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The ART of Risk Management

2004, RISKNEWS

The ART of Risk Management Nicht erst seit dem 11. September haben Lösungen des alternativen Risikotransfers /der alternativen Risikofinanzierung stark an Bedeutung gewonnen. Wir sprachen mit Chris Fischer Hirs von Allianz Risk Transfer und Rüdiger Seitz von Allianz Global Risks über die aktuellen Entwicklungen in diesem Bereich.

DIALOG The ART of Risk Management Nicht erst seit dem 11. September haben Lösungen des alternativen Risikotransfers /der alternativen Risikofinanzierung stark an Bedeutung gewonnen. Wir sprachen mit Chris Fischer Hirs von Allianz Risk Transfer und Rüdiger Seitz von Allianz Global Risks über die aktuellen Entwicklungen in diesem Bereich. RISKNEWS: Der 11. September stellte für die Versicherungsmärkte eine Zäsur dar. Während sich die Unternehmen mit einer dramatisch veränderten Risikolandschaft konfrontiert sahen, war Versicherungsschutz nur zu extrem hohen Prämien oder gar nicht mehr zu bekommen. In dieser „Hard-Market-Phase“ stieg die Nachfrage nach alternativen Risikotransfer- und Risikofinanzierungs-Lösungen sehr stark an. Wie beurteilen Sie den Markt für alternative Lösungen zurzeit? Chris Fischer Hirs: Der 11. September hat nicht nur die Märkte verändert, sondern auch die Unternehmen. Insbesondere das Risikobewusstsein hat sich durch dieses Ereignis völlig gewandelt. Heute sind Risikomanagement und -vorsorge nicht mehr nur beim Risk Manager angesiedelt, dem es bisher vielleicht hauptsächlich darum ging, Haftpflicht- und Sachpolicen auf Jahresbasis einzeln einzukaufen. Man befasst sich viel intensiver als früher mit dem „Risk of Ruin“. Und die grundsätzliche Änderung dabei ist: auch der Vorstand befasst sich viel intensiver mit diesem Thema. Dabei prüft der Vorstand die verschiedenen Lösungsansätze, wobei die Rendite auf das Risikokapital eine wesentliche Rolle spielt. Eine weitere wichtige Veränderung ist, dass man das Thema Risikomanagement viel integrierter betrachtet: Im Gegensatz zu früher werden Risiko-Transfer und Risiko-Finanzierung heute vor allem als Management der Bilanz, Erfolgsrechung und Mittelflussrechnung verstanden. Wenn Sie sich die Passivseite anschauen, haben Sie dort kurzfristige Bankkredite oder ähnliche Instru- mente, langfristiges Fremdkapital und schließlich Eigenkapital. Aber vor allem die Versicherer und Rückversicherer schauen sich noch eine vierte, hybride Form von Kapital an, und das bietet ART u. a. in Form von strukturierten Lösungen an. Bei diesen Lösungen geht es doch einfach um Folgendes: wenn ein bestimmtes Ereignis eintritt – kann ich mir dann heute schon die Gewissheit verschaffen, dass die Auswirkungen auf meine Bilanz berechenbar und begrenzt werden? Es geht nicht darum, dass ein anderer komplett das Risiko für mich trägt. Vielmehr entsteht eine Risikogemeinschaft. Dabei gibt mir jemand die Zusicherung, dass der Einfluss auf die Bilanz, die Erfolgsrechnung, den Cash-Flow etc. über mehrere Jahre in einem bestimmten Rahmen bleibt. Wenn ich sage, dass ein bestimmtes Ereignis einmal in tausend Jahren passiert, hört sich das sicher unwahrscheinlich an. Aber was ist, wenn es morgen passiert? Dann hatte ich eben leider keine 999 Jahre Zeit, um mich darauf vorzubereiten. Und für diese Fälle eignen sich ART-Lösungen sehr gut. Allianz Risk Transfer ist bereit, entsprechendes Risiko mit zu tragen. Chris Fischer Hirs leitet die Niederlassung Zürich von Allianz Risk Transfer (ART) und ist für das gesamte europäische ART-Geschäft verantwortlich. Er kam 1999 als Chief Financial and Operating Officer zu Allianz Risk Transfer. Zuvor arbeitete Herr Fischer Hirs 19 Jahre für die UBS in den Regionen Schweiz, Nordamerika und Europa. Rüdiger Seitz leitet das Allianz Global Risks PharmChem Solutions Team mit Sitz in Zürich. Zuvor steuerte er das globale Haftpflichtportfolio der Allianz Global Risks. Herr Seitz gehört der Allianz seit 1981 an. RISKNEWS: Vom Status quo zur Zukunft: wie wird sich dieser Markt künftig entwickeln? Wird das Thema ART wieder in der Versenkung verschwinden, wenn zehn Jahre nichts passiert? Oder sind diese Ansätze auch dann noch eine Alternative, wenn die Prämien wieder in den Keller rauschen? Chris Fischer Hirs: Eines muss ganz klar sein: ART-Lösungen ergänzen die traditionelle RISKNEWS 04/04 59 Lösungen, sie ersetzen sie aber nicht. Aber überall, wo Volatilitäten und Lücken bestehen, will der Kunde Optionen haben – und das wird wohl nur mit ART gehen. Inzwischen sagen sogar viele unserer Kunden: auch wenn die Preise heute unten sind, irgendwann gehen sie wieder hoch, irgendwann passiert wieder was. Man muss unterscheiden zwischen Risiken, die traditionell versicherbar sind, und neuen Risikokategorien: Ein Unternehmen hat zehn Jahre lang keinen Haftungsschaden, dann kommt auf einmal ein Großschaden. In dieser Situation werden die traditionellen Versicherungsprämien und der Selbstbehalt vielleicht ansteigen. Dieser Kunde braucht Zeit, um sich wieder neu auf die veränderte Situation einzustellen. Zeit, die er unter Umständen mit Hilfe einer ARTLösung überbrücken kann. Ob eine ART-Lösung sinnvoll ist oder nicht, hängt aber nicht nur von der Entwicklung des traditionellen Versicherungsmarktes ab, sondern vor allem von der individuellen Situation des Kunden. Wir haben beispielsweise an zwei Unternehmen aus dem Filmbusiness eine Umsatzgarantie gegeben, da sie ansonsten keine Finanzierung für die Produktion ihrer Filme bekommen hätten. Beide haben einen guten Job gemacht und sich auf dem Markt Vertrauen erarbeitet. Die benötigen heute gar keine Umsatzgarantien mehr, um die Finanzierung für ihre Produktion sichern zu können. Rüdiger Seitz: Gerade im Pharmabereich sehen wir außerdem, dass viele Unternehmen – manche gezwungenermaßen, manche aus strategischen Überlegungen heraus – ihre Selbstbehalte massiv nach oben gefahren haben. Wir würden nun einen schlechten Job machen, wenn wir sagen „Okay, wir versichern Eure Risiken auf traditioneller Basis erst oberhalb des Selbstbehalts“ und uns sonst zurückziehen, ohne zu sagen, was man in dem Bereich darunter tun soll. Wenn man die Selbstbehalte erhöhen will, benötigt man dazu schließlich entsprechendes Risikokapital. Dieses Risikokapital ist aber nun mal sehr knapp. Hier können ART-Lösungen dem Kunden Liquidität – und damit Zeit – geben, um sukzessive eigene Reserven aufzubauen. In dem Maße, wie dies geschieht, verlagern wir dann unser Engagement in andere Risikobereiche. 60 RISKNEWS 04/04 RISKNEWS: ART-Lösungen zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass sie verschiedene Ansätze des Risikomanagements (Versicherungslösungen, Kapitalmarktinstrumente etc.) integrieren. Demgegenüber herrscht in vielen Un- ternehmen noch immer ein ausgeprägtes „Silodenken“ vor: die eine Abteilung kauft Versicherungen ein, die zweite ist für Kapitalmarkttransaktionen zuständig, die dritte kümmert sich um den internen Risikomanagement-Prozess. Inwiefern behindern diese Defizite eine effiziente Anwendung von ART-Lösungen? Welche organisatorischen Veränderungen müssten Unternehmen – aber auch die Anbieter von ART-Lösungen – schaffen, um diese Defizite abzubauen? Rüdiger Seitz: Ganz so negativ kann man das eigentlich nicht mehr sehen. In den Unternehmen bildet sich zunehmend eine integrierte Sichtweise heraus. Die Banken waren ja vor einigen Jahren mit die Ersten, die einen „Chief Risk Officer“ etabliert haben. Mehr und mehr ist diese Entwicklung nun auch in der Industrie zu beobachten. Man konzentriert sich nicht mehr nur auf versicherbare Risiken und kümmert sich um seine Sach- und Haftpflichtprogramme, sondern analysiert die gesamte Risiko-Situation des Unternehmens. Je mehr sich dieser integrierte Risk-Management-Ansatz durchsetzt, desto eher kommt man auch aus diesen Silos heraus. Das macht es natürlich einfacher für uns, mit unseren Kunden zu reden. Das macht es aber auch einfacher für unsere Kunden, mit jemandem wie uns zu reden. Die Diskussion konzentriert sich dann nämlich auf den optimalen Einsatz von Risikokapital und nicht auf die Frage „Welches ist der richtige Preis für eine bestimmte Versicherung?“. Das veränderte Risikobewusstsein, das Herr Fischer Hirs vorhin angesprochen hat, gilt aber sicher nicht nur für unsere Kunden, sondern auch für uns. Wir als Allianz-Gruppe müssen uns ebenfalls weiter entwickeln. Der Kunde kennt sein Geschäft und seine Risiken natürlich am besten. Er muss uns seine Bedürfnisse vermitteln und wir müssen sie verstehen. Mit unserem PharmChem Solutions Team haben wir deshalb Zugriff auf alle internen Ressourcen, die für eine lösungsorientierte Diskussion mit Kunden im Pharmabereich erforderlich sind. RISKNEWS: Gibt es eine kritische Unternehmensgröße, ab der die Beschäftigung mit solchen Angeboten Sinn ergibt? Für welche Kunden sind diese Lösungen eigentlich interessant? Chris Fischer Hirs: Es ist sicher sehr schwierig, eine Größe in den Raum zu stellen, ab der eine ART-Lösung Sinn ergibt. Generell kann man sagen: viele der ganz Großen sind selbst schon derart professionell, dass sie uns vielleicht nicht brauchen. Eine Stufe darunter wird es sicher interessant. Da heißt es dann oft: DIALOG „Ich brauche Eure Hilfe, weil es sich für mich gar nicht lohnt, die benötigte Kapazität in meine Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung zu nehmen.“ Und das ist auch sinnvoll. Wenn bei einem einzelnen Unternehmen etwas schief geht, hat es den vollen Schaden. Wir dagegen verfolgen ja einen Korrelationsansatz, in dem wir viele unterschiedliche Risiken übernehmen. Diese Diversifikation senkt die Risikokosten. Die entscheidende Frage ist natürlich immer, ob sich ein günstiges Kosten/Nutzen-Verhältnis einstellt. Und zwar nicht nur für uns, sondern auch für den Kunden. ART-Lösungen müssen ja immer auf die individuelle Situation des Kunden zugeschnitten werden. Eine ART-Lösung kann nur im Dialog mit dem Kunden entstehen. Oftmals hört man dann das Vorurteil „ART ist zu komplex“. Aber eigentlich sind die Lösungen ganz einfach. Die wichtigste Hürde, die wir nehmen müssen, ist meistens die zeitliche Komponente – der ganze Vorlauf, der benötigt wird, um das Verständnis innerhalb des Unternehmens herzustellen und alle Entscheidungen zu bekommen. Gerade diese internen Kosten werden oftmals unterschätzt. Rüdiger Seitz: Dabei ist es völlig normal, dass die Kunden eine gewisse Zeit brauchen, um Vertrauen aufzubauen. Und diese Zeit sollen sie sich auch nehmen. Schließlich geht es bei ART im Allgemeinen und PharmChem Solutions im Speziellen um Lösungen für die wesentlichen Probleme eines Unternehmens, die der Kunde uns nicht auf Anhieb erzählen möchte. Der schwierigste Teil ist oft, erst einmal zu einem Punkt zu kommen, an dem genau erkannt wird, was das eigentliche Problem ist. Wenn man das dann allerdings geschafft hat, hat man auch einen Kunden, mit dem man sehr gut kommunizieren kann. Dadurch gewinnen die Kundenbeziehungen auch eine ganz andere Qualität. Wahrscheinlich ist es deshalb ganz gut, wenn ein Unternehmen mit einer relativ einfachen Lösung anfängt. Wenn beide Parteien dann sehen, dass es funktioniert und Vertrauen zu diesem Vehikel und vor allem auch zueinander aufbauen konnten, kommen später vielleicht ganz neue Ideen. RISKNEWS: Ein wesentliches Kennzeichen vieler ART-Lösungen ist es ja, Risiken zu transferieren bzw. zu finanzieren, die bisher als nicht versicherbar galten … Chris Fischer Hirs: … wobei man aber ganz klar sagen muss, dass ART auch hier kein Allheilmittel ist. Es wird immer Risiken geben, die man nicht übertragen oder unbegrenzt finanzieren kann – ganz einfach, weil wir sie nicht qualifizieren oder quantifizieren können. Aber um diese nicht-versicherbaren Risiken herum gibt es immer Nebenkriegsschauplätze, auf denen man sehr wohl agieren kann. Nehmen wir das Beispiel Elektromagnetische Strahlung. Dafür können wir dem Kunden beispielsweise eine Deckung von fünfzig Millionen anbieten. Aber was ist, wenn die Klage auf fünf Milliarden lautet? Dann nützen ihm fünfzig Millionen doch gar nichts. Was man aber sehr wohl sagen kann, ist Folgendes: es wird in diesem Bereich wahrscheinlich Klagen geben. Warum baue ich dann nicht eine Reserve für allfällige Abwehrkosten auf? Der Markt weiß dann auf jeden Fall, dass eine Police für Abwehrkosten besteht. Also wissen potenzielle Kläger zumindest: wenn ich jetzt vor Gericht ziehe, hat die Gegenseite schon einiges auf die Seite gelegt, um sich zu wehren. Vielleicht schreckt so etwas schon ab. Das sind solche Nebenkriegsschauplätze, die man eher steuern kann. Apropos Elektromagnetische Strahlung: Gerade bei solchen Phantomrisiken müssen wir sehr aufpassen. Die amerikanische Kultur darf hier keine Schule machen. Und wir sehen ja auch schon in den USA – Stichwort Fettleibigkeit – dass die Gerichte und auch das Repräsentantenhaus gesagt haben: jetzt müssen wir aufhören. Irgendwo muss die Gesellschaft auch Eigenverantwortung tragen. RISKNEWS: Viele ART-Lösungen dienen ja dazu, Risiken aus der eigenen Bilanz auf Dritte zu verlagern … Chris Fischer Hirs: … weswegen man mitunter hört: „ART kann man nicht machen, das ist ja wie bei Enron, Worldcom etc. etc.“ Hier muss man ganz klar sagen: Das ist überhaupt nicht vergleichbar, das sind zwei völlig verschiedene Paar Schuhe. Bei jeder Lösung, die wir vorschlagen wollen, machen wir deshalb unseren so genannten „FT-Test“. Das heißt, wir fragen uns, ob unsere Lösung am nächsten Tag in der Financial Times für eine negative Schlagzeile sorgen könnte. Nur wenn die Antwort „nein“ lautet, werden wir die Lösung umsetzen. Der FTTest ist daher ein ganz wichtiger Bestandteil unserer Underwriting-Kriterien. RISKNEWS: Herr Fischer Hirs, Herr Seitz, vielen Dank für das interessante Gespräch. <Das Interview führten Dr. Roland F. Erben und Frank Romeike> RISKNEWS 04/04 61