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Seite:Die Gartenlaube (1853) 430.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Gott verloren – Alles verloren.

Ein Seelengemälde nach Familienpapieren mitgetheilt von Ferdinand Stolle.
Es giebt im Menschenherzen eine geheime dunkle Stelle, wo eine giftige Schlange schlummert; ein einziger Gedanke, ein Wort kann sie aufwecken.

Indem ich dies niederschreibe, zeigt mir die ferne Erinnerung meine Wiege, mit Blumen geschmückt, von seidenen Decken überhangen; das Gemach, worin sie stand, war hell, freundlich und reich – ich sehe das liebliche Angesicht meiner Mutter, sorgsam über mich gebeugt; und kehrt mein Blick zurück in die Wirklichkeit, welch ein Gegensatz – eine enge graue Zelle, ein eisern Bett, ein morscher Holzstuhl und das einst so glückliche Kind eine bleiche verfallene Gestalt. So lieblich der Lebensanfang, so schauerlich das Lebensende.

Ich wurde gegen die Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts geboren und war die Tochter eines begüterten Edelmanns, der auf seinem Stammschlosse lebte. Schon frühzeitig sagten mir Eltern, Verwandte, Dienstboten, daß ich hübsch, reich und aus altadeligem Geschlecht sei. Dieses thörige Einprägen zufälliger irdischer Vorzüge würde auf fruchtbaren Boden gefallen sein, wenn nicht eine andere Persönlichkeit, mein jugendlicher Erzieher, in der Stille kräftig dagegen gewirkt hätte. Als der Sohn eines würdigen Geistlichen in der Schweiz war er von seinem Vater trefflich erzogen worden. Nach beendigten Studien ward er meinem Vater als Erzieher empfohlen, so kam er als mein Lehrer und Hausgenosse für mehrere Jahre in unser Haus. Constantin Falk! Verzeihe, edler Schatten, einer Unwürdigen, daß sie Deinen Namen noch einmal aus dem finstern Schatten der Vergangenheit heraufbeschwört. Verzeihe ihr die Ewigkeit ihrer Gefühle für Dich.

Herr Falk erlangte bald nach Antritt seines Lehramtes eine solche Gewalt über mich, daß nur er allein im Stande war, die Unarten und den Eigensinn des verwöhnten einzigen Töchterchens zu zügeln und meine Trägheit in Eifer für das Lernen zu verwandeln.

Einmal, es war in schöner Sommerzeit, besuchte eine Freundin meiner Mutter unser Gut und brachte ihre kleine Tochter Clemence mit. Auf den Wunsch meiner Eltern, denen es um eine passende Spielgefährtin für mich zu thun war, ließ sich die mütterliche Freundin bewegen, die kleine Clemence, die in meinem Alter stand, auf ein Jahr lang bei uns auf dem Lande zu lassen und meinen Unterricht zu theilen.

So verschieden wir beiden Kinder in unserm Aeußern waren, so verschieden zeigte sich auch unser ganzes Wesen. Clemence stammte von väterlicher Seite aus Frankreich; aber ihre sanften hellbraunen Augen, ihr blondes Haar, der weiße Teint und das Ruhig-schwärmerische ihres Ausdrucks ließen die südliche Abkunft nicht ahnen. Sie war ein stilles Kind, das vor jedem Ungehorsam zurückbebte, alle Menschen für gut hielt und sich am glücklichsten unter Blumen befand. Ich dagegen besaß einen aufbrausenden, eigensinnigen, mißtrauischen und kühnen Charakter. Meine Gesichtsfarbe war südlich dunkel; das schwarze Haar flog in zügellosen Locken um mein Haupt; und waren auch meine Augen blau, so funkelte daraus doch ein leidenschaftliches, stolzes Feuer.

Es verging kein Tag, an welchem Clemence und ich nicht zusammen stritten; doch trug ich fast immer die Schuld. Es machte mir ein eigenthümliches Vergnügen, das sanfte Mädchen zu reizen, indem ich ihre Blumen zertrat, ihr Händchen knipp, ihr irgend eine Freude störte. Und dennoch war ich damals noch nicht bösartig; ach nein! aber schon begann meine Eifersucht. Clemence wurde mir von Herrn Falk wegen ihres Fleißes und Gehorsams oft als Muster hingestellt und mit Furcht und Eifersucht glaubte ich zu bemerken, daß sie dem Herzen meines Lehrers näher stehe als ich. Ging er mit uns spazieren, führte er die furchtsame und folgsame Clemence an der Hand und ich lief ungeführt nebenher. War ein Graben zu überschreiten, so hob er sie sorgfältig hinüber, während ich, vor Neid und Aerger zitternd, rasch einen Sprung wagte. Pflückten wir Obst, so bekam Clemence die schönsten Früchte und zu mir sagte der Lehrer: Du Wildfang, magst Dir die Deinigen selbst pflücken, Du kletterst ja wie eine Katze. Ich verbarg bei solchen Gelegenheiten meine eifersüchtigen Thränen und begann Clemence heimlich zu hassen. Sie stiehlt mir die Freundschaft und Liebe meines Lehrers, sprach ich zu mir, sie ist heimtückisch und lügnerisch.

Meine kleinen Bosheiten verschwieg Clemence großmüthig, denn sie wollte mir von Herrn Falk keine Strafe zuziehen. Aber auch dieser Beweis ihres versöhnlichen Gemüthes rührte mich nicht. Ich war ebenso starrsinnig in meinem Hasse, wie in meiner Liebe. Endlich ward Clemence von ihrer Mutter wieder abgeholt. Sie nahm liebend und weinend Abschied von mir und ich sah sie lange Jahre nicht wieder.

Die Jahre der Kindheit vergingen, ich stand in meinem neunzehnten Jahre. Schon lange hatte uns Falk verlassen, um in B. eine seinen Verdiensten entsprechende Stelle als Beamteter einzunehmen. Auch Clemence hatte ich ganz vergessen und hörte nur zufällig, daß sie mit ihrer kränkelnden Mutter in der Nähe von Genf lebe.

Wenn ein Mädchen, das als Kind guten Schulunterricht genossen, noch einige kleine Künste, Clavierspiel, Gesang, etwas Französisch gelernt hat, so nennt man es eine gebildete junge Dame. So war es mit mir. Meine Schönheit, die durch den Contrast der blauen Augen und schwarzen Haare etwas Eigenthümliches hatte, war zu jener Zeit auffallend und wurde noch durch einen schlanken biegsamen Wuchs gehoben.

Ihr, die ihr dies leset, spottet nicht, daß ich von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 430. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_430.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)