ArchivDeutsches Ärzteblatt25/2024Administrative Prävalenz und medikamentöse Therapie chronisch entzündlicher Darmerkrankungen 2012–2020
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Colitis ulcerosa (CU) und Morbus Crohn (MC) sind chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED) mit hoher Prävalenz und Morbidität. Die höchsten Prävalenzwerte für CU werden mit 0,51 % in Norwegen und für MC mit 0,32 % in Deutschland und in Kanada beschrieben (1). Die Behandlung der CED basiert auf Immunmodulation und Immunsuppression. Eingesetzt werden Kortikosteroide und langfristige immunmodulatorische Medikamente wie Azathioprin und Methotrexat, Biologika sowie 5-Aminosalicylate (2).

Methode

Diese Studie basiert auf bundesweiten ambulanten Arzneiverordnungsdaten gemäß § 300 Absatz 2 SGB V und vertragsärztlichen Abrechnungsdaten gemäß § 295 SGB V. Die jährliche administrative Prävalenz (2012–2020) wurde anhand des prozentualen Anteils der an MC und CU Erkrankten innerhalb der Population von in Deutschland ansässigen GKV-Versicherten errechnet. Als Erkrankte galten Personen, für die in wenigstens zwei Quartalen eines Jahres eine gesicherte Diagnose vorlag (ICD-10-GM-Code für MC: K50; für CU: K51). Die jährliche Gesamtversichertenzahl wurde der KM6-Statistik des Bundesministeriums für Gesundheit entnommen (www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/krankenversicherung/zahlen-und-fakten-zur-krankenversicherung/mitglieder-und-versicherte.html). Die Verschreibungsprävalenz der Wirkstoffe wurde pro Jahr anhand der Anzahl der Erkrankten mit wenigstens einer Verordnung pro 1 000 Betroffenen mit diagnostizierter Erkrankung ermittelt.

Ergebnisse

Die administrative Prävalenz der CU stieg von 0,30 % in 2012 auf 0,38 % in 2020 und des MC von 0,26 % in 2012 auf 0,33 % in 2020. Mit 0,57 % (CU) und 0,49 % (MC) wurde die höchste Prävalenz (2020) bei 65–69- beziehungsweise 55–59-Jährigen beobachtet (Grafik). 2020 waren 52,7 % der Personen mit CU und 59,3 % mit MC weiblich. Mesalazin hatte bei CU die höchste Verschreibungsprävalenz, mit großem Abstand zu den übrigen Wirkstoffen und nahezu gleichbleibendem Niveau im Zeitraum 2012–2020 (−5 %) (Tabelle). Bei MC ging die Verwendung von Mesalazin um 29 % zurück. Die Anzahl an Verschreibungen von Azathioprin sank im Beobachtungszeitraum bei CU um 32 %, die von Methotrexat blieb nahezu gleich. Bei MC verringerte sich die Anzahl an Verordnungen von Azathioprin um 41 %, die von Methotrexat um 7 %. Prednisolon und Prednison wurden bei CU seltener verschrieben (−18 %), oral verabreichtes Budesonid jedoch häufiger (+33 %). Bei MC wurden sowohl Prednisolon und Prednison (−21 %) als auch Budesonid (−11 %) seltener verschrieben.

Jährliche administrative Prävalenz pro Altersgruppe für Colitis ulcerosa (CU) und Morbus Crohn (MC) in den Jahren 2012 und 2020
Grafik
Jährliche administrative Prävalenz pro Altersgruppe für Colitis ulcerosa (CU) und Morbus Crohn (MC) in den Jahren 2012 und 2020
Jährliche Verordnungen von Mesalazin, Azathioprin, Methotrexat, Budesonid, systemischen Kortikosteroiden und Biologika bei Colitis ulcerosa und Morbus Crohn
Tabelle
Jährliche Verordnungen von Mesalazin, Azathioprin, Methotrexat, Budesonid, systemischen Kortikosteroiden und Biologika bei Colitis ulcerosa und Morbus Crohn

Die Verschreibungsprävalenz von Biologika stieg bei CU um etwa das 3,5-Fache an von 29,3 pro 1 000 Personen mit CU (2012) auf 103,1 (2020). Vedolizumab wurde zunehmend häufiger verordnet, während die Anzahl der Verschreibungen von Adalimumab geringer zunahm und die von Infliximab seit 2015/2016 auf einem recht konstanten Niveau blieb. Bei Patientinnen und Patienten mit MC stieg die Verschreibungsprävalenz von Biologika um das 2,5-Fache an von 79,1 pro 1 000 Personen mit MC (2012) auf 199,8 (2020). Vor allem Adalimumab- und Ustekinumab wurden häufiger verschrieben; Adalimumab war 2020 das am häufigsten verschriebene Biologikum, gefolgt von Infliximab und Ustekinumab.

Diskussion

Innerhalb des 9-jährigen Untersuchungszeitraums stieg die administrative Prävalenz von CED in Deutschland kontinuierlich an. Dieser Anstieg spiegelt die vorherrschende Richtung von Prävalenztrends in westlichen Industrienationen wider (3). Globale populationsbasierte Daten zeigen für Westeuropa und Nordamerika eine Stabilisierung der Inzidenz (1). Der Anstieg der administrativen Prävalenz erklärt sich am ehesten aus der Summation von Krankheitsfällen bei niedriger Mortalität und stabiler Inzidenz (3). Eine möglicherweise sinkende Krankheitsaktivität im höheren Alter und ein damit einhergehender geringerer Versorgungsbedarf könnte eine seltenere Codierung der Erkrankungen bei dieser Personengruppe erklären. Die berichtete administrative Prävalenz kann von der tatsächlichen Prävalenz in der Bevölkerung abweichen. Die Verordnungsdaten bestätigen aber Beobachtungen aus anderen Ländern: Dort werden potente, spezifischer wirkende Biologika häufiger genutzt und nebenwirkungsreiche Kortikosteroide weniger eingesetzt (4). Allerdings kann anhand von Verordnungshäufigkeiten die Qualität der Therapien als solche nicht gemessen werden.

Die Verschiebung von Verschreibungen systemisch wirkender zu lokal wirksamen Kortikosteroiden bei CU könnte darauf zurückgeführt werden, dass 2016 eine Budesonid-Formulierung für leichte und mittelschwere CU-Krankheitsaktivität zugelassen wurde, die eine Freisetzung von Budesonid im Dickdarm ermöglicht. Trotz begrenzter Wirksamkeit bei MC (5) wies Mesalazin im gesamten Beobachtungszeitraum die höchste wirkstoffspezifische Verordnungsprävalenz auf. Allerdings sank sie pro Jahr im Mittel um 4 %. Insgesamt blieb der Anteil der Personen mit CU, denen die untersuchten Wirkstoffe verschrieben wurden, im Zeitraum 2012–2020 weitgehend konstant bei 63,5 %, während der Anteil der Personen mit MC von 61,8 % auf 59,1 % sank.

Karsten H. Weylandt, Astrid Wiese, Adelheid Jung, Christoph Schmöcker, Daniel C. Baumgart, Felicia Turowski, Claudia Kohring, Kerstin Klimke, Manas K. Akmatov, Jörg Bätzing, Dawid Pieper, Jakob Holstiege

Klinik für Innere Medizin, Klinik für Gastroenterologie, Stoffwechsel und Onkologie, Universitätsklinikum Ruppin-Brandenburg, Neuruppin (Weylandt, Wiese, Jung, Schmöcker, Turowski), [email protected]

Fakultät für Gesundheitswissenschaften, gemeinsame Fakultät der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus – Senftenberg, der Medizinischen Hochschule Brandenburg Theodor Fontane und der Universität Potsdam (Weylandt, Wiese, Schmöcker, Pieper)

Division of Gastroenterology and Hepatology, Department of Medicine, University of Alberta, Edmonton, Alberta, Canada (Baumgart)

Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi), Berlin (Kohring, Klimke, Akmatov, Bätzing, Holstiege)

Institut für Versorgungs- und Versorgungssystemforschung, Medizinische Hochschule Brandenburg Rüdersdorf (Pieper)

Zentrum für Versorgungsforschung, Medizinische Hochschule Brandenburg, Rüdersdorf (Pieper)

Interessenkonflikt

DCB erhielt Beratungs- und/oder Vortragshonorare sowie Reisekosten- und/oder Kongressgebührenerstatung und/oder Unterstützungen für die Durchführung von Veranstaltungen von Amgen, AbbVie, Janssen Cilag, Pfizer, Galapagos, Takeda, Lilly, BMS, Merz, Astra Zeneca, Canon, Fuji, Ferring, Dr. Falk, Nestlé, Tillots, Biogen, Galapagos, Pharmacosmos, BMS, Celltrion. Er ist Mitglied in Scientific Advisory Boards von Janssen Cilag, Merz, Astra Zeneca, Canon, Lilly, Fuji, Ferring, Dr. Falk, Nestlé, Tillots, Pfizer, AbbVie, Lilly, Biogen, Galapagos, Pharmacosmos, BMS, Celltrion und Biogen und Beiratsmitglied bei DGVS, ECCO, AGA und UEG.

KHW bekam Veranstaltungsunterstützung/Vortragshonorare von Celltrion, Microtech Endoscopy, Dr. Falk Pharma, Pentax Medical, Sanofi, Daiichi Sankyo, Lilly.

Die übrigen Autorinnen und Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Manuskriptdaten
eingereicht: 04.02.2024, revidierte Fassung angenommen: 25.06.2024

Zitierweise
Weylandt KH, Wiese A, Jung A, Schmöcker C, Baumgart DC, Turowski F, Kohring C, Klimke K, Akmatov MK, Bätzing J, Pieper D, Holstiege J: The administrative prevalence and pharmacotherapy of chronic inflammatory bowel diseases, 2012–2020. Dtsch Arztebl Int 2024; 121: 847–8. DOI: 10.3238/arztebl.m2024.0138

1.
Ng SC, Shi HY, Hamidi N, et al.: Worldwide incidence and prevalence of inflammatory bowel disease in the 21st century: a systematic review of population-based studies. Lancet 2017; 390: 2769–78 CrossRef MEDLINE
2.
Baumgart DC, Le Berre C: Newer biologic and small-molecule therapies for inflammatory bowel disease. N Engl J Med 2021; 385: 1302–15 CrossRef MEDLINE
3.
Kaplan GG, Windsor JW: The four epidemiological stages in the global evolution of inflammatory bowel disease. Nat Rev Gastroenterol Hepatol 2021; 18: 56–66 CrossRef MEDLINE PubMed Central
4.
Jeuring SFG, Biemans VBC, van den Heuvel TRA, et al.: Corticosteroid sparing in inflammatory bowel disease is more often achieved in the immunomodulator and biological era-results from the Dutch population-based IBDSL cohort. Am J Gastroenterol 2018; 113: 384–95 CrossRef MEDLINE
5.
Sturm A, Atreya R, Bettenworth D, et al.: Aktualisierte S3-Leitlinie Diagnostik und Therapie des Morbus Crohn – August 2021 – AWMF-Registernummer: 021–004. Z Gastroenterol 2022; 60: 332–418 CrossRef MEDLINE
Jährliche administrative Prävalenz pro Altersgruppe für Colitis ulcerosa (CU) und Morbus Crohn (MC) in den Jahren 2012 und 2020
Grafik
Jährliche administrative Prävalenz pro Altersgruppe für Colitis ulcerosa (CU) und Morbus Crohn (MC) in den Jahren 2012 und 2020
Jährliche Verordnungen von Mesalazin, Azathioprin, Methotrexat, Budesonid, systemischen Kortikosteroiden und Biologika bei Colitis ulcerosa und Morbus Crohn
Tabelle
Jährliche Verordnungen von Mesalazin, Azathioprin, Methotrexat, Budesonid, systemischen Kortikosteroiden und Biologika bei Colitis ulcerosa und Morbus Crohn
1.Ng SC, Shi HY, Hamidi N, et al.: Worldwide incidence and prevalence of inflammatory bowel disease in the 21st century: a systematic review of population-based studies. Lancet 2017; 390: 2769–78 CrossRef MEDLINE
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5.Sturm A, Atreya R, Bettenworth D, et al.: Aktualisierte S3-Leitlinie Diagnostik und Therapie des Morbus Crohn – August 2021 – AWMF-Registernummer: 021–004. Z Gastroenterol 2022; 60: 332–418 CrossRef MEDLINE

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