Was genau denkt eigentlich die arabische Straße? Zwar wurde sie während des Irakkriegs von allen Seiten in Anspruch genommen - aber der O-Ton fehlte uns lange Zeit. Das "Middle East Media Research Institute", eine unabhängige Gruppe von Publizisten mit Hauptsitz in Washington, Büros von Bagdad bis Tokio, und einer deutschsprachigen Dependance (
www.memri.de ) stellt seit einigen Jahren Beiträge von Arabern ins Netz, die vor allem eins deutlich machen: Die Haltung, die Muslime des Nahen Ostens seien nicht reif für die Demokratie, fühlten sich gar davon "überfremdet", entspricht gelinde gesagt nicht der dortigen Stimmungslage. Memri spezialisiert sich vor allem auf solche Beiträge, die aus dem üblichen verschwörungstheoretischen Ritual der Schuldzuweisung an den Westen ausbrechen.
"Nicht alle Muslime sind Terroristen", schrieb der Fernsehdirektor Abd Al-Rahman Al Rashid, "aber leider sind weltweit die Terroristen mehrheitlich Muslime". In ähnlicher Richtung, auf Eigenverantwortung abzielend, argumentiert der Tunesier Khaled Shawkat in der transarabischen Tageszeitung "Al Quds Al-Arabi", es gäbe drei Abwehrstrategien arabischer Regierungen gegen Befreiungsbestrebungen ihrer Bürger: In der Zeit der Revolutionsregierungen von Nasser, der Baath-Partei und anderen wurde die Vorstellung verbreitet, die Forderung nach Demokratie stelle eine Verschwörung der Bourgeoisie dar, hinter der der imperialistische Westen stecke; dann hieß es, die Forderung nach Demokratie sei eine Einmischung in innere Angelegenheiten, die das internationale Recht verbiete und daß ansonsten alles in Ordnung sei. Nun heißt es, die Demokratisierung müsse von innen kommen." Der Aufsatz von Khaled Shawkat und andere äußerst aufschlußreiche Beiträge sind in einer Broschüre "Aus arabischen Medien" zu lesen, in der Memri einige der Highlights dieser Debatten versammelt hat.
Beiträge wie der von Khaled Shawkat sind möglich, seit es die überregionalen, zum Teil in London erscheinenden Tageszeitungen, aber vor allem auch die unabhängigen Fernsehstationen "Al Jazeera" und "Al Arabia" gibt, in denen man so ziemlich alles kritisieren kann bis auf die Geldgeber aus Saudi-Arabien und Qatar.
Auch Memri hat inzwischen ein "Arab TV Monitoring Project". Es ist abrufbar - für Fernsehjournalisten sogar in sendefähiger Qualität - über www.memritv.org , und zeigt atemberaubende Beispiele des Diskurses in der arabischen Welt in übersetzten O-Tönen. Es ist einfach ein riesiger Unterschied, ob man auf Seminaren in Berlin über Antisemitismus spricht, oder Clips aus einer syrischen Fernsehsendung im Original sehen kann, in denen erklärt wird, ein freundlicher arabischer Straßenhändler habe einem Juden die Hand gegeben, und daraufhin sei ihm der Penis abgefallen. Man hört den iranischen Hardliner Hashemi Rafsandschani über die Wahl des Papstes räsonieren, aber eben auch den ägyptischen Liberalen Kamal Gabriel, der zu dem deprimierenden Ergebnis kommt, die arabische Kultur habe "nichts als Gemetzel, Mord und Blutvergießen" hervorgebracht. Ein iranischer Journalist, Wahied Wadat-Hagh, versorgt die Zugeschalteten mit Beiträgen aus dem iranischen Diskurs: die Reformer kommen zu Wort, die von ihnen Enttäuschten, und eben auch die Hardliner. Lange bevor hier irgend jemand den neuen palästinensischen Hoffnungsträger Mahmud Abbas kannte, stellte Memri seine in Moskau erschienene Dissertation über angebliche Zahlenmanipulationen der Juden bezüglich des Holocaust vor - um ihn jetzt gegen seine fundamentalistischen Widersacher in Schutz zu nehmen.
Memri gehört zu den ganz, ganz wenigen Inseln im gegenwärtigen "Kampf der Kulturen", die entschlossen sind, den Kontrahenten nicht nur genau zu beobachten, sondern ihm so weit wie möglich bei ersten zarten Schritten in die selbstkritische Moderne zu begleiten. Für Nahost-Interessierte, Mitarbeiter des Außenministeriums, und professionelle Araberversteher ganz unverzichtbar.