DIALOG
The ART of
Risk Management
Nicht erst seit dem 11. September haben Lösungen des alternativen Risikotransfers /der alternativen Risikofinanzierung stark an Bedeutung gewonnen.
Wir sprachen mit Chris Fischer Hirs von Allianz Risk Transfer und Rüdiger Seitz
von Allianz Global Risks über die aktuellen Entwicklungen in diesem Bereich.
RISKNEWS: Der 11. September stellte für die
Versicherungsmärkte eine Zäsur dar. Während
sich die Unternehmen mit einer dramatisch
veränderten Risikolandschaft konfrontiert sahen,
war Versicherungsschutz nur zu extrem hohen
Prämien oder gar nicht mehr zu bekommen. In
dieser „Hard-Market-Phase“ stieg die Nachfrage
nach alternativen Risikotransfer- und Risikofinanzierungs-Lösungen sehr stark an. Wie beurteilen
Sie den Markt für alternative Lösungen zurzeit?
Chris Fischer Hirs: Der 11. September hat
nicht nur die Märkte verändert, sondern auch
die Unternehmen. Insbesondere das Risikobewusstsein hat sich durch dieses Ereignis völlig
gewandelt. Heute sind Risikomanagement und
-vorsorge nicht mehr nur beim Risk Manager
angesiedelt, dem es bisher vielleicht hauptsächlich darum ging, Haftpflicht- und Sachpolicen
auf Jahresbasis einzeln einzukaufen. Man befasst
sich viel intensiver als früher mit dem „Risk of
Ruin“. Und die grundsätzliche Änderung dabei
ist: auch der Vorstand befasst sich viel intensiver mit diesem Thema. Dabei prüft der Vorstand
die verschiedenen Lösungsansätze, wobei die
Rendite auf das Risikokapital eine wesentliche
Rolle spielt.
Eine weitere wichtige Veränderung ist, dass man
das Thema Risikomanagement viel integrierter
betrachtet: Im Gegensatz zu früher werden Risiko-Transfer und Risiko-Finanzierung heute vor
allem als Management der Bilanz, Erfolgsrechung
und Mittelflussrechnung verstanden. Wenn Sie
sich die Passivseite anschauen, haben Sie dort
kurzfristige Bankkredite oder ähnliche Instru-
mente, langfristiges Fremdkapital und schließlich
Eigenkapital. Aber vor allem die Versicherer und
Rückversicherer schauen sich noch eine vierte,
hybride Form von Kapital an, und das bietet ART
u. a. in Form von strukturierten Lösungen an.
Bei diesen Lösungen geht es doch einfach um
Folgendes: wenn ein bestimmtes Ereignis eintritt – kann ich mir dann heute schon die Gewissheit verschaffen, dass die Auswirkungen auf
meine Bilanz berechenbar und begrenzt werden?
Es geht nicht darum, dass ein anderer komplett
das Risiko für mich trägt. Vielmehr entsteht eine
Risikogemeinschaft. Dabei gibt mir jemand die
Zusicherung, dass der Einfluss auf die Bilanz,
die Erfolgsrechnung, den Cash-Flow etc. über
mehrere Jahre in einem bestimmten Rahmen
bleibt. Wenn ich sage, dass ein bestimmtes Ereignis einmal in tausend Jahren passiert, hört
sich das sicher unwahrscheinlich an. Aber was
ist, wenn es morgen passiert? Dann hatte ich
eben leider keine 999 Jahre Zeit, um mich darauf
vorzubereiten. Und für diese Fälle eignen sich
ART-Lösungen sehr gut. Allianz Risk Transfer
ist bereit, entsprechendes Risiko mit zu tragen.
Chris
Fischer Hirs
leitet die Niederlassung
Zürich von Allianz Risk
Transfer (ART) und ist für
das gesamte europäische
ART-Geschäft verantwortlich. Er kam 1999 als Chief
Financial and Operating
Officer zu Allianz Risk
Transfer. Zuvor arbeitete
Herr Fischer Hirs 19 Jahre
für die UBS in den Regionen
Schweiz, Nordamerika
und Europa.
Rüdiger Seitz
leitet das Allianz Global
Risks PharmChem Solutions
Team mit Sitz in Zürich.
Zuvor steuerte er das
globale Haftpflichtportfolio
der Allianz Global Risks.
Herr Seitz gehört der Allianz
seit 1981 an.
RISKNEWS: Vom Status quo zur Zukunft: wie
wird sich dieser Markt künftig entwickeln? Wird
das Thema ART wieder in der Versenkung verschwinden, wenn zehn Jahre nichts passiert?
Oder sind diese Ansätze auch dann noch eine
Alternative, wenn die Prämien wieder in den
Keller rauschen?
Chris Fischer Hirs: Eines muss ganz klar
sein: ART-Lösungen ergänzen die traditionelle
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Lösungen, sie ersetzen sie aber nicht. Aber überall, wo Volatilitäten und Lücken bestehen, will
der Kunde Optionen haben – und das wird wohl
nur mit ART gehen. Inzwischen sagen sogar
viele unserer Kunden: auch wenn die Preise
heute unten sind, irgendwann gehen sie wieder
hoch, irgendwann passiert wieder was.
Man muss unterscheiden zwischen Risiken, die
traditionell versicherbar sind, und neuen Risikokategorien: Ein Unternehmen hat zehn Jahre
lang keinen Haftungsschaden, dann kommt auf
einmal ein Großschaden. In dieser Situation
werden die traditionellen Versicherungsprämien und der Selbstbehalt vielleicht ansteigen.
Dieser Kunde braucht Zeit, um sich wieder neu
auf die veränderte Situation einzustellen. Zeit,
die er unter Umständen mit Hilfe einer ARTLösung überbrücken kann.
Ob eine ART-Lösung sinnvoll ist oder nicht, hängt
aber nicht nur von der Entwicklung des traditionellen Versicherungsmarktes ab, sondern vor allem von der individuellen Situation des Kunden.
Wir haben beispielsweise an zwei Unternehmen
aus dem Filmbusiness eine Umsatzgarantie gegeben, da sie ansonsten keine Finanzierung für
die Produktion ihrer Filme bekommen hätten.
Beide haben einen guten Job gemacht und sich
auf dem Markt Vertrauen erarbeitet. Die benötigen heute gar keine Umsatzgarantien mehr, um
die Finanzierung für ihre Produktion sichern zu
können.
Rüdiger Seitz: Gerade im Pharmabereich
sehen wir außerdem, dass viele Unternehmen –
manche gezwungenermaßen, manche aus strategischen Überlegungen heraus – ihre Selbstbehalte massiv nach oben gefahren haben. Wir
würden nun einen schlechten Job machen, wenn
wir sagen „Okay, wir versichern Eure Risiken
auf traditioneller Basis erst oberhalb des Selbstbehalts“ und uns sonst zurückziehen, ohne zu
sagen, was man in dem Bereich darunter tun
soll. Wenn man die Selbstbehalte erhöhen will,
benötigt man dazu schließlich entsprechendes
Risikokapital. Dieses Risikokapital ist aber nun
mal sehr knapp. Hier können ART-Lösungen dem
Kunden Liquidität – und damit Zeit – geben, um
sukzessive eigene Reserven aufzubauen. In dem
Maße, wie dies geschieht, verlagern wir dann
unser Engagement in andere Risikobereiche.
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RISKNEWS: ART-Lösungen zeichnen sich unter
anderem dadurch aus, dass sie verschiedene
Ansätze des Risikomanagements (Versicherungslösungen, Kapitalmarktinstrumente etc.) integrieren. Demgegenüber herrscht in vielen Un-
ternehmen noch immer ein ausgeprägtes „Silodenken“ vor: die eine Abteilung kauft Versicherungen ein, die zweite ist für Kapitalmarkttransaktionen zuständig, die dritte kümmert sich um
den internen Risikomanagement-Prozess. Inwiefern behindern diese Defizite eine effiziente
Anwendung von ART-Lösungen? Welche organisatorischen Veränderungen müssten Unternehmen – aber auch die Anbieter von ART-Lösungen – schaffen, um diese Defizite abzubauen?
Rüdiger Seitz: Ganz so negativ kann man
das eigentlich nicht mehr sehen. In den Unternehmen bildet sich zunehmend eine integrierte
Sichtweise heraus. Die Banken waren ja vor
einigen Jahren mit die Ersten, die einen „Chief
Risk Officer“ etabliert haben. Mehr und mehr ist
diese Entwicklung nun auch in der Industrie zu
beobachten. Man konzentriert sich nicht mehr
nur auf versicherbare Risiken und kümmert sich
um seine Sach- und Haftpflichtprogramme, sondern analysiert die gesamte Risiko-Situation des
Unternehmens. Je mehr sich dieser integrierte
Risk-Management-Ansatz durchsetzt, desto eher
kommt man auch aus diesen Silos heraus. Das
macht es natürlich einfacher für uns, mit unseren
Kunden zu reden. Das macht es aber auch einfacher für unsere Kunden, mit jemandem wie uns
zu reden. Die Diskussion konzentriert sich dann
nämlich auf den optimalen Einsatz von Risikokapital und nicht auf die Frage „Welches ist der
richtige Preis für eine bestimmte Versicherung?“.
Das veränderte Risikobewusstsein, das Herr
Fischer Hirs vorhin angesprochen hat, gilt aber
sicher nicht nur für unsere Kunden, sondern auch
für uns. Wir als Allianz-Gruppe müssen uns
ebenfalls weiter entwickeln. Der Kunde kennt
sein Geschäft und seine Risiken natürlich am
besten. Er muss uns seine Bedürfnisse vermitteln und wir müssen sie verstehen. Mit unserem
PharmChem Solutions Team haben wir deshalb
Zugriff auf alle internen Ressourcen, die für eine
lösungsorientierte Diskussion mit Kunden im
Pharmabereich erforderlich sind.
RISKNEWS: Gibt es eine kritische Unternehmensgröße, ab der die Beschäftigung mit solchen
Angeboten Sinn ergibt? Für welche Kunden sind
diese Lösungen eigentlich interessant?
Chris Fischer Hirs: Es ist sicher sehr
schwierig, eine Größe in den Raum zu stellen,
ab der eine ART-Lösung Sinn ergibt. Generell
kann man sagen: viele der ganz Großen sind
selbst schon derart professionell, dass sie uns
vielleicht nicht brauchen. Eine Stufe darunter
wird es sicher interessant. Da heißt es dann oft:
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„Ich brauche Eure Hilfe, weil es sich für mich
gar nicht lohnt, die benötigte Kapazität in meine
Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung zu nehmen.“ Und das ist auch sinnvoll. Wenn bei einem
einzelnen Unternehmen etwas schief geht, hat
es den vollen Schaden. Wir dagegen verfolgen ja
einen Korrelationsansatz, in dem wir viele unterschiedliche Risiken übernehmen. Diese Diversifikation senkt die Risikokosten.
Die entscheidende Frage ist natürlich immer, ob
sich ein günstiges Kosten/Nutzen-Verhältnis
einstellt. Und zwar nicht nur für uns, sondern
auch für den Kunden. ART-Lösungen müssen ja
immer auf die individuelle Situation des Kunden
zugeschnitten werden. Eine ART-Lösung kann
nur im Dialog mit dem Kunden entstehen. Oftmals hört man dann das Vorurteil „ART ist zu
komplex“. Aber eigentlich sind die Lösungen
ganz einfach. Die wichtigste Hürde, die wir nehmen müssen, ist meistens die zeitliche Komponente – der ganze Vorlauf, der benötigt wird, um
das Verständnis innerhalb des Unternehmens
herzustellen und alle Entscheidungen zu bekommen. Gerade diese internen Kosten werden
oftmals unterschätzt.
Rüdiger Seitz: Dabei ist es völlig normal,
dass die Kunden eine gewisse Zeit brauchen,
um Vertrauen aufzubauen. Und diese Zeit sollen
sie sich auch nehmen. Schließlich geht es bei
ART im Allgemeinen und PharmChem Solutions
im Speziellen um Lösungen für die wesentlichen
Probleme eines Unternehmens, die der Kunde
uns nicht auf Anhieb erzählen möchte. Der
schwierigste Teil ist oft, erst einmal zu einem
Punkt zu kommen, an dem genau erkannt wird,
was das eigentliche Problem ist. Wenn man das
dann allerdings geschafft hat, hat man auch einen
Kunden, mit dem man sehr gut kommunizieren
kann. Dadurch gewinnen die Kundenbeziehungen auch eine ganz andere Qualität.
Wahrscheinlich ist es deshalb ganz gut, wenn
ein Unternehmen mit einer relativ einfachen Lösung anfängt. Wenn beide Parteien dann sehen,
dass es funktioniert und Vertrauen zu diesem
Vehikel und vor allem auch zueinander aufbauen
konnten, kommen später vielleicht ganz neue
Ideen.
RISKNEWS: Ein wesentliches Kennzeichen vieler
ART-Lösungen ist es ja, Risiken zu transferieren
bzw. zu finanzieren, die bisher als nicht versicherbar galten …
Chris Fischer Hirs: … wobei man aber
ganz klar sagen muss, dass ART auch hier kein
Allheilmittel ist. Es wird immer Risiken geben,
die man nicht übertragen oder unbegrenzt finanzieren kann – ganz einfach, weil wir sie nicht
qualifizieren oder quantifizieren können. Aber um
diese nicht-versicherbaren Risiken herum gibt
es immer Nebenkriegsschauplätze, auf denen
man sehr wohl agieren kann. Nehmen wir das
Beispiel Elektromagnetische Strahlung. Dafür
können wir dem Kunden beispielsweise eine
Deckung von fünfzig Millionen anbieten. Aber
was ist, wenn die Klage auf fünf Milliarden lautet?
Dann nützen ihm fünfzig Millionen doch gar nichts.
Was man aber sehr wohl sagen kann, ist Folgendes: es wird in diesem Bereich wahrscheinlich
Klagen geben. Warum baue ich dann nicht eine
Reserve für allfällige Abwehrkosten auf? Der
Markt weiß dann auf jeden Fall, dass eine Police
für Abwehrkosten besteht. Also wissen potenzielle Kläger zumindest: wenn ich jetzt vor Gericht ziehe, hat die Gegenseite schon einiges auf
die Seite gelegt, um sich zu wehren. Vielleicht
schreckt so etwas schon ab. Das sind solche Nebenkriegsschauplätze, die man eher steuern kann.
Apropos Elektromagnetische Strahlung: Gerade
bei solchen Phantomrisiken müssen wir sehr aufpassen. Die amerikanische Kultur darf hier keine
Schule machen. Und wir sehen ja auch schon in
den USA – Stichwort Fettleibigkeit – dass die
Gerichte und auch das Repräsentantenhaus gesagt haben: jetzt müssen wir aufhören. Irgendwo muss die Gesellschaft auch Eigenverantwortung tragen.
RISKNEWS: Viele ART-Lösungen dienen ja dazu,
Risiken aus der eigenen Bilanz auf Dritte zu verlagern …
Chris Fischer Hirs: … weswegen man mitunter hört: „ART kann man nicht machen, das
ist ja wie bei Enron, Worldcom etc. etc.“ Hier
muss man ganz klar sagen: Das ist überhaupt
nicht vergleichbar, das sind zwei völlig verschiedene Paar Schuhe. Bei jeder Lösung, die wir vorschlagen wollen, machen wir deshalb unseren
so genannten „FT-Test“. Das heißt, wir fragen
uns, ob unsere Lösung am nächsten Tag in der
Financial Times für eine negative Schlagzeile
sorgen könnte. Nur wenn die Antwort „nein“
lautet, werden wir die Lösung umsetzen. Der FTTest ist daher ein ganz wichtiger Bestandteil
unserer Underwriting-Kriterien.
RISKNEWS: Herr Fischer Hirs, Herr Seitz, vielen
Dank für das interessante Gespräch.
<Das Interview führten Dr. Roland F. Erben und Frank Romeike>
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