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Russland Duma schränkt Demonstrationsrecht drastisch ein

Nach beispiellosen Massenprotesten gegen Wladimir Putins Führung hat das russische Parlament das Demonstrationsrecht deutlich eingeschränkt. Das neue Gesetz sieht eine 150fache Erhöhung der Geldbußen vor, etwa fürs Maskentragen. Menschenrechtler sind empört.
Anti-Putin-Demo in Moskau: Versammlungsrecht wird drastisch eingeschränkt

Anti-Putin-Demo in Moskau: Versammlungsrecht wird drastisch eingeschränkt

Foto: SERGEI KARPUKHIN/ REUTERS
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Moskau - Der russische Präsident Wladimir Putin ist kaum vier Wochen im Amt und demonstriert schon seine ganze Macht: Nach beispiellosen Massenprotesten in Russland hat die Staatsduma das Demonstrationsrecht deutlich eingeschränkt. Für die Teilnahme an nicht genehmigten Demonstrationen sieht das neue Gesetz Höchststrafen von 300.000 Rubel (7100 Euro) oder 200 Stunden gemeinnützige Arbeit für Privatpersonen vor. Dies entspricht einer 150fachen Erhöhung. Organisationen sollen sogar mit einer Geldstrafe von bis zu einer Million Rubel Strafe belangt werden, berichtet die Nachrichtenagentur RIA Nowosti. Als Verstöße gelten etwa Störungen im Straßenverkehr oder auch das Tragen von Masken.

Die Opposition kritisiert das Gesetz als endgültigen Schritt in den Polizeistaat. Menschenrechtler warnen vor einem Ende der Meinungsfreiheit. Die Polizei nahm bei Protesten gegen das Gesetz rund 50 Regierungsgegner in Moskau fest. Unter ihnen sei auch der Chef der Oppositionspartei Jabloko, Sergej Mitrochin, berichtete die Nachrichtenagentur Interfax unter Berufung auf die Moskauer Polizei. Das Gesetz soll noch vor einer geplanten Großkundgebung der Opposition am 12. Juni in Kraft treten. Bereits am Montag hatten mindestens neun russische Menschenrechtler aus Protesten das Kreml-Gremium zur Entwicklung der Zivilgesellschaft verlassen, darunter auch die prominente Bürgerrechtlerin Swetlana Gannuschkina.

Für die Verschärfung der Regelung stimmten 241 von 450 Abgeordneten. Für die Gesetzesänderung waren nur 226 Ja-Stimmen nötig. Die Oppositionsparteien hatten die Abstimmung mit Hunderten Änderungsanträgen stundenlang verzögert. Das Gesetz soll an diesem Mittwoch vom Föderationsrat bestätigt und dann von Kreml-Chef Wladimir Putin unterzeichnet werden, damit es gültig wird.

Die Putin-Gegner wollen am 12. Juni im Moskauer Stadtzentrum für mehr politische Freiheiten demonstrieren. Allerdings hat die Stadt bisher nur einen entlegenen Versammlungsort genehmigt. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch teilte in Moskau mit, dass freie Demonstrationen im Grunde nicht mehr möglich seien.

Der Menschenrechtsbeauftragte des Kreml hat das vom Parlament verschärfte russische Versammlungsgesetz kritisiert. Michail Fedotow forderte zugleich die zweite Kammer auf, der Änderung nicht zuzustimmen. "Damit würde der Föderationsrat einen Fehler der Staatsduma korrigieren, der die Menschenrechte schwer verletzt und die sozialen Konflikte vertieft", schrieb Fedotow am Mittwoch in einem Brief an die Vorsitzende des Gremiums, Walentina Matwijenko.

Bundesregierung kritisiert geplante Einschränkung der Versammlungsfreiheit

Der Russlandkoordinator der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff (CDU), kritisierte das geplante Gesetz. "Mit der vorliegenden Gesetzesfassung werden Zweifel am Willen der neuen russischen Regierung zur weiteren Demokratisierung genährt", erklärte er. Kritik von Opposition und Menschenrechtsaktivisten werde ignoriert, monierte Schockenhoff.

Das geplante neue Gesetz sei "das falsche Signal an die Bürger in Russland". "Statt Meinungsvielfalt und den Wettbewerb der Ideen zu fördern, drohen neue Einschränkungen die wachsende Kluft zwischen Staat und Bürgern zu vergrößern", erklärte Schockenhoff. Damit gefährde "der Staat die Bereitschaft der Bürger, sich für die notwendige umfassende Modernisierung ihres Landes zu engagieren", statt "die Gesellschaft für einen neuen Dialog und Aufbruch zu gewinnen".

Markus Löning, Menschenrechtsbeauftragte des Bundesregierung, kritisierte die Festnahmen am Rande der Duma-Sitzung. "Die russische Regierung muss ihre Bürger schützen, statt sie einzusperren", hieß es in einer in Berlin veröffentlichten Mitteilung Lönings. "Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind Bestandteile der Europäischen Menschenrechtskonvention und müssen auch von Russland garantiert werden."

Kreml-Chef Putin hatte die Verschärfung am Vortag beim Russland-EU-Gipfel in St. Petersburg verteidigt. Er mahnte einen zivilisierten politischen Kampf an. "Wir haben andere Möglichkeiten, unsere Positionen auszudrücken", sagte Putin bei dem Treffen mit der EU-Spitze, die sich über den Zustand der Menschenrechte einmal mehr besorgt zeigte.

lei/dpa/dapd/Reuters/AFP

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