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Jede Menge Kalkstein – Archäometrische Untersuchungen an mittelalterlichen Gussformen aus Magdeburg

Jede Menge Kalkstein – Archäometrische Untersuchungen an mittelalterlichen Gussformen aus Magdeburg DANIEL BERGER Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Landesmuseum für Vorgeschichte, Restaurierungswerkstatt, Richard-Wagner-Straße 9, 06114 Halle (Saale), [email protected] E I N L E I T U N G Im Frühjahr 2005 wurde in der Altstadt von Magdeburg, Sachsen-Anhalt/Deutschland der bis dahin zweifellos größte Fundkomplex hochmittelalterlicher Steingussformen ausgegraben. Der Fundort an der heutigen Regierungsstraße 7–8 lag im Mittelalter an der so genannten Goldschmiedebrücke, einer prominenten Adresse für Fein- und Goldschmiede. Zusammen mit einigen Metallfragmenten und zahlreichen Mörtelbrocken fanden sich die Gussformen innerhalb eines Werkstattareals, das durch Gruben, Öfen und Herde gekennzeichnet war. Im Zuge der Umnutzung der Parzelle in den 80er Jahres des 13. Jahrhunderts durch den Bau des St. Annen Hospitals musste die Werkstatt abgerissen werden. Gleichzeitig hat man alle Funde in Abfallgruben entsorgt, wodurch für deren Datierung ein konkreter terminus ante quem gegeben ist. Bild 2 Achtteilige Gussform zur  Herstellung eines Anhängers, Länge der Form ca. 7 cm Bild 3 CT-Aufnahme einer Gussform  mit internen Entlüftungskanälen Bild 1 Eine kleine Auswahl an Gussformen des Fundkomplexes,  unterschiedliche Maßstäbe D I E F O R M E N Der Fundkomplex umfasst etwa 800 fragmentierte und intakte Einzelstücke von fast 500 zwei- und mehrschaligen, z. T. kompletten Dauergussformen. Mit ihnen konnte ein breites Spektrum an Trachtaccessoires, Schmucksachen, Spieliguren, Miniaturgeschirr und sakralen Kleinobjekten gegossen werden (Bild 1). Zu deren Herstellung wandte man neben dem üblichen Voll- und Kerngussverfahren auch den selten beschriebenen Sturzguss an. Europaweit einzigartig ist der Fund zweier 8-teiliger Formen, die der Fabrikation kleiner Anhänger dienten (Bild 2). Mehrfach sind auch 4- und 5-schalige Modeln vorhanden, die im hochmittelalterlichen Gießereihandwerk nicht weniger ungewöhnlich sind. Gusstechnisch weiterhin interessant sind etwa 0,5 cm breite Kanäle im Inneren vieler Gussformen (Bild 3), die Gussversuchen zufolge als zusätzliches Entlüftungselement zu den gebräuchlichen Windpfeifen dienten. Bild 4 Krustenbildung auf der  Oberläche einer Gussform UNTERSUCHUNGSMETHODEN Bild 5 REM-Aufnahme des  porösen Gesteinsgefüges, RE-Modus 2 mm D I E U N T E R S U C H U N G  Bild 6 Metallreste im Motiv Röntgendifraktometrie – Röntgenluoreszenzanalyse – Dünnschlifmikroskopie – Metallograie – Rasterelektronenmikroskopie – Experimentalarchäologie Untersuchungen an Gesteinsdünnschlifen und Pulverproben erbrachten als Ausgangsmaterial für die Gussformen durchweg mergelige Kalksteine, deren Herkunft am ehesten im nördlichen Harzvorland zu suchen sein wird. Oberlächig weist der Kalkstein häuig Krusten mit Stärken von einigen Millimetern auf (Bild 4). Diese konnten durch den Nachweis geringer Mengen Calciumoxid und intrakristalliner Porosität im Gefüge (Bild 5) als Folge starker Erhitzung des Steins gewertet werden. Experimetalarchäologische Versuche mit Referenzgestein zeigten ihrerseits, dass der Guss von Edel- und Buntmetall in Kalkstein unpraktikabel ist, sodass zusammen mit den allenfalls leichten Verfärbungen an den Formen ein solcher Ausguss ausgeschlossen ist. Vielmehr ließ sich anhand weniger korrodierter Gussreste mehrerer Modeln Weißmetall (Sn-Pb-Legierungen) als Gussmaterial belegen (Bild 6), das ebenso für die Passstifte der Formen herangezogen wurde (Bild 7). Kupfergehalte bis in den Prozentbereich verdeutlichen, dass man dem Weißmetall zur Härtesteigerung gelegentlich etwas Buntmetall zulegierte. Dieses konnte im Metallgefüge als kleine, unkorrodierte Flitter der intermetallischen η-Phase des Kupfer-Zinn-Systems beobachtet werden (Bild 8). Zusätzlich fallen vereinzelt unverwitterte Eisenstanide (FeSn2) in Form prismatischer Gebilde auf (Bild 9), welche anders als Kupfer lediglich auf Eisenverunreinigungen der Erze oder Schmelze zurückgehen. Bild 9 REM-Aufnahme eines Metalllitters aus Eisenstanid, RE-Modus  einer Gussform für Fingerringe Bild 7 Querschliff eines korrodierten Passstiftes, Dunkelfeld  S C H L U S S 2 mm Bild 8 Bronzelitter im Metallgefüge, Hellfeld  Die Kalksteingussformen aus Magdeburg dienten nachweislich der Fabrikation mittelalterlicher Realien aus Zinn-Blei-Legierungen. Hinweise auf die Verarbeitung anderer Metalle fanden sich im näheren Umfeld der Werkstatt nicht. Damit gehört die Gießerei überraschenderweise europaweit zu denjenigen, die sich ofensichtlich früh im Hochmittelalter auf die Weißmetallverarbeitung spezialisierten. Man wird mit Sicherheit davon ausgehen können, dass die große Anzahl an erzeugten Gussobjekten nicht allein für den lokalen Markt, sondern gleichmaßen für den überregionalen Handel gedacht waren. LITERATUR: Berger, Daniel, Steingussformen aus dem spätromanischen-frühgotischen Magdeburg. Archäometrische und experimentalarchäologische Untersuchungen zum mittelalterlichen Zinnguss an ausgewählten Fundstücken, unpublizierte Diplomarbeit TU Bergakademie Freiberg 2006, zur Publikation vorgesehen; Ditmar-Trauth, Gösta, Der Magdeburger Gussformenfund, Karfunkel. Zeitschrift für erlebbare Geschichte 61, 2005/2006, 117–121.