Correctiv-Recherchen AfD-Politiker diskutierten »Masterplan« zur Vertreibung von Millionen Menschen
Bei einem Treffen Ende November in einem Hotel in Potsdam sollen einflussreiche AfD-Politiker und -Politikerinnen gemeinsam mit anderen Rechtsextremen und Vertretern von Rechtsaußen beraten haben, wie sie Menschen mit Migrationshintergrund massenhaft aus Deutschland abschieben oder verdrängen können. Auch, wenn diese deutsche Staatsbürger sind.
Das zeigt eine Recherche von Correctiv , die am Mittwoch veröffentlicht wurde, inklusive Fotos der Teilnehmer. Die Umweltorganisation Greenpeace hat Correctiv zudem Dokumente zur Verfügung gestellt.
Zu dem Treffen wurde offenbar nur via Brief eingeladen, um keine digitalen Spuren zu hinterlassen. Anwesend war den Recherchen zufolge etwa Roland Hartwig. Er war lange Leiter der AG Verfassungsschutz der AfD, saß für die Partei im Bundestag und ist aktuell persönlicher Referent von AfD-Chefin Alice Weidel.
»Masterplan« zur »Remigration«
Auch der AfD-Fraktionsvorsitzende aus Sachsen-Anhalt, Ulrich Siegmund, nahm demnach teil, genau wie die AfD-Bundestagsabgeordnete Gerrit Huy und der Potsdamer AfD-Vize Tim Krause. Und Ulrich Vosgerau, der die AfD gern mal vor Gericht vertritt und bei der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung wirkt.
Außerdem waren Aktivisten der rechtsextremen »Identitären Bewegung« (IB) vor Ort: Neben Mario Müller, einem vorbestraften gewalttätigen Neonazi, der inzwischen für den AfD-Bundestagsabgeordneten Jan Wenzel Schmidt arbeitet, war Martin Sellner zugegen.
Sellner gilt als der bekannteste Kopf der IB und trug laut den Recherchen in der Runde einen »Masterplan« zur »Remigration« vor, wie es der Veranstalter nannte. Dabei sei es um die millionenfache Ausbürgerung, Abschiebung oder Verdrängung von Migrantinnen und Migranten gegangen, auch Deutsche mit Migrationshintergrund sollen demnach Deutschland verlassen müssen.
Kritik an dem Plan habe es nicht gegeben, schreibt Correctiv. Im Gegenteil, Weidel-Referent Hartwig bekannte bei dem Treffen laut der Recherche, »gerade mit großer Freude« ein Buch Sellners zu lesen.
Siegmund habe gesagt, man müsse in Sachsen-Anhalt dafür sorgen, dass es »für dieses Klientel möglichst unattraktiv zu leben« werde, gemeint sind Menschen mit Migrationshintergrund, die nicht einfach abgeschoben werden könnten. Huy, die innerhalb der AfD lange als »gemäßigt« galt, habe gesagt, sie habe schon vor sieben Jahren »ein Remigrationskonzept« mit in die AfD gebracht.
Mitglieder der »Werteunion« vor Ort
In der Runde habe man gar gemeinsam diskutiert, wie ein solches Konzept in die Tat umgesetzt werden kann, sollte die AfD in Regierungsverantwortung gelangen, so Correctiv.
Dabei ging es etwa auch um einen »Musterstaat« in Nordafrika, in den man bis zu zwei Millionen Menschen »hinbewegen« könne, soll Sellner gesagt haben. Auch Menschen, die sich hierzulande für Geflüchtete einsetzen würden, könnten dorthin.
An dem Treffen teilgenommen haben nach den Recherchen auch Mitglieder der »Werteunion«, jenem Verein, in dem sich Rechtsaußenkräfte von CDU und CSU unter dem Vorsitz des ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen vernetzen – und die nun eine Partei gründen wollen. Auch Silke Schröder, Vorstandsmitglied des Vereins Deutsche Sprache, der gegen gendergerechte Sprache kämpft, war anwesend.
Mitgesellschafter von »Hans im Glück« soll eingeladen haben
Eingeladen in das Hotel in Potsdam hat laut Correctiv unter anderem Hans-Christian Limmer, der ehemalige Mitbesitzer der Bäckereikette »Backwerk«, der heute mittelbar an der Burger-Kette »Hans im Glück« beteiligt ist. Limmer, der bei dem Treffen selbst nicht anwesend war, erklärte, er sei an der Planung nicht beteiligt gewesen.
Am Mittwochnachmittag teilte »Hans im Glück« mit, dass man sich von Limmer als Mitgesellschafter »mit sofortiger Wirkung« trenne. Man sei »zutiefst schockiert über diese Vorwürfe« und distanziere sich »klar von rechtsextremen Ansichten, sie stellen das genaue Gegenteil unserer Grundwerte dar«. Limmer habe sich ebenso von den dort erhobenen Forderungen distanziert und von sich aus angeboten, seine Gesellschafterstellung aufzugeben.
Auch der Salat-Lieferservice »Pottsalat« distanzierte sich und teilte mit, »um weiteren Schaden von der Firma abzuwenden«, habe Limmer heute erklärt, »sich als Gesellschafter aus dem Unternehmen zurückzuziehen«.
Der andere Einladende war den Recherchen zufolge Gernot Mörig, ein ehemaliger Zahnarzt aus Düsseldorf, der sich schon Jahrzehnte in der rechtsextremen Szene engagiert. Der bestätigt das Treffen gegenüber Correctiv, distanziert sich aber insoweit, als er die Aussagen Sellners »anders in Erinnerung« habe.
Wenn er sie wahrgenommen hätte, wären sie »nicht ohne Widerspruch von mir geblieben« – insbesondere im Hinblick auf die Ungleichbehandlung deutscher Staatsbürger. Auch will er der »alleinige Veranstalter« gewesen sein.
Mörig und Limmer waren für Anfragen des SPIEGEL zunächst nicht erreichbar.
Gegenüber Correctiv sagte AfD-Funktionär Siegmund, er sei als »Privatperson« bei dem Treffen gewesen und wolle Menschen nicht gesetzeswidrig ausweisen. Die AfD-Politiker Hartwig und Huy antworteten nicht auf die Anfrage des Mediums.
Am Mittwochvormittag äußerte sich die AfD. Es habe sich nicht um ein Parteitreffen gehandelt. Und: »Die AfD wird ihre Haltung zur Einwanderungspolitik (…) nicht wegen einer Einzelmeinung eines Vortragenden auf einem Treffen, das kein AfD-Termin war, abändern«, teilte ein Sprecher mit.
Weidel-Referent Hartwig nimmt der Sprecher in Schutz, er habe nur ein Social-Media-Projekt vorgestellt: »Weder hat er dort politische Strategien erarbeitet noch hat er Ideen eines Herrn Sellner zur Migrationspolitik, von dessen Erscheinen er im Vorfeld keine Kenntnis hatte, in die Partei getragen«, hieß es weiter.
Am Mittwochnachmittag äußerte sich Martin Sellner über seinen Telegram-Kanal zu der Recherche, machte sich über den Bericht lustig. »Besonders bizarr« sei, dass bei der Recherche »gar nichts rausgekommen ist und aus einer Fliege ein Elefant gemacht wird«, sagte er. Die AfD habe doch bereits einen »Tag der Remigration« gefordert, er spreche auch schon länger darüber, so Sellner. Außerdem könne von einem »geheimen Treffen« keine Rede sein, er sei einfach zu einem »internen und privaten Vortragsabend« eingeladen worden, wie es häufig vorkäme.