, das kam nicht infrage. Wir waren auf der Durchreise. Leider hatten meine Eltern vergessen, wohin sie eigentlich wollten. In die Schweiz? Nach Amerika? Oder doch nur zur Kur nach Bad Kissingen?
Lernte früh, was „Streitkultur“ bedeutet
Es gab immer genug zu essen, auch über einen Mangel an Emotionen konnte ich mich nicht beklagen. Dass sich meine Eltern nicht gegenseitig umbrachten, lag vor allem daran, dass ich im entscheidenden Augenblick dazwischenging und sie entwaffnete. So lernte ich sehr früh, was „Streitkultur“ bedeutet.
Mit 18 machte ich den Führerschein, mit 20 das Abitur, dazwischen verlor ich die Unschuld an Christiane, eine Trotzkistin aus gutem Hause, die sich sehr viel Mühe machte, mir den Unterschied zwischen der Dritten und der Vierten Internationale zu erklären.
Sie brachte mir auch alles Wissenswerte über die „Diktatur des Proletariats“ bei, die reaktionäre Kleinbürger wie mich, die sich weigerten, morgens um fünf Flugblätter an Fordarbeiter zu verteilen, sofort an die Wand stellen oder in ein Erziehungslager einweisen würde.
Sie versprach, sich dafür einzusetzen, dass man mich im Erziehungslager anständig behandelt, allerdings konnte sie mir weder ein Einzelzimmer garantieren noch zusichern, dass man mir erlauben würde, abends nach getaner Zwangsarbeit einen anderen Sender als Radio Tirana zu hören. Später erfuhr ich, dass sie heimlich Klavierstunden bei einem Privatlehrer nahm.
Ich war, natürlich, links, nahm an Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg, Springer und die Erhöhung der Fahrpreise bei den Kölner Verkehrsbetrieben teil. Ich bedauerte, den Kriegsdienst nicht verweigern zu können, weil ich, als Kind von Überlebenden, gar nicht dazu eingeladen wurde, ihn zu leisten.
Besonderes Interesse – Darstellung der Sexualität in Wort und Bild
Gleich nach dem Abitur wollte ich Jurist werden, Strafverteidiger, der Unschuldige aus den Klauen der Klassenjustiz befreite, später Soziologe, der die Arbeit von Max Weber und Émile Durkheim fortsetzte. Mein besonderes Interesse galt der Darstellung der Sexualität in Wort und Bild, die Feldarbeit leistete ich in Antiquariaten, die „Bücher für Erwachsene“ anboten:
„Die vollkommene Ehe“ von Theodor Hendrik van de Velde, „Josefine Mutzenbacher“ von Felix Salten, die „Venus im Pelz“ von Leopold von Sacher-Masoch, die „Sittengeschichte“ in sechs Bänden von Eduard Fuchs.
Mit 24 schrieb ich mein erstes Buch, „Wer hat Angst vor Pornographie?“, eine wilde Suada gegen Zensur im Literaturbetrieb, die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften und notgeile Staatsanwälte, die sich bei der Jagd auf unanständige Bücher abreagierten. Ich ließ mich, nur mit einem Handtuch bekleidet, als Pin-up-Boy fotografieren, was meine Eltern dermaßen aus der Fassung brachte, dass sie ihre Streitigkeiten für eine Weile einstellten.
So tobte ich durch das Leben, wie ein Kind auf einer Kirmes, vom Autoskooter zur Achterbahn, vom Kettenkarussell zum Riesenrad. Es gab damals kein Facebook, kein Internet, keine Klimakatastrophe und kein allgemeines Rauchverbot. Wer etwas erleben wollte, konnte aus dem Haus gehen, ohne sich dabei Sorgen über den CO2-Fußabdruck zu machen, den er den nachfolgenden Generationen hinterließ.
Anfang September 1972 kam es zu dem „Massaker von München“. Palästinensische Terroristen aus dem Umfeld des „Schwarzen September“ überfielen die israelische Olympiamannschaft, nahmen elf israelische Sportler als Geiseln und brachten zwei von ihnen gleich bei der Geiselnahme um. Die übrigen neun wurden bei einem missglückten Befreiungsversuch getötet.
Ich gab mir damals alle Mühe, das Ereignis zu ignorieren oder es zumindest nicht als das wahrzunehmen, was es war: ein politisch motivierter Mord an Juden unweit der Stelle, an der bis 1945 einige Zehntausend Häftlinge im Konzentrationslager Dachau vom Leben zum Tode befördert worden waren.
Kommentar der Medien zu dem Anschlag
Noch auffälliger war, wie der Anschlag in den Medien kommentiert wurde: zum einen als ein Versagen der deutschen Sicherheitsorgane, zum anderen als Reaktion auf die Politik Israels den Palästinensern gegenüber.
Vor allem aber als eine Bedrohung für die „heiteren Spiele“, die „eine Werbung für die Bundesrepublik Deutschland sein“ sollten (Willy Brandt), ein unbeschwertes, fröhliches Land, weltoffen und gastfreundlich, ganz anders als das Dritte Reich, das sich 1936 mit Olympischen Spielen schmückte.
Nach dem Tod der elf israelischen Sportler wurden die „heiteren Spiele“ fortgesetzt, als wäre ein Lieferwagen mit Leberkäse auf dem Weg zum Olympiapark verunglückt.
Die heiteren Spiele gingen mit einer heiteren Feier zu Ende. Danach ging es nur noch um die Frage, ob die Bundesrepublik „Schadenersatz“ an die Angehörigen der Opfer zahlen sollte.
Vier Jahre später, im Sommer 1976, wurde eine Air-France-Maschine auf dem Flug von Tel Aviv nach Paris nach einer Zwischenlandung in Athen von zwei Terroristen der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ und zwei Angehörigen der deutschen „Revolutionären Zellen“ über Bengasi in Libyen nach Entebbe in Uganda entführt.
Die Entführer wollten über 50 inhaftierte Gesinnungsgenossen aus Gefängnissen in Israel, Deutschland, Frankreich und der Schweiz freipressen, darunter Angehörige der RAF und der „Bewegung 2. Juni“.
Bis dahin handelte es sich um ein „normales“ terroristisches Unternehmen. Dann aber fand auf dem Flughafen von Entebbe eine Selektion statt: 80 Israelis und 22 Juden mit französischen Pässen wurden aussortiert und festgesetzt, die übrigen Passagiere freigelassen. Sie durften mit einer anderen Air-France-Maschine heimfliegen.
Da die palästinensischen Terroristen aufgrund gewisser Bildungsdefizite nicht imstande waren, Juden von Nichtjuden anhand der Namen in den Pässen zu unterscheiden, übernahm der deutsche Terrorist Wilfried Böse - nomen est omen - diese Aufgabe. Als ihm einer der jüdischen Passagiere seine auf den Unterarm eintätowierte KZ-Nummer zeigte, soll Böse gesagt haben, er sei kein Nazi, sondern ein „Idealist“.
Eine Woche nach der Entführung der Air-France-Maschine, in der Nacht vom 3. auf den 4. Juli 1976, landete ein israelisches Kommando in Entebbe, liquidierte die Geiselnehmer, befreite die Geiseln aus der Obhut der ugandischen Armee und flog sie über Nairobi nach Tel Aviv. Bei der Befreiungsaktion kamen drei der 103 Geiseln ums Leben.
Eine 75 Jahre alte Israelin, die in einem Krankenhaus in Kampala lag, wurde am folgenden Tag von Mitarbeitern des ugandischen Präsidenten Idi Amin in ihrem Bett getötet, ebenso die Ärzte und Krankenschwestern, die sie beschützen wollten.
Kaum waren die befreiten Geiseln in Tel Aviv gelandet, setzte eine Diskussion über die völkerrechtlichen Aspekte der israelischen Kommandoaktion ein. Der damalige UN-Generalsekretär Kurt Waldheim, ein Österreicher mit einer lupenreinen NS-Vergangenheit, bezeichnete die Aktion als eine „ernste Verletzung der Souveränität eines UN-Mitgliedsstaates“. Deutsche Antiimperialisten stimmten Waldheim zu und beklagten in Botschaften an Idi Amin die „flagrante Verletzung der Souveränität“ Ugandas durch die brutalen Israelis.
Ich kam mir vor wie ein Besucher in einem Irrenhaus, in dem die Patienten die Verwaltung an sich gerissen hatten. Stein des Anstoßes war nicht die Entführung der Maschine und die Selektion der jüdischen Geiseln - die erste nach 1945 -, es war die israelische Aktion zur Befreiung der Geiseln. Die „Operation Entebbe“ war mein privates Erweckungserlebnis.
Anders als bei dem Olympia-Anschlag von 1972 war ich nicht in der Lage, mich in das Paradies der selig machenden Ignoranz zurückzuziehen. Wenn dies das fortschrittliche politische Milieu war, dann wollte ich mit dieser verkommenen Mischpoche nichts zu tun haben.
Die gleichen Dritte-Welt-Aficionados, die bewaffnete Befreiungsbewegungen unterstützten, ohne sich um die Souveränität der betroffenen Staaten zu kümmern, die gleichen Hinterfrager, die nicht verstehen konnten, warum die Juden keinen Widerstand geleistet und sich „wie Vieh zur Schlachtbank“ hatten führen lassen, waren nun ganz aus dem Häuschen, weil die Souveränität einer Telenovela-Republik verletzt wurde und Juden Widerstand geleistet hatten, ohne einen UN-Beschluss zum Umgang mit Entführern und ihren Komplizen abzuwarten.
Der „Ständige Ausschuss des Politbüros des ZK der KPD“ - einer kleinen, aber sehr aktiven und lautstarken maoistischen Gruppe - gab eine „Erklärung“ heraus, die mit dem Satz schloss: „Dem Ministerpräsidenten von Uganda, seiner Exzellenz Idi Amin, drücken wir unsere uneingeschränkte Solidarität aus und versichern ihm unser tief empfundenes Mitgefühl anlässlich der Ermordung von Angehörigen der ugandischen Armee.“
Das Zentralorgan einer anderen maoistischen Organisation, des vor allem an Universitäten aktiven KBW, stellte grundsätzliche Überlegungen zur „Geschichte des Zionismus“ an, die vor allem eine „Geschichte des Terrors“ sei:
„Mit seiner bewaffneten Aggression gegen Uganda, einen souveränen Staat, 3700 km von Israel entfernt, hat der zionistische Staat eine weitere Seite in dieser Geschichte aufgeschlagen. Der zionistische Staat und seine imperialistischen Hinterleute mögen es noch eine Weile so treiben und die Unabhängigkeit der Staaten mit Füßen treten. Ihr Weg führt unvermeidlich in den Untergang. Hitlers Blitzkriege haben oberflächlichen Beobachtern große Bewunderung und großes Erstaunen abgerungen. Man weiß, wie es mit dem 3. Reich geendet hat ... Die jetzige Aggression Israels gegen einen unabhängigen und souveränen Staat Afrikas wird früher oder später die angemessene Antwort erhalten ...“
„Blutrünstige und machtgierige Bastion gegen die Völker“
Das waren sozusagen rhetorische Höhenflüge aus gegebenem Anlass. Aber auch die ganz normale tägliche Berichterstattung kam ohne antisemitische Sottisen nicht aus.
Israel, der „militärische Brückenkopf der US-Imperialisten mitten im Herzen der arabischen Länder“, ist „die blutrünstige und machtgierige Bastion gegen die Völker“, ein „bis an die Zähne bewaffneter grausamer Feind, der auch vor Völkermord nicht zurückschreckt“, „die israelischen Faschisten kennen kein Erbarmen“, „die Zionisten sind tausendfach Mörder und nur durch Terror und Massenmord in den Besitz des palästinensischen Territoriums gelangt“, „israelische Supermörder“ und „zionistische Mordbanden“ bedienen sich „des faschistischen Terrors, um ganze Landstriche Palästinas araberfrei zu machen“, die Zionisten sind „die Nazis unserer Tage“, in Israel zeigt sich „der unterdrückerische und menschenverachtende Charakter des israelischen Kolonialstaates“ und „der menschenverachtende und parasitäre Charakter des israelischen Unterdrückerstaates“, Israel wird „von einer Militärkaste beherrscht“ und ist ein „mit geraubtem Land und geschnorrtem Geld errichtetes künstliches Gebilde“.
Die „Zentralorgane“, in denen diese Überlegungen zur Lage im Nahen Osten erschienen sind, gibt es nicht mehr, sie modern im Abgrund der Geschichte. Aber die Inhalte der „Roten Fahne“, des „Roten Morgens“, der „Kommunistischen Volkszeitung“, des „Arbeiterkampfes“ und anderer Sprachrohre des Anti-Imperialismus findet man heute in der FAZ und der taz, der SZ und der FR, dem „Stern“ und der „Berliner Zeitung“.
Heutiger Mainstream
Etwas feiner formuliert, aber substanziell gleich. Im redaktionellen Teil, in den Leserbriefen und in den Foren der Online-Angebote. Was in den 70er-Jahren an den Rändern der Gesellschaft vor sich hin köchelte, macht sich heute im Mainstream breit.
Alles, was man über den „menschenverachtenden Charakter des israelischen Unterdrückerstaates“ wissen muss, fasste „Focus Online“ in einem einzigen Satz zusammen: „Israel droht mit Selbstverteidigung.“ Ja, so sind sie, die Zionisten: passiv-aggressiv und bis an die Zähne bewaffnet, während die Hamas im Gazastreifen nur „selbst gebaute“ bzw. „selbst gebastelte“ Raketen abfeuert, harmlos wie Silvesterkracher, wie uns immer wieder versichert wird, um die „Unverhältnismäßigkeit“ der israelischen „Vergeltungsmaßnahmen“ zu beschreiben.
Antisemitismus im Kostüm des Antizionismus
Mit Entebbe war es mit meinem „state of denial“ schlagartig vorbei. Ich mutierte zu einem Streckenwärter, der die Gleise entlangläuft und einsammelt, was aus den vorbeifahrenden Zügen fällt. Ich las die vielen linken Organe und exzerpierte alles, was mit dem Konflikt im Nahen Osten zu tun hatte. Von einer bösartigen, einseitigen, tendenziösen Berichterstattung oder Kommentierung zu sprechen, wäre eine arge Untertreibung.
Es war der reine Antisemitismus im Kostüm des Antizionismus; die Maskerade war ein wichtiger Teil der Vorstellung, denn nicht nur Gerhard Zwerenz war damals der Überzeugung, ein Linker könne von Natur aus kein Antisemit sein, basta!
„Juden“ gegen „Zionisten“ getauscht
Die private Überzeugung von Zwerenz und seiner politischen Freunde war in der DDR Teil der Staatsräson. Da man mit dem Dritten Reich nichts zu tun und den „Hitler-Faschismus“ mit Stumpf und Stiel „ausgerottet“ hatte, war man auch gegen Antisemitismus vollkommen immun.
Man hatte einfach „Juden“ gegen „Zionisten“ und „Weltjudentum“ gegen „Zionismus“ ausgetauscht - so wie Gysi und seine Freunde später den Firmennamen „SED“ aufgaben und sich den Namen „Partei des demokratischen Sozialismus“ zulegten.
Historischer Müll außer Landes
Sowohl in der Bundesrepublik wie in der DDR war Antisemitismus gleichbedeutend mit Rassismus und Ressentiment, roch nach SA, SS und Zyklon B. Antizionismus aber war eine saubere politische Haltung, man hatte nichts gegen Juden, denen so Schreckliches widerfahren war, man übte nur Kritik am Verhalten der Zionisten, den „Nazis unserer Tage“.
Die Verlagerung der eigenen Vergangenheit auf Israel war ein durchaus kluges Manöver, auch wenn es nicht aus dem Kopf, sondern aus dem Verdauungstrakt kam. Deutschland hatte einfach ein zu großes Stück Geschichte abgebissen, das nun buchstäblich quer im Magen lag und Schmerzen verursachte.
Kampf gegen einen „grausamen Feind“
Und so wie man gelegentlich deutschen Müll auf Deponien im benachbarten Ausland entsorgte, so wollte man auch den historischen Müll außer Landes bringen. Ihn nach Israel zu schaffen, hatte gleich zwei Vorteile: Erstens konnte man damit den „Judenknacks“ (Dieter Kunzelmann) loswerden, der die Deutschen an ihrer „Wiedergutwerdung“ (Eike Geisel) hinderte. Zweitens holte man damit vollkommen risikolos den Widerstand nach, den die eigenen Eltern nicht geleistet hatten.
Man kämpfte gegen „israelische Faschisten“, die Palästina „araberfrei“ machten, gegen einen „grausamen Feind“, der auch vor „Völkermord“ nicht zurückschreckte. Aber es waren nicht die Wehrmacht, die Waffen-SS und die Sondereinheiten des Reichssicherheitshauptamts (RSHA), die hinter der Front aufräumten, es waren „israelische Supermörder“ und „zionistische Mordbanden“, die man daran hindern musste, ein anderes Volk, die Palästinenser, auszurotten.
„Israelkritik“ nicht ohne einen Rekurs auf das Dritte Reich
Damals wie heute kam die „Israelkritik“ nicht ohne einen Rekurs auf das Dritte Reich aus. Mir waren der obsessive Charakter und die historische Dimension dieser Strategie nicht klar, ich fand sie nur seltsam. Ich ahnte, es ging nicht um Israelis, es ging um Deutsche, die Kinder von Adolf Eichmann, Heinrich Himmler und Reinhard Heydrich.
Das Einzige, was man ihnen zugutehalten konnte, war, dass sie tatsächlich mit der eigenen Geschichte haderten. Das reichte aber nicht, um ihnen durchgehen zu lassen, dass sie in den Spuren ihrer Eltern wandelten. Die Deutschen, schrieb Wolfgang Pohrt, führten sich auf wie „Bewährungshelfer“, die vor allem darauf achten, dass „ihre Opfer nicht rückfällig werden“. Eine bessere, genauere und trostlosere Beschreibung der deutschen Krankheit ist noch niemandem gelungen.
Hinzu kam, dass die einzelnen linken Gruppen und „Massenorganisationen“ sich bis aufs Blut bekämpften, gegenüber Israel aber eine feste Front bildeten. Israel war nicht nur der kleinste, es war auch der einzige gemeinsame Nenner ihrer Politik.
Ein Mann wie Klaus Rainer Röhl, der Herausgeber der Zeitschrift „konkret“, war in der linken Szene höchst umstritten, seinem Satz, Israel sei ein „mit geraubtem Land und geschnorrtem Geld errichtetes künstliches Gebilde“, konnten aber alle zustimmen, die sich mit ihm nicht einmal auf die beste Whiskey-Sorte einigen konnten.
Dabei - wir sind noch in den 70er-Jahren, acht Jahre nach dem Sechstage- und drei Jahre nach dem Jom-Kippur-Krieg - ging es nicht um die besetzten Gebiete, um Gaza, den Golan und die Westbank, es ging um Israel an sich, ein mit geraubtem Land und geschnorrtem Geld errichtetes künstliches Gebilde, das man seinen rechtmäßigen Besitzern zurückgeben müsse.
So wie Deutschland „Wiedergutmachung“ an den Juden geleistet hatte, so sollte es auch dafür sorgen, dass die Palästinenser entschädigt werden, denn sie waren ja die „Opfer der Opfer“. Der moralische Imperativ dieser Forderung bestimmt bis heute die deutsche Haltung zum Nahostkonflikt.
Bekennung zum Antisemitismus
Damals wie heute war es schwierig bis unmöglich, einen ehrlichen Antisemiten zu finden, der aus seinem Herzen keine Mördergrube macht. Eher zeigt sich ein Steuerhinterzieher selbst beim Finanzamt an, als dass ein ganz normaler Deutscher zugibt, ein Problem mit Juden zu haben. Solange sich der Antisemitismus auf Ausgrenzung und Diskriminierung beschränkte, war er eine halbwegs ehrenwerte Haltung, nicht nett, aber auch nicht letal.
Nach Auschwitz wäre ein offenes Bekenntnis zum Antisemitismus eine retroaktive Beihilfe zum Massenmord. Es ist also erheblich komplizierter geworden, die Juden nicht zu mögen und diesem Gefühl einen zeitgemäßen Ausdruck zu verleihen - indem man zum Beispiel schreibt, Israel sei ein „mit geraubtem Land und geschnorrtem Geld errichtetes künstliches Gebilde“.
In diesem Satz stecken zwei Botschaften. Erstens: Die Israelis sind Landräuber und Schnorrer, eine Variante des antisemitischen Klassikers von den Juden als Blutsauger und Parasiten. Zweitens: Ein auf dieses Weise zustande gekommenes „künstliches Gebilde“ hat keine Existenzberechtigung.
Raub und Schnorrerei
Natürlich sagte Röhl nicht, so ein Land gehöre abgeschafft oder aufgelöst. Aber genau das ist der Subtext, der sich dem Leser erschließt. Weg mit diesem künstlichen Gebilde, das durch Raub und Schnorrerei entstanden ist!
Als Röhl diese Zeilen schrieb, im Sommer 1973, war er selbst ein Schnorrer, der kofferweise Bargeld aus der DDR anschleppte, um ein künstliches Gebilde namens „konkret“ am Leben zu erhalten. Aber anders als die Israelis tat er es für einen guten Zweck - um Sand ins Getriebe des Kapitalismus zu streuen und nebenbei seinen aufwendigen Lebensstil zu finanzieren.
Und so wie sich Dr. Jekyll bei Vollmond in Mr Hyde verwandelt, so mutierte der Hanseat Röhl immer wieder zu einem antisemitischen Jammerlappen, der sich beispielsweise über die gute körperliche Verfassung von Henry Kissinger wunderte, die es ihm erlaubte, die vielen Reisen „ohne eine Andeutung von Verschleiß oder Abnutzung“ zu überstehen, was Röhl vor allem auf die „jahrtausendealte gesunde koschere Ernährung“ zurückführte, speziell auf die mit „Knoblauch“, so Röhl in einem Artikel.
„Offene Denunziation, eine Aufforderung an die Justiz“
Ein anderes Mal räsonierte er über „kalte Krieger“ wie Gerhard Löwenthal und William S. Schlamm, weil sie politische Positionen vertraten, die Röhl für inakzeptabel hielt: „In Nordamerika, wo es viele Schlamms und Löwenthals gibt, kursiert unter Studenten der Satz, dass Hitler die europäischen Juden vertrieben habe, damit sie in den USA den Faschismus aufbauen helfen ...“
Nachdem die „Allgemeine Wochenzeitung der Juden“ in einem ausgesprochen zurückhaltenden Beitrag Röhl vorgeworfen hatte, an „antisemitische Instinkte“ zu appellieren, reagierte er wie ein Einbrecher, der sich über die schlechten Manieren des Hausbesitzers aufregt, weil dieser ihm die Tür nicht geöffnet habe. Der Artikel in der „Allgemeinen“ sei „eine offene Denunziation, eine Aufforderung an die Justiz“, etwas, das man „nicht mit Schweigen übergehen“ könne.
Ritualen des Antisemitismus
Also sprach „konkret“-Herausgeber Klaus Rainer Röhl: „Vorbild dieser Zeitschrift waren und sind die Weltbühne Ossietzkys und sein wichtigster Autor Tucholsky. Zu den Autoren der ersten Stunde gehören ... Kurt Hiller und viele andere jüdische Schriftsteller und Publizisten, Opfer des Faschismus und Gegner der Faschisten: Robert Neumann und Erich Fried, der Ostberliner Anwalt Friedrich Karl Kaul ebenso wie der Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, Ludwig Marcuse und Hermann Kesten, ebenso wie die Hamburger Freunde Peggy Parnass und Eberhard Zamory, Mitstreiter der frühen Jahre ...“
Es gehört zu den Ritualen des Antisemitismus, dass seine Subjekte, sobald man sie mit beiden Armen bis zu den Ellbogen im Mustopf ihrer Aufwallungen erwischt, sofort anfangen, ihre „jüdischen Freunde“ aufzuzählen. Eine Verteidigungsstrategie, wie sie idiotischer nicht sein könnte, geradezu ein Beweis, dass der Vorwurf berechtigt ist.
Antisemitismus ist eine Krankheit, die jeden befallen kann
Erstens haben sie ihre Umwelt bereits in Juden und Nichtjuden eingeteilt, was eine Lieblingsbeschäftigung der Antisemiten ist, zweitens übersehen sie, dass auch Juden Antisemiten sein können, wofür die Geschichte und die Literatur genügend Beispiele bieten: von Karl Marx bis Otto Weininger früher, von Norman Finkelstein bis Gerard Menuhin heute.
Ihre öffentliche Existenz verdanken sie vor allem dem Umstand, dass sie jüdische Antisemiten sind, wogegen im Prinzip nichts zu sagen ist - denn der Antisemitismus ist eine Krankheit, die jeden befallen kann, unabhängig von sozialer Herkunft, Bildungsstand, nationaler, religiöser oder ethnischer Zugehörigkeit. Die Welt ist voller Matrosen, die seekrank werden, und Moralhüter, die sich an Kindern vergreifen.
Fehlende Maßeinheit
Das Problem mit dem Antisemitismus ist, dass es für ihn keine Maßeinheit gibt, keinen Urmeter, an dem man ihn messen könnte. Natürlich kann man von „gemäßigten“ und von „radikalen“ Antisemiten sprechen (so wie man mittlerweile zwischen gemäßigten und radikalen Islamisten unterscheidet). Die liberalen klassischen Antisemiten wollten die Juden nur aus dem gesellschaftlichen Leben entfernen und sie irgendwohin ausschaffen, die radikalen klassischen Antisemiten wollten sie gleich ermorden. In der Praxis trägt diese Unterscheidung aber nicht wesentlich zur Klärung der Begriffe bei.
Denn um sicherzugehen, dass die Juden nicht zurückkommen und sich wieder in der Volksgemeinschaft festsetzen, musste man sie umbringen, auch die Kinder und die Ungeborenen. Als radikaler Antisemit beziehungsweise Antizionist gilt heute jemand, der Israel als ein Krebsgeschwür bezeichnet, das entfernt werden muss. Ein gemäßigter Antisemit bzw. Antizionist ist einer, der den Nahostkonflikt „gewaltfrei“ lösen möchte, indem er vorschlägt, die Juden/Israelis sollten dahin zurückgehen, woher sie gekommen sind: nach Russland, Polen, Deutschland, Österreich, Ungarn und Hawaii.
Weil es also keinen Antisemitismus-Urmeter gibt, steht es jedermann und jederfrau frei, den Begriff nach eigenem Gusto und Bedarf zu definieren. Die Deutschen haben Glück gehabt, die Geschichte hat ihnen den Maßstab ins Haus geliefert: Auschwitz und der Holocaust. Deswegen rufen sie „Nie wieder!“ und „Wehret den Anfängen!“, bauen monströse Mahnmale und gedenken jedes Jahr am 27. Januar der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee.
Es sei unsere gemeinsame Pflicht, sagen dann die Festredner, dafür zu sorgen, dass sich so etwas Schreckliches nie mehr wiederholt. Doch kaum haben die Redner ihre Manuskripte wieder eingesteckt und die Musiker ihre Instrumente eingepackt, geht es mit der Routine weiter. Man empfängt Vertreter der iranischen Regierung und der iranischen Wirtschaft und verhandelt mit ihnen über einen Ausbau der Beziehungen, wohl wissend, dass die iranische Atompolitik nicht nur Israel, sondern den ganzen Nahen und Mittleren Osten bedroht.
Was haben sie gelernt?
Die Deutschen sind dermaßen damit beschäftigt, den letzten Holocaust nachträglich zu verhindern, dass sie den nächsten billigend in Kauf nehmen. Man kann sich ja nicht um alles gleichzeitig kümmern, man muss Prioritäten setzen. Das „Nie wieder!“ bezieht sich auf 1933, „Wehret den Anfängen!“ meint die „Machtergreifung“ durch die Nazis. Zugleich sind die Deutschen sehr stolz darauf, dass sie, im Gegensatz zu den Juden/Israelis, „aus der Geschichte gelernt“ haben. Und was haben sie gelernt? Dass vom deutschen Boden nie wieder ein verlorener Krieg ausgehen darf!
Auschwitz ist zu einer Art Markenzeichen geworden, für das Böse an sich und für einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit. Also dafür, wie man erst maßlos sündigen und gleich darauf gewinnbringend büßen kann. „In anderen Ländern beneiden manche die Deutschen um dieses Denkmal“, sagte Eberhard Jäckel als Festredner bei dem „Bürgerfest“ zum fünften Jahrestag der Inauguration des Berliner Holocaust-Mahnmals.
Obwohl der Eintritt frei ist, hat es seine Baukosten von etwa 25 Millionen Euro längst eingespielt, denn es zählt neben dem Jüdischen Museum, der Reichstagskuppel, der Museumsinsel und dem Checkpoint Charlie zu den wichtigsten Touristenattraktionen der Hauptstadt. Aber auch der nicht materielle Gewinn ist gewaltig. Das „Mahnmal für die ermordeten Juden Europas“ zeugt von der Bereitschaft der Deutschen, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen.
Das ist in der Tat eine ganze Menge in einem Land, in dem man sogar den Bundespräsidenten zwingen muss, kleine Sünden bei der Finanzierung einer Immobilie zuzugeben. Und verglichen mit den Türken, die bis heute den Völkermord an den Armeniern leugnen, sind die Deutschen die perfekten Aufarbeiter und Bewältiger. Manchmal freilich dauert es doch etwas länger.
Im Sommer des Jahres 2004 reiste die damalige Ministerin für Entwicklungshilfe, Heidemarie Wieczorek-Zeul, nach Namibia, um die dort lebenden Hereros um Vergebung für einen 100 Jahre zurückliegenden Völkermord zu bitten: Im Jahre 1904 hatte der kaiserliche Offizier Lothar von Trotha einen Herero-Aufstand mit deutscher Gründlichkeit niedergeschlagen, wobei etwa 70 000 Eingeborene ums Leben kamen.
Die Ministerin, so berichteten die Zeitungen, war während ihrer Ansprache „den Tränen nahe“, sie sagte, heute würde man so ein Ereignis „als Völkermord bezeichnen“. Allerdings erfolgte die Entschuldigung erst, nachdem feststand, dass die Nachkommen der Opfer keine „Wiedergutmachung“ von der Bundesrepublik verlangen würden. Es war ein symbolischer Akt, gebührenfrei und im kleinen Rahmen.
Nicht ganz so lange, nämlich nur 67 Jahre, dauerte es, bis sich die deutsche Justiz auf die Suche nach den Tätern begab, die im Juni 1944 über 600 Einwohner des französischen Dorfes Oradour hingemetzelt hatten. Ende November 2011 wurden die Wohnungen von sechs Verdächtigen, alle Mitte bis Ende achtzig, durchsucht, wobei allerdings „keine wesentlichen Beweismittel“ gefunden werden konnten.
Keine Leichen im Keller, keine Tapferkeitsorden, nicht einmal eine Postkarte von Eva Braun. Offenbar hatten die ehemaligen SS-Männer die Zeit seit Kriegsende genutzt, um belastendes Material beiseitezuschaffen. So viel kriminelle Energie hätte ihnen niemand zugetraut! Wahrscheinlich muss das Ermittlungsverfahren nun aus Mangel an Beweisen eingestellt werden.
Von Johannes Gross stammt der Satz: „Je länger das Dritte Reich zurückliegt, umso mehr nimmt der Widerstand gegen Hitler und die Seinen zu.“ Gross ist leider zu früh gestorben, um zu erleben, wie sehr er mit dieser Feststellung richtiglag. Nichts hat derzeit in Deutschland eine solche Konjunktur wie der „Widerstand“ - gegen den toten Onkel Adi und seine Kumpane, gegen Atommülltransporte und den Neubau eines Bahnhofs zum Schutze einiger Juchtenkäfer. Wenn sich „Wutbürger“ zusammenrotten, um Bäume vor dem Umbetten zu bewahren, so gilt das bereits als „Widerstand“.
Das Dritte Reich ist eine Art Wechseltapete, mit deren Hilfe man Zeitreisen inszenieren kann. Fritz Kuhn von den Grünen zum Beispiel, der zum Realo-Flügel seiner Partei zählt, hat im Zusammenhang mit dem Streit um die Mohammed-Karikaturen, die in der dänischen Tageszeitung „Jyllands-Posten“ erschienen sind, erklärt, ihn würden diese (exzessiv harmlosen) Cartoons an die „antisemitischen Karikaturen im Stürmer“ erinnern. Entweder hatte Kuhn grad kein Kleingeld bei sich oder er verfügt über ein phänomenales pränatales Gedächtnis, wurde er doch erst 1955 geboren.
Es scheint ein Teil des deutschen Generationenvertrages zu sein, dass die Kinder und Enkel das nachzuholen versuchen, was die Eltern und Großeltern versäumt haben. Das kann natürlich nicht funktionieren, schon gar nicht in einem System, das auf Deeskalation und Dialog setzt und Polizisten als „Anti-Konflikt-Berater“ in die Straßenschlachten mit der Autonomen Antifa schickt, die man schon rein äußerlich nicht von den Schlägertrupps der Neonazis unterscheiden kann.
Dennoch: Die Freude, einen Castortransport ein paar Stunden aufgehalten zu haben, bringt die Aktivisten gefühlt in die Nähe der Geschwister Scholl. Wer im Bioladen einkauft, fair gehandelten Kaffee trinkt, kalt duscht und seinen Müll trennt, der führt schon „ein widerständiges Leben“.
Entsorgung der eigenen Geschichte vor der Tür der Opfer
In diesem Kontext der paradoxen Befindlichkeiten bietet der „Widerstand“ gegen die „israelischen Faschisten“ und „zionistischen Mörderbanden“ eine zusätzliche Gratifikation. Man entsorgt nicht nur die eigene Geschichte vor der Tür der Opfer, man tritt auch zum Schulterschluss mit der Mehrheit der Volksgemeinschaft an.
Die Ansicht, dass die Israelis den Palästinensern das antun, was die Nazis den Juden angetan haben, ist in Deutschland inzwischen so weit verbreitet und so akzeptiert, dass „Gaza“ und „Warschauer Getto“ zu Synonymen geworden sind. Soll damit die Lage der Palästinenser dramatisiert oder das Warschauer Getto verharmlost werden? Beides geht, und das ist das Perfide daran.
Erst einmal ist es eine einfache rhetorische Figur, mit der die Israelis zu Nazis und die Palästinenser zu den Juden der Israelis ernannt werden. Diese rhetorische Figur ermöglicht es ihren Erfindern, „Widerstand“ gegen Nazis zu leisten, weitgehend symbolisch und im Kreise Gleichgesinnter. Unnötig zu sagen, dass der antizionistische Flashmob über der Realität schwebt.
Gedenkindustrie „Gegen das Vergessen“
Für die freilich, die wohl wissen, dass Gaza zwar nicht der „Club Med“ ist, dass es dort aber neben Elendsquartieren auch elegante Shoppingmalls, luxuriöse Restaurants und ein reges Strandleben gibt, wirkt die Analogie anders: Wenn es in Gaza so zugeht wie einst im Warschauer Getto, dann können die Lebensbedingungen dort so schlimm nicht gewesen sein. Bingo!
Das Gleiche gilt auch für den „Völkermord“, den Israel an den Palästinensern begeht. Es handelt sich um den ersten Völkermord in der Geschichte der Menschheit, bei dem sich die betroffene Population um ein Vielfaches vermehrt hat, allein in Gaza von etwa 300.000 Menschen im Jahre 1967, dem Beginn der Besatzung, auf über 1,5 Millionen im Jahre 2005, als Israel den Küstenstreifen räumte.
Während sich in Deutschland eine gigantische Gedenkindustrie „Gegen das Vergessen“ entwickelt hat, die Stolpersteine verlegt, Ausstellungen und Studienfahrten in ehemalige Konzentrationslager organisiert, die ihrerseits als „Bildungsurlaub“ geltend gemacht werden, haben die Antisemiten durchaus dazugelernt. Nur noch Exzentriker wie Horst Mahler und seine Anhänger leugnen den Holocaust oder behaupten, die Juden seien in Arbeitslagern an Erschöpfung und Unterernährung gestorben, wie Millionen von deutschen Soldaten in sowjetischer Gefangenschaft.
„Erinnerung an den Holocaust wachhalten“
Der moderne Antisemit benutzt die „Auschwitz-Keule“, um sie den Juden/Israelis um die Ohren zu hauen: „Ihr seid auch nicht besser, also hört endlich damit auf, uns Vorwürfe zu machen!“ Eine verständliche und nachvollziehbare Strategie, um das eigene Gewissen zu beruhigen. Schon deswegen wäre es sinnvoll, Auschwitz zu vergessen. Noch besser wäre es, das Lager dem Erdboden gleichzumachen, statt Unsummen auszugeben, um diesen Rummelplatz des Schreckens zu sanieren und zu konservieren.
Allein die Bundesrepublik hat 60 Millionen Euro zugesagt, derweil die letzten Überlebenden des Holocaust in Polen mit weniger auskommen müssen als ein von der UNRWA versorgter Palästinenser in Gaza. Eine Sprecherin des Außenamtes erklärte Anfang 2009 gegenüber der dpa: „Wir betrachten es weiterhin als eine Kernaufgabe Deutschlands, die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten. Wir werden weiterhin zu der historischen Verantwortung Deutschlands stehen.“
60 Millionen Euro – nur ein Bruchteil der Summe
Genau darin liegt das Problem. Die historische Verantwortung Deutschlands erschöpft sich darin, „die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten“, nicht etwa die kommende Endlösung der Nahostfrage zu verhindern. Es ist eine Art Ablasshandel.
Dabei sind 60 Millionen für die Sanierung von Auschwitz nur ein Bruchteil der Summe, die im deutsch-iranischen Handel umgesetzt wird; eine Broschüre der „Deutsch-Iranischen Handelskammer zu Teheran“ führt 200 deutsche Firmen auf, die im und mit dem Iran Geschäfte machen, darunter auch zwei Unternehmen, die Tunnelbohrmaschinen herstellen, die für den Bau von unterirdischen Urananreicherungsanlagen gebraucht werden, und zwei Hersteller von „fahrzeuggestützten“, das heißt mobilen Kränen, die bei öffentlichen Hinrichtungen zum Einsatz kommen.
Eine große Mehrheit der Deutschen will von einer besonderen deutschen Verantwortung für Israel nichts wissen. Bei einer Emnid-Umfrage vom November 2011 waren sich 70 Prozent der Befragten der „ernsthaften Gefahr“ bewusst, die das iranische Atomprogramm für Israel bedeutet, dennoch sprachen sich 83 Prozent dafür aus, dass Deutschland neutral bleibt, falls es zu einem militärischen Konflikt zwischen Israel und dem Iran kommen sollte. So viel zur Parole: „Wehret den Anfängen!“
Und nun wird es ernst. Rainer Werner Fassbinder lässt in seinem Theaterstück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ den Antisemiten Hans von Gluck Folgendes sagen: „Und Schuld hat der Jud, weil er uns schuldig macht, denn er ist da. Wär er geblieben, wo er herkam, oder hätten sie ihn vergast, ich könnte heute besser schlafen. Sie haben vergessen, ihn zu vergasen. Das ist kein Witz, so denkt es in mir.“ Vor allem wegen dieser Sätze musste sich Fassbinder den Vorwurf gefallen lassen, ein Antisemit zu sein. Aber das war er nicht. Er hat nur genau und gnadenlos die Befindlichkeit eines Antisemiten in eine Formel gepackt. „So denkt es in mir.“
In der Tat denkt das Es im Antisemiten, während das Ich Ausreden erfindet, weil das Über-Ich gelernt hat, dass man nicht Antisemit sein darf. Deswegen berufen sich Antisemiten bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit auf „jüdische Freunde“ oder ihre eigene Herkunft, deswegen gerieren sie sich als politische „Antizionisten“, die einen Beitrag zur Befriedung des Nahen Ostens leisten wollen, wobei sie genau wissen, dass sie nur alten Wein in neue Schläuche füllen.
Israel – im Wellness-Bewusstsein ein Störfaktor
„Und Schuld hat der Jud, weil er uns schuldig macht, denn er ist da. Wär er geblieben, wo er herkam, oder hätten sie ihn vergast, ich könnte heute besser schlafen“, sagt Hans von Gluck. Tauscht man den „Jud“ gegen Israel aus, hat man den schmalen Grat vom Antisemitismus zum Antizionismus überschritten. Und schon wähnt man sich auf der vermeintlich sicheren, politisch-korrekten Seite.
Israel ist im Wellness-Bewusstsein der Deutschen ein Störfaktor. Ein Stachel im Fleisch, ein Steckschuss, der immer wieder Schmerzen verursacht. Israel erinnert die Deutschen nicht nur täglich daran, dass es den Holocaust gegeben hat, es macht ihnen auch bewusst, dass ihre Väter und Großväter mit einem kühnen Projekt gescheitert sind: Europa judenrein zu machen.
Denn schlimmer, als ein Verbrechen zu verüben, ist es, ein Verbrechen nicht zu Ende gebracht zu haben. Erinnerungstechnisch wären die Deutschen - aber auch viele Europäer, die mit den Nazis kollaboriert haben - besser dran, wenn die Nazis die „Endlösung“ vollendet hätten, wenn also niemand mehr da wäre, der sie daran erinnert, dass sie versagt haben.
Fairerweise muss man hinzufügen, dass Israel zu dieser Einstellung maßgeblich beigetragen hat, indem es sich seit seiner Gründung als das Nachspiel zum Holocaust präsentiert. Es ist keine gute Idee, jeden Staatsgast, kaum dass er in Tel Aviv gelandet ist, nach Yad Vashem zu karren, ihn dort einen Kranz zur Erinnerung „an die sechs Millionen“ niederlegen und das übliche „Nie wieder!“ ins Gästebuch schreiben zu lassen.
Auch wenn es nur ein Ritual ist, das beide Seiten lustlos absolvieren: Irgendwann wird der Bußgang zur Zumutung. Allmächtiger! Nicht schon wieder! Wer sich ständig als Opfer präsentiert, muss damit rechnen, dass das Mitgefühl der Umwelt irgendwann in Aggression umschlägt. Nicht zufällig ist „Du Opfer!“ ein auf deutschen Schulhöfen beliebtes Schimpfwort geworden. Wer sich mit seiner Bestimmung als Opfer abgefunden hat, lädt den oder die Täter dazu ein, es noch einmal zu versuchen.
Die Frage, ob Israel auch ohne den Holocaust gegründet worden wäre, mag eine interessante Aufgabenstellung für wissenschaftliche Konferenzen und akademische Arbeiten sein, für den Alltag der Israelis und deren Beziehung zur übrigen Welt ist sie vollkommen irrelevant. Die zionistische Bewegung entstand Ende des 19. Jahrhunderts, Herzls „Judenstaat“, der „Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage“, erschien im Jahre 1896.
Wäre Israel tatsächlich nur ein weiterer Kollateralschaden des Zweiten Weltkrieges - wie beispielsweise die deutsche Teilung -, dann müsste man sich in der Tat fragen, warum die Juden ihren Staat nicht irgendwo in Europa, zum Beispiel in Schleswig-Holstein oder in der Steiermark, etabliert haben und warum die Palästinenser den Preis für die Sünden der Europäer bezahlen sollen.
Wie man die Sache auch dreht und wendet, Israel ist „a pain in the ass“. Und jetzt wollen die auch noch U-Boote! Es ist, als stünde einem jeden Morgen der Gerichtsvollzieher wegen längst verjährter Schulden vor der Haustür.
Kein Volk, keine Nation, keine Ethnie
Der Antizionismus in sich ist ebenso wenig eine monolithische Bewegung, wie es der Zionismus war: Der Bogen spannt sich von Neonazis, die mit dem Ruf „Nie wieder Israel!“ zu erkennen geben, dass sie diskursmäßig auf der Höhe der Zeit sind, bis zu durchgeknallten ultraorthodoxen Juden und Juden-Darstellern, die den Allmächtigen darum bitten, dem zionistischen Frevel im Heiligen Land ein Ende zu bereiten. Wirklich relevant aber, weil auf einer Art Theorie basierend, ist nur der linke Antizionismus. Der geht, zusammengefasst, so:
Die Juden sind kein Volk, keine Nation, keine Ethnie, sie sind eine Glaubens- bzw. Schicksalsgemeinschaft. Als solche haben sie keinen Anspruch darauf, sich territorial zu organisieren.
Darüber diskutieren seit Tausenden von Jahren die Juden untereinander. Es wäre nett, wenn die Antizionisten es ihnen überlassen würden, darüber zu entscheiden, was sie sein möchten.
Emanzipieren, überall fort, wo sie leben
Der Zionismus ist eine nationale Bewegung, die im 19. Jahrhundert entstanden ist. Inzwischen haben Nationalismen ausgedient. Die „jüdische Frage“ bzw. das „jüdische Problem“ kann nicht dadurch gelöst werden, dass sich die Juden zu einer Nation erklären, zumal auf Kosten eines anderen Volkes. Sie müssen sich „emanzipieren“, überall dort, wo sie leben.
Wenn das so wäre, müssten die Völker des ehemaligen Jugoslawien ihre nationalen Organisationen wieder aufgeben. Osttimor, der Südsudan und die Slowakei ebenso. Auch die Palästinenser hätten keinen Anspruch darauf, als Nation anerkannt zu werden, denn sie sind Teil der Umma, der großen arabischen Gemeinschaft.
Falls sie doch ein Volk sein sollten, dann wurden sie dazu nur unter dem Druck der israelischen Besatzung. Und was die „Emanzipation“ der Juden angeht, so heißt es schon bei Marx: „Die gesellschaftliche Emanzipation des Juden ist die Emanzipation der Gesellschaft vom Judentum.“
Israel ist ein Fremdkörper im Nahen Osten, ein künstliches Gebilde. Der jahrzehntelange Nahostkonflikt ist ein gefährlicher Brandherd, der zum Dritten Weltkrieg führen könnte. Es gilt, ihn zu entschärfen, ehe er außer Kontrolle gerät.
Fremdkörper im Nahen Osten sind auch die Kopten in Ägypten , die Baha‘i im Iran und die Kurden in der Türkei, im Irak, Iran und in Syrien, die seit dem Vertrag von Sèvres im Jahre 1920 auf die ihnen versprochene Autonomie warten. Außer Island, Japan, den Malediven und den Königreichen Tuvalu und Tonga gibt es keinen Staat auf der Welt, der nicht ein künstliches Gebilde wäre.
Ginge es nach diesem Kriterium, müsste man über das Existenzrecht der Bundesrepublik als Erstes verhandeln. Man sollte dabei auch nicht vergessen, welch fatale Rolle die deutsche Außenpolitik unter Genscher bei der Zerschlagung des „künstlichen Gebildes“ Jugoslawien in andere „künstliche Gebilde“ gespielt hat. Vor dem Hintergrund der Geschichte der letzten 60 Jahre und gemessen an der Zahl der Opfer ist der Kampf um Palästina einer der kleinsten und unwichtigsten Konflikte der Gegenwart.
Es ist aber auch der einzige Konflikt, bei dem der Flüchtlingsstatus vererbt wird, was dazu geführt hat, dass aus den etwa 800.000 Palästinensern, die nach der Gründung Israels fliehen mussten, inzwischen etwa 4,8 Millionen geworden sind, die auf ihr „Rückkehrrecht“ nicht verzichten wollen. Die „United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (UNRWA)„, 1949 gegründet, ist mit über 29.000 Mitarbeitern und einem Budget von etwa 1,2 Milliarden Dollar allein im Jahre 2011 der größte Arbeitgeber im Nahen Osten.
Israel als Gefahr für den Weltfrieden
Man kann nur schätzen, wie viele Milliarden die UNRWA seit ihrer Gründung eingenommen und ausgegeben hat, um die Lage der palästinensischen Flüchtlinge buchstäblich zu zementieren. In jedem Fall ist der Selbsterhaltungstrieb der Organisation das größte Hindernis bei der Rehabilitation der Objekte ihrer Fürsorge.
Alle Argumente der Antizionisten laufen auf einen Punkt hinaus: Israel stellt eine Gefahr für den Weltfrieden dar. Ohne einen befriedeten Nahen Osten kein Frieden in der Welt. Sogar für die Juden wäre es besser, wenn der Zionismus sein eigenes Ende erklären würde, denn er fördert und befördert nur den Antisemitismus.
Ein hoch entwickelter Sinn für Gerechtigkeit?
Womit ein Klassiker reaktiviert wird: Am Antisemitismus sind nicht die Antisemiten, sondern die Juden schuld, die durch ihr Dasein und ihr Sosein ganz unvoreingenommene Menschen dazu bringen, antisemitische Gefühle zu entwickeln.
Was aber ist es, das einen Kommunalpolitiker aus Duisburg, einen Rentner aus Dortmund und eine Hausfrau aus dem hinteren Kandertal dazu bringt, einen wesentlichen Teil ihres Lebens mit der Palästina-Frage zu verbringen? Kampagnen, Unterschriftenaktionen und Sammlungen zu organisieren, gegen die Zionisten zu agitieren, die Israel-Lobby zu entlarven, sich für die Anerkennung der Hamas und der Hisbollah einzusetzen und Konferenzen zu veranstalten, die mit Appellen an die deutsche Bundeskanzlerin und den amerikanischen Präsidenten enden, den Palästinensern zu ihrem Recht zu verhelfen? Was ist es, das sie antreibt? Ein besonders hoch entwickelter Sinn für Gerechtigkeit und Menschenrechte?
Dann würden sie sich für die Tibeter einsetzen, deren Land 1950 von den Chinesen überrannt wurde. Aber Tibet ist für sie kein Thema. Auch nicht der Aufstand in Syrien , der innerhalb weniger Monate über 5000 Menschen das Leben gekostet hat. Denn weder in Tibet noch in Syrien ist irgendeine „zionistische“ Verwicklung erkennbar. Und auch die deutsche Enthaltung in der Libyen-Fr age lässt sich mit den Prinzipien einer an den Menschenrechten orientierten Politik nicht vereinbaren.
So muss man vermuten, dass den Antizionisten auch die Palästinenser egal sind, dass sie nur als Alibi und Ausrede benutzt werden, um Israel auf der Anklagebank halten zu können. Als bei den internen Auseinandersetzungen zwischen der Hamas und der Fatah erst Fatah-Leute von den Hamas-Leuten und dann Hamas-Leute von den Fatah-Leuten massakriert wurden, hüllten sich die deutschen Palästinafreunde in vernehmbares Schweigen.
Parallele zum Antizionismus – Antiamerikanismus
Zu Brutalitäten Stellung zu beziehen, die von der einen Palästinenserfraktion an der anderen begangen werden, ist ihre Aufgabe nicht. Die Antizionisten vom Dienst wachen erst auf, wenn Israel ins Spiel kommt. Dann chartern sie Schiffe, laden sie mit alten Sachen voll und segeln nach Gaza, um die Welt auf die Not der Palästinenser aufmerksam zu machen.
Es gibt zum Antizionismus nur eine Parallele: den Antiamerikanismus. Der ist sogar noch älter, er entstand schon Anfang des 19. Jahrhunderts zur Zeit der deutschen Romantik. Der Begründer des intellektuellen Antiamerikanismus, der österreichische Dichter Nikolaus Lenau, wanderte 1832 in die USA aus, um dort, wie viele Europäer, ein neues Leben anzufangen. Nachdem er als Geschäftsmann und Farmer gescheitert war, kehrte er nach nur einem Jahr nach Europa zurück, um fortan den Materialismus der Amerikaner anzuprangern und den Mangel an Kultur in den „Verschweinten Staaten“ zu beklagen.
Armut, Gewalt, Korruption – und „der tägliche Faschismus“
Seine anfängliche Amerika-Begeisterung war in blanken Hass umgeschlagen. „Das scheint mir von ernster, tiefer Bedeutung zu sein, dass Amerika keine Nachtigall hat“, schrieb er aus den USA in die alte Heimat.
Seitdem wartet das deutsche Feuilleton darauf, dass die USA kollabieren. Die Lieblingsthemen der deutschen USA-Korrespondenten sind Armut, Gewalt, Korruption - und „der tägliche Faschismus“ in den USA. So hieß auch ein Buch, das Reinhard Lettau, Deutscher mit amerikanischem Pass und Mitglied der „Gruppe 47“, im Jahre 1971 veröffentlichte.
Die „Evidenz aus sechs Monaten“ war das Ergebnis intensiver Zeitungslektüre, eine Nachrichten-Collage über Amtsmissbrauch und Behördenwillkür, der Lettau den Titel „Täglicher Faschismus“ gab, um darauf hinzuweisen, „dass die Indizien für den herannahenden Faschismus sich täglich und immer schneller verstärken - dass für seine Opfer die Unterschiede zwischen dem täglichen, inzipienten amerikanischen Faschismus und dem offenen, erklärten Faschismus nicht existieren“.
Outsourcing durch „kritische Amerikaner“
Nur vier Jahre zuvor, 1967, war Hans Magnus Enzensberger zu einem Studienaufenthalt an einer amerikanischen Universität aufgebrochen, den er aber bald für beendet erklärte, um stattdessen nach Kuba zu fahren. Er begründete diesen Schritt in einem „offenen Brief“, der in der „Zeit“ zu lesen war: „Ich halte die Klasse, welche in den Vereinigten Staaten von Amerika an der Herrschaft ist, und die Regierung, welche die Geschäfte dieser Klasse führt, für gemeingefährlich ... Ihr Ziel ist die politische, ökonomische und militärische Weltherrschaft.“
Enzensberger hat seine Ansichten über die USA mittlerweile gründlich geändert, das deutsche Feuilleton aber pflegt die Tradition des Antiamerikanismus weiter. Allerdings wird die Aufgabe inzwischen gerne an „kritische Amerikaner“ wie Noam Chomsky oder Michael Moore outgesourct, die ihre Glaubwürdigkeit und Kompetenz nicht erst beweisen müssen.
Flucht aus der Mausefalle der Geschichte
Antiamerikanismus und Antizionismus gehören zusammen wie Pech und Schwefel. Man wird keinen Antiamerikaner finden, der nicht zugleich ein Antizionist wäre, umgekehrt ist es genauso. Konsequenterweise gilt Israel als der „Brückenkopf der USA“ im Nahen Osten, während in den USA die Zionisten das Sagen haben. Der „große“ und der „kleine“ Satan arbeiten zusammen, um die Völker der Welt zu unterjochen.
Der Antizionismus geriert sich als politische Philosophie, ist aber in Wirklichkeit eine Flucht aus der Mausefalle der Geschichte. Wenn die Palästinenser die Juden von heute sind und wenn die „Islamophobie“ den Antisemitismus ersetzt hat, dann muss man sich mit den Palästinensern solidarisieren und die „Islamophobie“ bekämpfen, wenn man besser als die eigenen Eltern und Großeltern sein will.
Das ist aber noch nicht alles, was in der Wundertüte des Antizionismus steckt. Stellen wir uns kurz das Undenkbare vor: Ahmadinedschad beschließt eines Tages, die friedliche Nutzung der Kernkraft zugunsten einer militärischen Option aufzugeben und die erste „selbst gebaute“ Atombombe über Israel auszuprobieren.
Katastrophe mit Politik heraufbeschwören
Die Antizionisten wären darüber nicht begeistert, denn der atomare Fallout würde auch über Jericho und Ramallah niedergehen - aber auch nicht allzu traurig. Wie schon zur Zeit des Golfkrieges von 1991, als irakische Scud-Raketen in Tel Aviv einschlugen, könnten sie auch diesmal Israel die Schuld geben, weil es mit seiner Politik gegenüber den Palästinensern diese Katastrophe heraufbeschworen habe.
Damals erklärte der Sprecher der Grünen, Hans-Christian Ströbele: „Die irakischen Raketenangriffe auf Israel sind die logische, fast zwingende Konsequenz der Politik Israels.“
Das offizielle Europa würde sich, wie Deutschland im Jom-Kippur-Krieg 1973, für neutral erklären, allerdings auch versichern, eine „Neutralität der Herzen“ könne es nicht geben, und den Überlebenden „humanitäre Hilfe“ in Form von Zelten und Trinkwasseraufbereitungsanlagen anbieten.
Inszenierung einer noch größeren Katastrophe
Lea Rosh und ihre Freunde würden sofort eine Bürgerinitiative für ein „Mahnmal zur Erinnerung an den jüdischen Staat im Nahen Osten“ gründen, das auf dem Gelände der nunmehr nicht mehr benötigten israelischen Botschaft in Berlin entstehen sollte.
Das Beste aber wäre: Im Dunst der atomaren Endlösung der Nahostfrage würde der von den Nazis organisierte Holocaust mitsamt den Schuldgefühlen den Juden gegenüber im Abgrund der Geschichte verschwinden. Über eine Katastrophe kommt man nur hinweg, indem man eine noch größere Katastrophe inszeniert.
Das ist die Substanz der antizionistischen Anstrengungen, ob sie den Protagonisten bewusst ist oder nicht: Sie nehmen die Vernichtung Israels als Preis für ihren inneren Frieden in Kauf. So denkt es in ihnen.
Der Text ist ein Vorabdruck aus dem Buch „Vergesst Auschwitz!“ von Henryk M. Broder .