Die hatten noch nie einen Schwarzen gesehen.
Ein Gespräch mit Guy Kokou Acolatse, der 1963 zum FC St. Pauli kam
Anlässlich der Feier zum hundertjährigen Bestehen des FC St. Pauli hatten wir Gelegenheit mit Guy Kokou Acolatse zu sprechen. Er kam 1963 - knapp 20jährig - aus Togo zum FC St. Pauli nach Hamburg. Er war der erste schwarze Profispieler in Deutschland. Acolatse stand auf den Listen mehrerer französischer und belgischer Erstligaclubs, die schon in den 60er Jahren im frankophonen Westafrika systematisch nach Talenten Ausschau hielten.
Der junge Spieler war schon weit gereist: Mit knapp 17 Jahren Nationalspieler in Togo, war er bereits in mehreren Ländern Afrikas aufgetreten, in der Auswahl des Damaligen Dahomeys (heute Benin) hatte er als Gast gespielt. In die Hauptstadt Togos, Lomé, holte ihn früh einer der beiden großen Clubs aus der 100 km entfernt Provinzstadt Kpalimé. Es liegt an der Grenze zu Ghana, die dort den Lebensraum der Ewe in britisches bzw. französisches Einflussgebiet teilt. 1890 hatte sich dort der "kaiserliche Kommissar für Togoland", Jesko von Puttkamer, erlaubt, die Kolonialstation "Misahöhe" nach seiner damaligen Geliebten zu benennen. 1914 verlor Deutschland seinen Einfluss in Westafrika. In Lomé, auf dessen Friedhof zahlreiche Gräber deutscher Kolonialbeamter zu finden sind, deren frühes Ableben meist auf die Unverträglichkeit mit Flora und Fauna zurückzuführen ist, besuchte Acolatse ein Lyzeum.
Zwar reiseerfahren und überdurchschnittlich gut ausgebildet, fürchtete sich Acolatse doch, in eine europäische Stadt zu fliegen, von der er kaum wusste, wo sie sich befand. Er wies die Angebote der französischen und belgischen Clubs zurück. Dass er als erster Schwarzafrikaner in Deutschland Fußballprofi beim FC St. Pauli wurde, lag an Otto Westphal, der Anfang der sechziger Jahre ausreichend neugierig war, ein Angebot als Trainer der togoischen Auswahl anzunehmen. In Lomé fand er in der feuchtwarmen atlantischen Luft offenbar auch Linderung seines Lungenleidens.
"Der FC St. Pauli suchte eine Nummer 10 und Otto Westphal hat mich gefragt, ob ich Interesse habe, nach Deutschland zu kommen. Damals gab es ja noch nicht diese vielen Spielervermittler."
Zu ihm hatte Acolatse Vertrauen, und so kam es, dass im Frühsommer 1963 am späten Nachmittag vor dem Wilhelm-Koch-Stadion ein Taxi vorfuhr, aus dem ein junger Schwarzer sprang und einer wartenden Menge zuwinkte. "Ich fragte Otto, ob ein Spiel stattfindet. Da waren so viele Leute. ,Die sind deinetwegen da`, sagte er und wollte mich in das Taxis zurückziehen, doch ich war schon ausgestiegen." Für den Rummel hatte die BILD gesorgt, die schon weit vor Acolatses Eintreffen von dem spektakulären Einkauf berichtete.
"Damals war ich der einzige Schwarze in ganz Deutschland und der einzige Togolese, der hier Fußball gespielt hat. Wenn ich in Hamburg unterwegs war, haben die Leute geguckt: Ein Schwarzer! Aber ich fand das nicht schlimm. Wenn ich heute jemandem erzähle, dass ich schon 1963 in Deutschland war, dann werde ich gefragt, oh Guy, konntest du denn da alleine in eine Kneipe gehen? Ja, ich bin alleine in die Kneipe gegangen und habe ein Alsterwasser bestellt. Und die Leute haben geguckt..."
"Was mich beeindruckt hat, ist, dass ich Deutschland erlebt habe, als es wieder aufgebaut wurde. Ich war ja in vielen Städten und als ich 1963 kam, gab es überall noch kaputte Häuser. Zum Beispiel in Hamburg die Mönckebergstr., da waren nur lauter Marktstände. Und schon ein paar Jahre später sind da ganz große Kaufhäuser."
Acolatse konnte zufrieden sein: "Heute verdienen die Spieler ja tausende, das war damals nicht so. Aber ich habe gut gelebt. Ein Arbeiter hat damals in Deutschland so ungefähr 400 DM verdient. Und ich hatte mit den Prämien für die Spiele und so vielleicht das fünffache. Und das war viel Geld. Ich hatte eine Wohnung und ein kleines Auto, einen Fiat und dann mein Traumauto, einen VW 1600." Mehr noch: "Ich habe mich hier sehr gut gefühlt."
Er arbeitete erfolgreich an seinen deutschen Sprachkenntnissen und die offensive Weise, mit der er seine ungewohnte Erscheinung einbrachte, half ihm, Kontakt zu finden: "Ich habe alles mit Humor genommen. Als ich meinen Führerschein bei der Behörde abholen wollte, starrte der Beamte mich an und ich habe meine Augen weit aufgerissen und bin ganz langsam auf ihn zugegangen und habe mit den Augen gerollt, der Mann ist immer weiter zurück gegangen, konnte aber nicht mehr weiter, weil er schon an der Wand stand, er hat richtig Angst gehabt. Und sein Kollege fing an zu lachen. Ich bin nach draußen und habe drei Kaffee geholt und habe mit ihnen Kaffee getrunken. Wir haben uns angefreundet. Er hat mich mit zu seinen Eltern genommen. Das war vielleicht eine Überraschung. Er hatte seinen Eltern nur gesagt, dass er einen Freund mitbringen würde, aber nicht, dass ich schwarz bin. Er wollte seinen Eltern zeigen, dass er einen Schwarzen kennen gelernt hat. Als die Mutter die Tür aufmachte, ist sie richtig erschrocken. Ich habe zu meinem Freund gesagt, halt deine Mutter fest, ich glaube sie fällt um. Sie hat hinterher erzählt, sie hat gedacht, sie muss jetzt sterben, sie hat eine Vision gesehen. Als ihr Sohn erzählte, dass ich beim FC St. Pauli spiele, rief sie: ,Oh, den wollten wir uns doch immer schon mal ansehen. Aber wir hatten ein bisschen Angst.` Ja, ich habe immer auf solche Situationen reagiert. Ich habe gemerkt, dass die Leute manchmal Angst hatten und habe Grimassen gezogen und so."
Manchen Gegenspieler hat er auf diese Weise in Schockstarre versetzt: "Wenn ich gespielt habe, habe ich gesagt: ,Eh, wenn du mich anfasst, beiße ich Dich. Hey, der Neger beißt.` Die waren älter als ich, aber die haben Angst gehabt vor mir."
Die bessere Hamburger Gesellschaft bemühte sich ebenfalls um Eukalyptus, Schokolate, Akolasso und so. "Sie haben nie meinen Namen richtig geschrieben. Es hat mich nicht geärgert."
"Es sind Leute zum Club gekommen und haben gefragt, ob sie mich am Wochenende mitnehmen können. Die mussten ihre Namen hinterlassen und sagen, wann sie mich wieder zurückbringen würden. Wenn wir bei denen ankamen, haben die Kinder manchmal nur um die Ecke geschaut, weil sie Angst vor mir hatten. Ich habe ihnen zugerufen, ich habe euch gesehen, ihr könnt ruhig rauskommen. Das waren meistens reiche Leute, die haben auch Freunde eingeladen. Einer wollte mich sogar adoptieren, aber das wollte ich nicht. Einer hat mich mit auf sein Segelboot genommen, um mich vorzuzeigen. Mir hat das nicht so gut gefallen. Ich mag gerne mit Leuten reden, aber ich mochte mich nicht so aufspielen. Auch bekannte Leute wie Bubi Scholz (Boxidol, Anm. ak) haben mich eingeladen. Die Leute kamen von überall her, auch aus anderen Städten, um zu sehen, ob wirklich ein Schwarzer bei St. Pauli spielt.
Gunther Sachs rief ihn an, um ihm mitzuteilen, dass er Brigit Bardot kennen gelernt hatte; Acolatse spielte eine Nebenrolle in einem Film mit Gitte Haenning.
"Ich war beim Hamburger Abendblatt und bei der Bildzeitung angestellt. Die Leute wollten mit mir ihr Image verbessern. Der Guy von St. Pauli arbeitet bei uns. Auch der Otto Versand und Avon Kosmetik haben bei mir angefragt. Avon wollte jeden Freitag eine Verkaufsveranstaltung machen und meinten, dann kommen alle Leute, um mich anzugucken und dann kaufen sie etwas."
Aber er wollte nicht nur Fußball: "Ich wollte gerne Fernsehtechniker werden und der Verein hatte auch eine Lehrstelle an der Mundsburg für mich gefunden. Aber St. Pauli hat nicht akzeptiert, dass ich später zum Training komme und die Firma hat nicht akzeptiert, dass ich früher weggehe. Also habe ich die Ausbildung abgebrochen." Später macht er den A-Trainerschein.
In diesen Zeit heiratete Acolatse eine Hamburgerin, und das gleich mehrmals: "...ja, drei Mal geschieden und drei Mal wieder geheiratet. Mit ihr habe ich einen Sohn, der ist heute 44 und lebt und arbeitet heute noch in Hamburg. Ich habe ihn gestern, als ich in Hamburg angekommen bin, nach vielen Jahren das erste Mal wiedergesehen. Ich hatte nur telefonischen Kontakt."
Sportlich lässt es sich auch gut an. "Wenn ich bei Pauli ein Tor geschossen habe, habe ich einen Salto gemacht." Viele Tore hat er nicht geschossen, dafür waren seine Mitspieler wie Peter Osterhoff und Horst Haecks zuständig, die von seiner Vorarbeit profitierten. Zeitungsartikel, überschrieben mit "Acolatse war der Beste" bestätigen, dass die gewandte und trickreiche - auch verspielte - "Schwarze Perle" nicht nur eine Attraktion darstellte, sondern auch eine regelmäßig eingesetze wichtige Verstärkung für das Team von Otto Westphal.
Ist er niemals auf Rassismus gestoßen? Niemals beschimpft worden? "Das fragen alle Journalisten. Aber wenn du schlecht spielst, schimpfen die Zuschauer, die wollen ja, dass du gut spielst. Die Leute haben gerufen: Ey, Guy, wenn du kein Tor schießt, bekommst du eine Banane. Du kleiner Affe. Auch wenn ich ein oder zwei Tore geschossen habe und wir trotzdem verloren haben, waren die eben sauer. Heute können die großen Spieler das nicht ertragen, die sind dann beleidigt und schreien Rassismus. Du spielst für die Zuschauer. Ich kann nichts Schlechtes sagen über die Deutschen damals. Ich habe hier gut gelebt."
Anfang der 1960er Jahre war die Atmosphäre doch noch recht piefig. Da traf es sich gut für einige Mitspieler, dass Acolatse eine eigene Wohnung hatte, die er gelegentlich als sturmfreie Bude bereitstellte.
Als Otto Westphal nach einer Saison den FC St. Pauli verließ, veränderte sich die Spielweise bei St. Pauli: "Wir Togolesen haben anders Fußball gespielt, wenn wir einen Ball haben, versuchen wir den auch erstmal zu behalten und den Verteidiger auszutricksen und so. Da wurde ja auch über mich in der Zeitung geschrieben: Acolatse, der Zauberer ... Aber in Deutschland war das nicht so. Da sollten wir immer nur abgeben und weit nach vorne spielen." Unter Otto Corps spielte Acolatse nicht mehr ganz so häufig, was seiner Begeisterung aber keinen Abbruch tat. "Ich kam mit allen Spielern und mit allen Trainern gut zurecht. Bis Kurt Krause kam." Der sagte ihm von vornherein und ohne nähere Begründung, dass er bei ihm keine Chance mehr habe. Acolatse sagt es nicht, aber man merkt ihm heute noch die Kränkung an, die mit der Ablehnung seiner Spielweise verbunden war. "Dann ging es irgendwie nicht mehr." Acolatse wechselt zum soeben aufgestiegenen Hamburger Konkurrenten HSV Barmbek Uhlenhorst. "Dort habe ich drei Jahre gespielt und 1970 bin ich wieder zurück zu St. Pauli. Irgendwie war das wie meine Familie. Die Vorstände und auch andere haben mich oft mittags mit nach Hause zum Essen genommen und hinterher wieder zum Training gebracht. Sie waren irgendwie wie Eltern. Ich habe noch drei Jahre in der 2. Mannschaft gespielt. Aber wenn in der ersten Liga jemand gefehlt hat, habe ich dort mitgespielt."
Danach wurde es stiller um ihn: "Ich wollte diesen Rummel nicht mehr und habe mich zurückgezogen. Ich habe in Bergedorf gelebt und dort mit Jugendlichen aus dem Stadtteil trainiert in einem kleinen Verein." Mehr als diese knappen Worte haben wir über das Ausklingen seiner aktiven Karriere nicht erfahren. Wir haben auch nicht weiter nachgefragt. Vielleicht ein andermal.
Acolatse verließ Anfang der 1980er Jahre Hamburg anläßlich eines Angebotes von Paris St. Germain. Dort lebt er heute mit seiner ebenfalls aus Togo stammenden Frau, mit der er eine Tochter hat. Er trainiert in St. Denis Jugendmannschaften: "Wenn du heute in meinen Stadtteil nach Paris kommst und die Kinder nach Guy Acolatse fragst, nehmen sie dich sofort an die Hand und bringen dich zu mir. Ich trainiere mit den Kindern und es macht mir Spaß. Es ist wichtig, das die Kinder von der Straße kommen." Wir glauben ihm das.
Will Acolatse je wieder nach Togo zurück? "Ich bin vor zwei Jahren das letzte Mal in Lomé gewesen. Dort kannte ich niemanden mehr. Als ich vor längerer Zeit dort war, habe ich mit Kindern trainiert und Fußballturniere veranstaltet. Zurückzugehen, ja, das habe ich überlegt. Ich liebe die Atmosphäre dort." Aber er sagt auch: "Viele dort sehen in mir einen Ausländer."
Wer mitbekam, wie Acolatse nach fast 30 Jahren Abwesenheit und nach wenigen Stunden Aufenthalt in Hamburg deutsch - und bei genauem Zuhören hamburgerisch - sprach, wer zusah, wie er erneut aus einem gerade haltenden Wagen sprang - sicher fast so behende wie 1963 - um auf zwei junge Frauen zuzugehen, die eine ein Kleinkind auf dem Arm, und sagte: "Ein schönes Kind, wie meines, nur andere Farbe" und die beiden Frauen schmunzeln sah, der weiß, dass Guy Kokou Acolatse drei Koffer stehen hat: einen in Lomé, einen in Paris, und den wahrscheinlich schwersten in Hamburg.
Das Gespräch führten Gabi Bauer und Peter Piro