Der IS bekennt sich zum Anschlag auf Fahrradfahrer im Pamir. Die tadschikische Führung beharrt auf ihrer eigenen Version und macht ihren problematischen Kampf gegen Radikalisierung offensichtlich.
Der mutmassliche Anschlag auf eine Gruppe ausländischer Velofahrer auf einer Überlandstrasse im Süden Tadschikistans hat die Regierung des autokratischen Präsidenten Emomali Rachmon und auch ausländische Beobachter aufgeschreckt. Ein Schweizer, ein Niederländer und zwei Amerikaner kamen am Sonntagnachmittag Ortszeit in der Nähe der Stadt Dangara ums Leben, und drei weitere Touristen wurden verletzt, als sie von einem Personenwagen angefahren wurden. Unter den Verletzten ist auch eine Frau aus der Schweiz. Diese ist seit Mittwoch zurück.
Was auch ein schrecklicher Unfall hätte gewesen sein können, stellte sich als Anschlag heraus. Ein wackliges Video von Augenzeugen zeigte, dass das Auto gezielt die Velofahrer ansteuerte und sogar umdrehte, um noch mehr Schaden anzurichten. Die Überlebenden berichteten davon, dass Männer ausgestiegen seien und mit Messern auf die Opfer eingestochen hätten. Das Vorgehen erinnert an ähnliche, mit primitiven Mitteln verübte Anschläge mehr oder wenig als Einzeltäter agierender Terroristen. Die Sicherheitskräfte töteten vier Verdächtige und nahmen weitere fünf fest.
Einen Tag später reklamierte die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) über die ihr nahestehende Website Amak die Urheberschaft für den Anschlag für sich, ohne zunächst Einzelheiten zu nennen. Im Laufe des Dienstags veröffentlichte Amak zudem ein Video, in dem die fünf mutmasslich am Anschlag Beteiligten vor der schwarzen Flagge des IS zu sehen sind und sich diesem und dessen Anführer Abu Bakr Al-Bagdadi zu Treue verpflichten. Unklar ist, welche Verbindung der mutmasslichen Attentäter zum IS tatsächlich bestand. Sie könnten vom IS angeworben worden sein oder sich auch über das Internet und soziale Netzwerke selbst vom Gedankengut der Terrormiliz angezogen gefühlt und dadurch radikalisiert haben. Erhärtet sich aber der Verdacht einer Verbindung zum IS, so wäre dies der erste derartige Anschlag in Zentralasien. Das müsste über Tadschikistan hinaus in der Region Besorgnis auslösen.
Die tadschikische Regierung liess sich jedoch von dem Bekenntnis aus dem IS-Umfeld nicht beeindrucken und beharrt auf einer eigenen, innenpolitisch nützlicheren Version der Urheberschaft. Sie bezichtigte ihren einstigen Bürgerkriegsgegner, späteren Koalitionspartner und heutigen Intimfeind, die verbotene Partei der islamischen Wiedergeburt, der Tat. Im Fernsehen führte sie die fünf festgenommenen, versehrt wirkenden mutmasslichen Tatbeteiligten vor, die ihre Beteiligung am Anschlag gestanden. Die Sicherheitsbehörden zogen Verbindungen nicht zum IS, sondern nach Iran, mit dem Tadschikistan seit Anfang 2016 gespannte Beziehungen unterhält. Die Iraner hatten damals den im Exil lebenden und zur Fahndung ausgeschriebenen Anführer der Partei, Muchiddin Kabiri, zu einer Konferenz eingeladen und Duschanbe verstimmt. Der angebliche Anführer der mutmasslichen Terroristen, Hussein Abdusamadow, soll in Iran ausgebildet worden sein.
Der schnelle Fingerzeig auf die Partei der islamischen Wiedergeburt bestätigt die Befürchtungen, die tadschikischen Behörden instrumentalisierten den Anschlag für eigene Zwecke. Beobachter halten die Version für wenig wahrscheinlich. Die Partei der islamischen Wiedergeburt ist der Staatsfeind Nummer eins für das Regime Präsident Rachmons. Nach den Parlamentswahlen 2015 wurde sie verboten. Mit Anschlägen auf unbescholtene Zivilisten, gar auf Ausländer, war die Partei nie in Erscheinung getreten. Kabiri wies denn auch die Anschuldigung gegenüber der Agentur Reuters vehement zurück. Die Partei muss spätestens seit 2015 aber als Sündenbock für alles herhalten, was an Gewaltakten und Unrast Tadschikistan erschüttert. Ihre Mitglieder und Unterstützer wurden in den vergangenen Jahren zu hohen Haftstrafen verurteilt.
Das spiegelt sich im Umgang mit dem Islam im Land wider. Wie in anderen Staaten der Region auch, die sich vor der religiösen Radikalisierung der Bevölkerung fürchten, ist der Vorwurf des Extremismus und des Terrorismus für repressive Zwecke politisch sehr dehnbar. Wer einen Bart oder einen Schleier trägt, aber auch wer seiner Unzufriedenheit Luft macht, wird schnell zum Extremisten gestempelt. Der durchschnittlich sehr jungen Bevölkerung fehlt es an wirtschaftlichen Perspektiven. Dies, aber auch die politische und rechtliche Willkür des Staates, begünstigen Offenheit gegenüber radikalen Einflüssen – so legen es auch Informationen über die mutmasslichen Täter des Anschlags vom Sonntag nahe. In ganz Zentralasien vermengt sich politischer und sozioökonomisch motivierter Protest mit dem Vorwurf des Extremismus und des Terrorismus. Damit wird der Radikalisierung erst recht Vorschub geleistet.
Aus dem Einzugsgebiet der ehemaligen Sowjetunion stammt auch das grösste Kontingent der in Syrien kämpfenden sogenannten Foreign Fighters in den Reihen der Islamisten. Mehrere hundert von ihnen kommen aus Tadschikistan, sogar ein früherer Kommandant der Polizei-Elitetruppen setzte sich nach Syrien ab. Die Befürchtung, Rückkehrer aus dem Krieg könnten Zentralasien destabilisieren, hält der auf regionale Sicherheitsfragen spezialisierte britische Wissenschafter Edward J. Lemon allerdings für weniger wahrscheinlich. Die meisten hätten ein «One-Way-Ticket» in den Krieg und Märtyrertod gelöst, andere seien mit der ganzen Familie dahin ausgewandert und kehrten trotz Amnestiemöglichkeit nicht zurück.
Auch Afghanistan hat sich bis jetzt nicht als das grosse Einfallstor für islamistischen Terrorismus erwiesen – wie seit Jahren auch von Russland behauptet, das in Tadschikistan über eine 7500 Mann starke Truppenpräsenz verfügt. Eher verweist Lemon auf die Gefahr, die von der zentralasiatischen Diaspora und deren Radikalisierung ausgeht. Die Attentäter von Istanbul und St. Petersburg rekrutierten sich aus dieser Gruppe.
Für das Bestreben, den Tourismus in dem mit atemberaubenden Gebirgslandschaften gesegneten, sehr armen zentralasiatischen Land zu einer wichtigen Stütze der wirtschaftlichen Entwicklung zu machen, ist das Vorgefallene ein herber Rückschlag. Tadschikistan hatte für 2018 ein Jahr des Tourismus ausgerufen. Die lange Grenze zu Afghanistan, das innenpolitisch nicht verdaute Erbe des Bürgerkriegs der neunziger Jahre nach der Unabhängigkeit und dem Ende der Sowjetunion sowie unterdrückte islamistische Tendenzen waren zwar immer wieder als Sicherheitsrisiken beschrieben worden. Aber Gewalttaten richteten sich in den vergangenen Jahren vorwiegend gegen Vertreter der Sicherheitsbehörden. Gezielte Terroranschläge auf Ausländer gab es nicht.
Die schnelle Schuldzuweisung an eine politische Gruppierung, die der tadschikischen Führung seit längerem als Sündenbock gilt, sollte wohl unter anderem auch die Handlungsfähigkeit des Staates beweisen, aber weckt erst recht die Skepsis der ausländischen Partner, auf deren Gunst Tadschikistan zählt. Diese forderten eine Aufklärung der Tat. Die tadschikische Opposition rief in einem gemeinsamen Schreiben die von dem Anschlag betroffenen Staaten auf, für international überwachte Ermittlungen zu sorgen. In dem Versuch, die Stabilität und Sicherheit zu gewährleisten, dürfte die Regierung geneigt sein, noch unbarmherziger gegen oppositionelle Kräfte und abweichendes Denken vorzugehen. Eben erst wurde der Journalist und Bürgerrechtsaktivist Chairullo Mirsaidow zu zwölf Jahren Haft verurteilt.