Gesetz betreffend die Verfassung des Deutschen Reiches.
vom 16. April 1871
Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen
etc.
verordnen hiermit im Namen des Deutschen Reichs, nach erfolgter Zustimmung des
Bundesrathes und des Reichstages, was folgt:
§ 1
An die Stelle der zwischen dem Norddeutschen Bunde und den
Großherzogthümern Baden und Hessen vereinbarten Verfassung des Deutschen Bundes
(Bundesgesetzblatt vom Jahre 1870, S. 627 ff.), sowie der mit den Königreichen Bayern und
Württemberg über den Beitritt zu dieser Verfassung geschlossenen Verträge vom 23. und
25. November 1870 (Bundesgesetzblatt 1871, S. 9 ff. und vom Jahre 1870, S. 654 ff.) tritt
die beigefügte
Verfassung-Urkunde für das Deutsche Reich
§ 2
[1] Die Bestimmungen in Artikel 80 der in § 1 gedachten
Verfassung des Deutschen Bundes, unter III. § 8 des Vertrages mit Bayern vom 23. November
1870, in Artikel 2 Nr. 6 des Vertrages mit Württemberg vom 25. November 1870 über die
Einführung der im Norddeutschen Bunde ergangenen Gesetze in diesen Staaten bleiben in
Kraft.
[2] Die dort bezeichneten Gesetze sind Reichsgesetze. Wo in denselben von dem
Norddeutschen Bunde, dessen Verfassung, Gebiet,
Mitgliedern oder Staaten, Indigenat, verfassungsmäßigen Organen, Angehörigen, Beamten,
Flagge usw. die Rede ist, sind das Deutsche Reich und dessen entsprechende Beziehungen zu
verstehen.
[3] Dasselbe gilt von denjenigen im Norddeutschen Bunde ergangenen Gesetzen,
welcher in der Folge in einem der genannten Staaten eingeführt werden.
§ 3
Die Vereinbarungen in dem zu Versailles am 15. November 1870
aufgenommenen Protokolle (Bundesgesetzblatt vom Jahre 1870, S. 650 ff.), in der
Verhandlung zu Berlin vom 25. November 1870 (Bundesgesetzblatt vom Jahre 1870, S. 657),
dem Schlußprotokolle vom 23. November 1870 (Bundesgesetzblatt vom Jahre 1871, S. 23 ff.),
sowie unter IV. des Vertrages mit Bayern vom 23. November 1870 (aaO. S. 21 ff.) werden
durch dieses Gesetz nicht berührt.
Verfassung des Deutschen Reichs
Seine Majestät der König von Preußen im Namen des Norddeutschen
Bundes, Seine Majestät der König von Bayern, Seine Majestät der König von
Württemberg, Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Baden und Seine Königliche
Hoheit der Großherzog von Hessen und bei Rhein für die südlich vom Main gelegenen
Theile des Großherzogtums Hessen, schließen einen ewigen Bund zum Schutze des
Bundesgebietes und des innerhalb desselben gültigen Rechtes, sowie zur Pflege der
Wohlfahrt des Deutschen Volkes. Dieser Bund wird den Namen Deutsches Reich führen und
wird nachstehende Verfassung haben.
I. Bundesgebiet
Artikel 1
Das Bundesgebiet besteht aus den Staaten Preußen mit Lauenburg,
Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen, Mecklenburg-Schwerin, Sachsen-Weimar,
Mecklenburg-Strelitz, Oldenburg, Braunschweig, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg,
Sachsen-Koburg-Gotha, Anhalt, Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen, Waldeck,
Reuß ältere Linie, Reuß jüngere Linie, Schaumburg-Lippe, Lippe, Lübeck, Bremen und
Hamburg.[1]
II. Reichsgesetzgebung
Artikel 2
Innerhalb dieses Bundesgebietes übt das Reich das Recht der
Gesetzgebung nach Maßgabe des Inhalts dieser Verfassung und mit der Wirkung aus, daß die
Reichsgesetze den Landesgesetzen vorgehen. Die Reichsgesetze erhalten ihre verbindliche
Kraft durch ihre Verkündigung von Reichswegen, welche vermittelst eines
Reichsgesetzblattes geschieht. Sofern nicht in dem publizirten Gesetze ein anderer
Anfangstermin seiner verbindlichen Kraft bestimmt ist, beginnt die letztere mit dem
vierzehnten Tage nach dem Ablauf desjenigen Tages, an welchem das betreffende Stück des
Reichsgesetzblattes in Berlin ausgegeben worden ist.
Artikel 3
[1] Für ganz Deutschland besteht einen gemeinsames Indigenat mit
der Wirkung, daß der Angehörige (Unterthan, Staatsbürger) eines jeden Bundesstaates in
jedem anderen Bundesstaate als Inländer zu behandeln und demgemäß zum festen Wohnsitz,
zum Gewerbebetriebe, zu öffentlichen Aemtern, zur Erwerbung von Grundstücken, zur
Erlangung des Staatsbürgerrechtes und zum Genusse aller sonstigen bürgerlichen Rechte
unter denselben Voraussetzungen wie der Einheimische zuzulassen, auch in Betreff der
Rechtsverfolgung und des Rechtsschutzes demselben gleich zu behandeln ist.
[2] Kein Deutscher darf in der Ausübung dieser Befugniß durch die Obrigkeit
seiner Heimath, oder durch die Obrigkeit eines anderen Bundesstaates beschränkt werden.
[3] Diejenigen Bestimmungen, welche die Armenversorgung und die Aufnahme in den
lokalen Gemeindesverband betreffen, werden durch den im ersten Absatz ausgesprochenen
Grundsatz nicht berührt.
[4] Ebenso bleiben bis auf Weiteres die Verträge in Kraft, welche zwischen den
einzelnen Bundesstaaten in Beziehung auf die Uebernahme von Auszuweisenden, die
Verpflegung erkrankter und die Beerdigungen verstorbener Staatsangehörigen bestehenden.
[5] Hinsichtlich der Erfüllung der Militairpflicht im Verhältniß zu dem
Heimathslande wird im Wege der Reichsgesetzgebung das Nöthige geordnet werden.
[6] Dem Auslande gegenüber haben alle Deutschen gleichmäßig Anspruch auf den
Schutz des Reichs.
Artikel 4
Der Beaufsichtigung Seitens des Reichs und der
Gesetzgebung desselben unterliegen die nachstehenden Angelegenheiten: |
|
1) die Bestimmungen über Freizügigkeit, Heimaths- und
Niederlassungs-Verhältnisse, Staatsbürgerrecht, Paßwesen und Fremdenpolizei und über
den Gewerbebetrieb, einschließlich des Versicherungswesens, soweit diese Gegenstände
nicht schon durch den Artikel 3 dieser Verfassung erledigt sind, in
Bayern jedoch mit Ausschluß der Heimaths- und Niederlassungs-Verhältnisse, desgleichen
über die Kolonisation und die Auswanderung nach außerdeutschen Ländern;
2) die Zoll- und Handelsgesetzgebung und die für die Zwecke des Reichs zu verwendenden
Steuern;
3) die Ordnung des Maaß-, Münz- und Gewichtsystems nebst Feststellung der Grundsätze
über die Emission von fundirtem und unfundirtem Papiergelde;
4) die allgemeinen Bestimmungen über das Bankwesen;
5) die Erfindungspatente;
6) den Schutz des geistigen Eigenthums;
7) Organisation eines gemeinsamen Schutzes des deutschen Handels im Auslande, der
deutschen Schiffahrt und ihrer Flagge zur See und Anordnung gemeinsamer konsularischer
Vertretung, welche vom Reiche ausgestattet wird;
8) das Eisenbahnwesen, in Bayern vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 46,
und die Herstellung von Land- und Wasserstraßen im Interesse der Landesvertheidigung und
des allgemeinen Verkehrs;
9) der Flößerei- und Schiffahrtbetrieb auf den mehreren Staaten gemeinsamen
Wasserstraßen und der Zustand der letzteren, sowie die Fluß- und sonstigen Wasserzölle;[2]
10) das Post- und Telegraphenwesen, jedoch in Bayern und Württemberg nur nach Maßgabe
der Bestimmungen in Artikel 52;
11) Bestimmungen über die wechselseitige Vollstreckung von Erkenntnissen in Civilsachen
und Erledigung von Requisitionen überhaupt;
12) sowie über die Beglaubigung von öffentlichen Urkunden;
13) die gemeinsame Gesetzgebung über das Obligationenrecht, Strafrecht, Handels- und
Wechselrecht und das gerichtliche Verfahren;[3]
14) das Militairwesen des Reichs und die Kriegsmarine;
15) Maßregeln der Medizinal- und Veterinairpolizei;
16) die Bestimmungen über die Presse- und das Vereinswesen. |
Artikel 5
[1] Die Reichsgesetzgebung wird ausgeübt durch den Bundesrath und
den Reichstag. Die Uebereinstimmung der Mehrheitsbeschlüsse beider Versammlungen ist zu
einem Reichsgesetze erforderlich und ausreichend.
[2] Bei Gesetzesvorschlägen über das Militairwesen, die Kriegsmarine und die im
Artikel 35 bezeichneten Abgaben giebt, wenn im Bundesrathe eine
Meinungsverschiedenheit stattfindet, die Stimme des Präsidiums[4]
den Ausschlag, wenn sie sich für die Aufrechterhaltung der bestehenden Einrichtungen
ausspricht.
III. Bundesrath
Artikel 6
[1] Der Bundesrath besteht aus den Vertretern der
Mitglieder des Bundes, unter welchen die Stimmführung sich in der Weise vertheilt, daß
Preußen mit den ehemaligen Stimmen von |
Hannover, Kurhessen, Holstein, Nassau und Frankfurt |
17 Stimmen |
führt, Bayern
............................................................. |
6 " |
Sachsen
................................................................... |
4 " |
Württemberg
............................................................ |
4 " |
Baden
...................................................................... |
3 " |
Hessen
..................................................................... |
3 " |
Mecklenburg-Schwerin ................................................ |
2 " |
Sachsen-Weimar ........................................................ |
1 " |
Mecklenburg-Strelitz ................................................... |
1 " |
Oldenburg
................................................................. |
1 " |
Braunschweig ............................................................ |
2 " |
Sachsen-Meiningen ..................................................... |
1 " |
Sachsen-Altenburg ..................................................... |
1 " |
Sachsen-Koburg-Gotha ............................................... |
1 " |
Anhalt
...................................................................... |
1 " |
Schwarzburg-Rudolstadt .............................................. |
1 " |
Schwarzburg-Sondershausen ........................................ |
1 " |
Waldeck
................................................................... |
1 " |
Reuß älterer Linie
....................................................... |
1 " |
Reuß jüngerer Linie
..................................................... |
1 " |
Schaumburg-Lippe ...................................................... |
1 " |
Lippe
....................................................................... |
1 " |
Lübeck
..................................................................... |
1 " |
Bremen
..................................................................... |
1 " |
Hamburg
................................................................... |
1 " |
|
zusammen |
58 Stimmen |
|
[2] Jedes Mitglied des Bundes kann so viel
Bevollmächtigte zum Bundesrathe ernennen, wie es Stimmen hat, doch kann die Gesammtheit
der zuständigen Stimmen nur einheitliche abgegeben werden. |
[Artikel 6a][5]
Artikel 7
[1] Der Bundesrath beschließt: |
|
1) über die dem Reichstage zu machenden Vorlagen und die von demselben
gefaßten Beschlüsse;
2) über die zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen allgemeinen
Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen, sofern nicht durch Reichsgesetz etwas Anderes
bestimmt ist;
3) über Mängel, welche bei der Ausführung der Reichsgesetze oder der vorstehend
erwähnten Vorschriften oder Einrichtungen hervortreten. |
[2] Jeder Bundesglied ist befugt, Vorschläge zu
machen und in Vortrag zu bringen, und das Präsidium ist verpflichtet, dieselben der
Berathung zu übergeben.
[3] Die Beschlußfassung erfolgt, vorbehaltlich der Bestimmungen in den Artikeln 5, 37 und 78, mit einfacher Mehrheit.
Nicht vertretene oder nicht instruirte Stimmen werden nicht gezählt. Bei
Stimmengleichheit giebt die Präsidialstimme[4] den
Ausschlag.
[4] Bei der Beschlußfassung über eine Angelegenheit, welche nach den Bestimmungen
dieser Verfassung nicht dem ganzen Reiche gemeinschaftlich ist, werden die Stimmen nur
derjenigen Bundesstaaten gezählt, welchen die Angelegenheit gemeinschaftlich ist. |
Artikel 8
[1] Der Bundesrath bildet aus seiner Mitte dauernde
Ausschüsse |
|
1) für das Landheer und die Festungen;
2) für das Seewesen;
3) für das Zoll- und Steuerwesen;
4) für Handel und Verkehr;
5) für Eisenbahnen, Post und Telegraphen;
6) für Justizwesen;
7) für Rechungswesen. |
[2] In jedem dieser Ausschüsse
werden außer dem Präsidium mindestens vier Bundesstaaten vertreten sein, und führt
innerhalb derselben jeder Staat nur Eine Stimme. In dem Ausschuß für das Landheer und
die Festungen hat Bayern einen ständigen Sitz,[6]
die übrigen Mitglieder desselben, sowie die Mitglieder des Ausschusses für das Seewesen
werden vom Kaiser ernannt; die Mitglieder der anderen Ausschüsse werden von dem
Bundesrathes gewählt. Die Zusammensetzung dieser Ausschüsse ist für jede Session des
Bundesrathes resp. mit jedem Jahre zu erneuern, wobei die auscheidenden Mitglieder wieder
wählbar sind.
[3] Außerdem wird im Bundesrathes aus dem Bevollmächtigten der Königreiche
Bayern, Sachsen und Württemberg und zwei, vom Bundesrathe alljährlich zu wählenden
Bevollmächtigten anderer Bundesstaaten ein Ausschuß für die auswärtigen
Angelegenheiten gebildet, in welchem Bayern den Vorsitz führt.
[4] Den Ausschüssen werden die zu ihren Arbeiten nöthigen Beamten zur Verfügung
gestellt. |
Artikel 9
Jedes Mitglied des Bundesrathes hat das Recht, in Reichstage zu
erscheinen und muß daselbst auf Verlangen jederzeit gehört werden, um die Ansichten
seiner Regierung zu vertreten, auch dann, wenn dieselben von der Majorität des
Bundesrathes nicht adoptirt worden sind. Niemand kann gleichzeitig Mitglied des
Bundesrathes und des Reichstages sein.
Artikel 10
Dem Kaiser liegt es ob, den Mitgliedern des Bundesrathes den
üblichen diplomatischen Schutz zu gewähren.
IV. Präsidium
Artikel 11
[1] Das Präsidium des Bundes steht dem Könige von Preußen zu,
welcher den Namen Deutscher Kaiser führt. Der Kaiser hat das Reich völkerrechtlich zu
vertreten, im Namen des Reichs Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, Bündnisse
und andere Verträge mit fremden Staaten einzugehen, Gesandte zu beglaubigen und zu
empfangen.
[2] Zur Erklärung des Krieges im Namen des Reichs ist die Zustimmung des
Bundesrathes erforderlich, es sei denn, daß ein Angriff auf das Bundesgebiet oder dessen
Küsten erfolgt.[7]
[3] Insoweit die Verträge mit fremden Staaten sich auf solche Gegenstände
beziehen, welche nach Artikel 4 in den Bereich der Reichsgesetzgebung
gehören, ist zu ihrem Abschluß die Zustimmung des Bundesrathes und zu ihrer Gültigkeit
die Genehmigung des Reichstages erforderlich.[8]
Artikel 12
Dem Kaiser steht es zu, den Bundesrath und den Reichstag zu
berufen, zu eröffnen, zu vertagen und zu schließen.
Artikel 13
Die Berufung des Bundesrathes und des Reichstages findet
alljährlich statt und kann der Bundesrath zur Vorbereitung der Arbeiten ohne den
Reichstag, letzterer aber nicht ohne den Bundesrath berufen werden.
Artikel 14
Die Berufung des Bundesrathes muß erfolgen, sobald sie von einem
Drittel der Stimmzahl verlangt wird.
Artikel 15
[1] Der Vorsitz im Bundesrathe und die Leitung der Geschäfte
steht dem Reichskanzler zu, welcher vom Kaiser zu ernennen ist.
[2] Der Reichskanzler kann sich durch jedes Mitglied des Bundesrathes vermöge
schriftlicher Substitution vertreten lassen.[9]
Artikel 16
Die erforderlichen Vorlagen werden nach Maßgabe der Beschlüsse
des Bundesrathes im Namen des Kaisers an den Reichstag gebracht, wo sie durch Mitglieder
des Bundesrathes oder durch besondere von letzterem zu ernennende Kommissarien vertreten
werden.
Artikel 17
Dem Kaiser steht die Ausfertigung und Verkündigung der
Reichsgesetze und die Überwachung derselben zu. Die Anordnungen und Verfügungen des
Kaisers werden im Namen des Reichs erlassen und bedürfen zu ihrer Gültigkeit der
Gegenzeichnung des Reichskanzlers, welcher dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt.[10]
Artikel 18
[1] Der Kaiser ernennt die Reichsbeamten, läßt dieselben für
das Reich vereidigen und verfügt erforderlichen Falls deren Entlassung.
[2] Den zu einem Reichsamte berufenen Beamten eines Bundesstaates stehen, sofern
nicht vor ihrem Eintritt in den Reichsdienst im Wege der Reichsgesetzgebung etwas Anderes
bestimmt ist, dem Reiche gegenüber diejenigen Rechte zu, welche ihnen in ihrem
Heimathlande aus ihrer dienstlichen Stellung zugestanden hatten.
Artikel 19
Wenn Bundesglieder ihre verfassungsmäßigen Bundespflichten nicht
erfüllen, können sie dazu im Wege der Exekution angehalten werden. Diese Exekution ist
vom Bundesrathe zu beschließen und vom Kaiser zu vollstrecken.
V. Reichstag
Artikel 20
[1] Der Reichstag geht aus allgemeinen und direkten Wahlen mit
geheimer Abstimmung hervor.
[2] Bis zu der gesetzlichen Regelung, welche im § 5 des Wahlgesetzes vom 31. Mai
1869 (Bundesgesetzblatt 1869 S. 145) vorbehalten ist, werden in Bayern 48, in Württemberg
17, in Baden 14, in Hessen südlich des Mains 6 Abgeordnete gewählt, und beträgt demnach
die Gesammtzahl der Angeordneten 382.[11]
Artikel 21
[1] Beamte bedürfen keines Urlaubs zum Eintritt in den Reichstag.
[2] Wenn ein Mitglied des Reichstages ein besoldetes Reichsamt oder in einem
Bundesstaat ein besoldetes Staatsamt annimmt oder im Reichs- oder Staatsdienste in ein Amt
eintritt, mit welchem ein höherer Rang oder ein höheres Gehalt verbunden ist, so
verliert es Sitz und Stimme in dem Reichstag und kann seine Stelle in demselben nur durch
neue Wahl wieder erlangen.[12]
Artikel 22
[1] Die Verhandlungen des Reichstages sind öffentlich.
[2] Wahrheitsgetreue Berichte über Verhandlungen in den öffentlichen Sitzungen
des Reichstages bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei.
Artikel 23
Der Reichstag hat das Recht, innerhalb der Kompetenz des Reichs
Gesetze vorzuschlagen und an ihn gerichtete Petitionen dem Bundesrathe resp. Reichskanzler
zu überweisen.
Artikel 24
Die Legislaturperiode des Reichstages dauert drei Jahre.[13] Zur Auflösung des Reichstages während derselben ist ein
Beschluß des Bundesrathes unter Zustimmung des Kaisers erforderlich.
Artikel 25
Im Falle der Auflösung des Reichstages müssen innerhalb eines
Zeitraumes von 60 Tagen nach derselben die Wähler und innerhalb eines Zeitraumes von 90
Tagen nach der Auflösung der Reichstag versammelt werden.
Artikel 26
Ohne Zustimmung des Reichstages darf die Vertagung desselben die
Frist von 30 Tagen nicht übersteigen und während derselben Session nicht wiederholt
werden.
Artikel 27
Der Reichstag prüft die Legitimation seiner Mitglieder und
entscheidet darüber. Er regelt seinen Geschäftsgang und seine Disziplin durch eine
Geschäfts-Ordnung und erwählt seinen Präsidenten, seine Vizepräsidenten und
Schriftführer.
Artikel 28
[1] Der Reichstag beschließt mit absoluter Stimmenmehrheit. Zur
Gültigkeit der Beschlußfassung ist die Anwesenheit der Mehrheit der gesetzlichen Anzahl
der Mitglieder erforderlich.
[2] Bei der Beschlußfassung über eine Angelegenheit, welche nach den Bestimmungen
dieser Verfassung nicht dem ganzen Reiche gemeinschaftlich ist, werden die Stimmen nur
derjenigen Mitglieder gezählt, die in Bundesstaaten gewählt sind, welchen die
Angelegenheit gemeinschaftlich ist.[14]
Artikel 29
Die Mitglieder des Reichstages sind Vertreter des gesammten Volkes
und an Aufträge und Instruktionen nicht gebunden.
Artikel 30
Kein Mitglied des Reichstages darf zu irgend einer Zeit wegen
seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines Berufes gethanen
Aeußerungen gerichtlich oder disziplinarisch verfolgt oder sonst außerhalb der
Versammlung zur Verantwortung gezogen werden.
Artikel 31
[1] Ohne Genehmigung des Reichstages kann kein Mitglied desselben
während der Sitzungsperiode wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung zur Untersuchung
gezogen oder verhaftet werden, außer wenn es bei Ausübung der That oder im Laufe des
nächstfolgenden Tages ergriffen wird.
[2] Gleiche Genehmigung ist bei einer Verhaftung wegen Schulden erforderlich.
[3] Auf Verlangen des Reichstages wird jedes Strafverfahren gegen ein Mitglied
desselben und jede Untersuchungs- oder Civilhaft für die Dauer der Sitzungsperiode
aufgehoben.
Artikel 32
Die Mitglieder des Reichstages dürfen als solche keine Besoldung
oder Entschädigung beziehen.[15]
VI. Zoll- und Handelswesen
Artikel 33
[1] Deutschland bildet ein Zoll- und Handelsgebiet, umgeben von
gemeinschaftlicher Zollgrenze. Ausgeschlossen bleiben die wegen ihrer Lage zur
Einschließung in die Zollgrenze nicht geeigneten einzelnen Gebietstheile.
[2] Alle Gegenstände, welche im freien Verkehr eines Bundesstaates befindlich
sind, können in jeden anderen Bundesstaat eingeführt und dürfen in letzterem einer
Abgabe nur insoweit unterworfen werden, als daselbst gleichartige inländische Erzeugnisse
einer inneren Steuer unterliegen.
Artikel 34
Die Hansestädte Bremen und Hamburg mit einem dem Zweck
entsprechenden Bezirk ihres oder des umliegenden Gebietes bleiben als Freihäfen
außerhalb der gemeinschaftlichen Zollgrenze, bis sie ihren Einschluß in dieselbe
beantragen.[16]
Artikel 35
[1] Das Reich ausschließlich hat die Gesetzgebung über das
gesammte Zollwesen, über die Besteuerung des im Bundesgebiete gewonnenen Salzes und
Tabacks, bereiteten Branntweins und Bieres und aus Rüben oder anderen inländischen
Erzeugnissen dargestellten Zuckers und Syrups, über den gegenseitigen Schutz der in den
einzelnen Bundesstaaten erhobenen Verbrauchsabgaben gegen Hinterziehung, sowie über
Maßregeln, welche in den Zollausschüssen zur Sicherung der gemeinsamen Zollgrenze
erforderlich sind.
[2] In Bayern, Württemberg und Baden bleibt die Besteuerung des inländischen
Branntweins und Bieres der Landesgesetzgebung vorbehalten. Die Bundesstaaten werden jedoch
ihr Bestreben darauf richten, eine Uebereinstimmung der Gesetzgebung über die Besteuerung
auch dieser Gegenstände herbeizuführen.
Artikel 36
[1] Die Erhebung und Verwaltung der Zölle und Verbrauchssteuern
(Art. 35) bleibt jedem Bundesstaate, soweit derselbe sie bisher
ausgeübt hat, innerhalb seines Gebietes überlassen.
[2] Der Kaiser überwacht die Einhaltung des gesetzlichen Verfahrens durch
Reichsbeamte, welche er den Zoll- oder Steuerämtern und den Direktivbehörden der
einzelnen Staaten, nach Vernehmung des Ausschusses des Bundesrathes für Zoll- und
Steuerwesen, beiordnet.
[3] Die von diesen Beamten über Mängel bei der Ausführung der gemeinschaftlichen
Gesetzgebung (Art. 35) gemachten Anzeigen werden dem Bundesrathe zur
Beschlußnahme vorgelegt.
Artikel 37
Bei der Beschlußnahme über die zur Ausführung der
gemeinschaftlichen Gesetzgebung (Art. 35) dienenden
Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen giebt die Stimme des Präsidiums[4] alsdann den Ausschlag, wenn sie sich für Aufrechterhaltung
der bestehenden Vorschrift oder Einrichtung ausspricht.
Artikel 38
[1] Der Ertrag der Zölle und der
anderen in Artikel 35 bezeichneten Abgaben, letzterer soweit sie der
Reichsgesetzgebung unterliegen, fließt in die Reichskasse.
[2] Dieser Ertrag besteht aus den gesammten von den Zöllen und den übrigen
Abgaben aufgekommenen Einnahme nach Abzug: |
|
1) der auf Gesetzen oder allgemeinen Verwaltungsvorschriften
beruhenden Steuervergütungen und Ermäßigungen,
2) der Rückerstattung für unrichtige Erhebungen,
3) der Erhebungs- und Verwaltungskosten, und zwar: |
|
|
a) bei den Zöllen der Kosten, welche an den gegen das Ausland gelegenen
Grenzen und in dem Grenzbezirke für den Schutz und die Erhebung der Zölle erforderlich
sind,
b) bei der Salzsteuer der Kosten, welche zur Besoldung der mit Erhebung und Kontrolirung
dieser Steuer auf den Salzwerken beauftragten Beamten aufgewendet werden,
c) bei der Rübenzuckersteuer und Tabacksteuer der Vergütung, welche nach den jeweiligen
Beschlüssen des Bundesrathes den einzelnen Bundesregierungen für die Kosten der
Verwaltung dieser Steuern zu gewähren ist,
d) bei den übrigen Steuern mit fünfzehn Prozent der Gesammteinnahme.[17] |
[3] Die außerhalb der
gemeinschaftlichen Zollgrenze liegenden Gebiete tragen zu den Ausgaben des Reichs durch
Zahlung eines Aversums bei.
[4] Bayern, Württemberg und Baden haben an dem in die Reichskasse fließenden
Ertrage der Steuern von Branntwein und Bier und an dem diesem Ertrage entsprechenden
Theile des vorstehend erwähnten Aversums keinen Theil.[18] |
Artikel 39
[1] Die von den Erhebungsbehörden der Bundesstaaten nach Ablauf
eines jeden Vierteljahres aufzustellenden Quartal-Extrakte und die nach dem Jahres- und
Bücherschlusse aufzustellenden Finalabschlüsse über die im Laufe des Vierteljahres
beziehungsweise während des Rechnungsjahres fällig gewordenen Einnahmen an Zöllen und
nach Artikel 38 zur Reichskasse fließenden Verbrauchsabgaben werden von
den Direktivbehörden der Bundesstaaten, nach vorangegangener Prüfung, in
Hauptübersichten zusammengestellt, in welchen jede Abgabe gesondert nachzuweisen ist, und
es werden diese Uebersichten an den Ausschuß des Bundesrathes für das Rechnungsjahr
eingesandt.
[2] Der letztere stellt auf Grund dieser Uebersichten von drei zu drei Monaten den
von der Kasse jedes Bundesstaates der Reichskasse schuldigen Betrag vorläufig fest und
setzt von dieser Feststellung den Bundesrath und die Bundesstaaten in Kenntniß, legt auch
alljährlich die schließliche Feststellung jener Beträge mit seinen Bemerkungen dem
Bundesrathe vor. Der Bundesrath beschließt über diese Feststellung.
Artikel 40
Die Bestimmungen in dem Zollvereinigungsvertrage vom 8. Juli 1867
bleiben in Kraft, soweit sie nicht durch die Vorschriften dieser Verfassung abgeändert
sind und so lange sie nicht auf dem im Artikel 7, beziehungsweise 78 bezeichneten Wege abgeändert werden.
VII. Eisenbahnwesen
Artikel 41
[1] Eisenbahnen, welche im Interesse der Vertheidigung
Deutschlands oder im Interesse des gemeinsamen Verkehrs für nothwendig erachtet werden,
können kraft eines Reichsgesetzes auch gegen den Widerstand der Bundesglieder, deren
Gebiet die Eisenbahnen durchschneiden, unbeschadet der Landeshoheitsrechte, für Rechnung
des Reichs angelegt oder an Privatunternehmer zur Ausführung konzessionirt und mit dem
Expropriationsrechte ausgestattet werden.
[2] Jede bestehende Eisenbahnverwaltung ist verpflichtet, sich den Anschluß neu
angelegter Eisenbahnen auf Kosten der letzteren gefallen zu lassen.
[3] Die gesetzlichen Bestimmungen, welche bestehenden Eisenbahn-Unternehmungen ein
Widerspruchsrecht gegen die Anlegung von Parallel- oder Konkurrenzbahnen einräumen,
werden, unbeschadet bereits erworbener Rechte, für das ganze Reich hierdurch aufgehoben.
Ein solches Widerspruchsrecht kann auch in den künftig zu ertheilenden Konzessionen nicht
weiter verliehen werden.
Artikel 42
Die Bundesregierungen verpflichten sich, die Deutschen Eisenbahnen
im Interesse des allgemeinen Verkehrs wie ein einheitliches Netz verwalten und zu diesem
Behuf auch die neu herzustellenden Bahnen nach einheitlichen Normen anzulegen und
ausrüsten zu lassen.
Artikel 43
Es sollen demgemäß in thunlichster Beschleunigung
übereinstimmende Betriebseinrichtungen getroffen, insbesondere gleiche
Bahnpolizei-Reglements eingeführt werden. Das Reich hat dafür Sorge zu tragen, daß die
Eisenbahnverwaltungen die Bahnen jederzeit in einem die nöthige Sicherheit gewährenden
baulichen Zustande erhalten und dieselben mit Betriebsmaterial so ausrüsten, wie das
Verkehrsbedürfnis es erheischt.
Artikel 44
Die Eisenbahnverwaltungen sind verpflichtet, die für den
durchgehenden Verkehr und zur Herstellung ineinander greifender Fahrpläne nöthigen
Personenzüge mit entsprechender Fahrgeschwindigkeit, desgleichen die zur Bewältigung des
Güterverkehrs nöthigen Güterzüge, auch direkte Expeditionen im Personen- und
Güterverkehr, unter Gestaltung des Ueberganges der Transportmittel von einer Bahn auf die
andere, gegen die übliche Vergütung einzurichten.
Artikel 45
Dem Reiche steht die Kontrolle über das Tarifwesen
zu. Dasselbe wird namentlich dahin wirken: |
|
1) daß baldigst auf allen Deutschen Eisenbahnen übereinstimmende
Betriebsreglements eingeführt werden;
2) daß die möglichste Gleichmäßigkeit und Herabsetzung der Tarife erzielt,
insbesondere daß bei größeren Entfernungen für den Transport von Kohlen, Koaks, Holz,
Steinen, Salz, Roheisen, Düngemitteln und ähnlichen Gegenständen ein Bedürfniß der
Landwirtschaft Industrie entsprechender ermäßigter Tarif, und zwar zunächst thunlichst
der Einpfennig-Tarif eingeführt werde. |
Artikel 46
[1] Bei eintretenden Nothständen, insbesondere bei
ungewöhnlicher Teuerung der Lebensmittel, sind die Eisenbahnen verpflichtet, für den
Transport, namentlich von Getreide, Mehl, Hülsenfrüchten und Kartoffeln, zeitweise einem
dem Bedürfniß entsprechenden, von dem Kaiser auf Vorschlag des betreffenden
Bundesraths-Ausschusses festzustellenden, niedrigen Spezialtarif einzuführen, welcher
jedoch nicht unter den niedrigsten auf der betreffenden Bahn für Rohprodukte geltenden
Satz herabgehen darf.
[2] Die vorstehend, sowie die in den Artikeln 42 bis 45 getroffenen Bestimmungen sind auf Bayern nicht anwendbar.
[3] Dem Reiche steht jedoch auch Bayern gegenüber das Recht zu, im Wege der
Gesetzgebung einheitliche Normen für die Konstruktion und Ausrüstung der für die
Landesvertheidigung wichtigen Eisenbahnen aufzustellen.
Artikel 47
Den Anforderungen der Behörden des Reichs in Betreff der
Benutzung der Eisenbahnen zum Zwecke der Vertheidigung Deutschlands haben sämmtliche
Eisenbahnverwaltungen unweigerlich Folge zu leisten. Insbesondere ist das Militair und
alles Kriegsmaterial zu gleichen ermäßigten Sätzen zu befördern.
VIII. Post- und Telegraphenwesen
Artikel 48
[1] Das Postwesen und Telegraphenwesen werden für das gesammte
Gebiet des Deutschen Reichs als einheitliche Staatsverkehrs-Anstalten eingerichtet und
verwaltet.
[2] Die im Artikel 4 vorgesehene Gesetzgebung des Reichs in Post-
und Telegraphenangelegenheiten erstreckt sich nicht auf diejenigen Gegenstände, deren
Regelung nach den in der Norddeutschen Post- und Telegraphen-Verwaltung maßgebend
gewesenen Grundsätzen der reglementarischen Festsetzung oder administrativen Anordnung
überlassen ist.
Artikel 49
Die Einnahmen des Post- und Telegraphenwesens sind für das ganze
Reich gemeinschaftlich. Die Ausgaben werden aus den gemeinschaftlichen Einnahmen
bestritten. Die Ueberschüsse fließen in die Reichskasse (Abschnitt XII).
Artikel 50
[1] Dem Kaiser gehört die obere Leitung der Post- und
Telegraphenverwaltung an. Die von ihm bestellten Behörden haben die Pflicht und das
Recht, dafür zu sorgen, daß Einheit in der Organisation der Verwaltung und im Betriebe
des Dienstes, sowie in der Qualifikation der Beamten hergestellt und erhalten wird.
[2] Dem Kaiser steht der Erlaß der reglementarischen Festsetzungen und allgemeinen
administrativen Anordnungen, sowie die ausschließliche Wahrnehmung der Beziehungen zu
anderen Post- und Telegraphenverwaltungen zu.
[3] Sämmtliche Beamte der Post- und Telegraphenverwaltung sind daher verpflichtet
den Kaiserlichen Anordnungen Folge zu leisten. Diese Verpflichtung ist in den Diensteid
aufzunehmen.
[4] Die Anstellung der bei den Verwaltungsbehörden der Post- und Telegraphie in
den verschiedenen Bezirken erforderlichen oberen Beamten (z. B. Direktoren, Räthe,
Ober-Inspektoren), ferner die Anstellung der zur Wahrnehmung des Aufsichts- u.s.w.
Dienstes in den einzelnen Bezirken als Organe der erwähnten Behörden fungirenden Post-
und Telegraphenbeamten (z. B. Inspektoren, Kontroleure) geht für das ganze Gebiet des
deutschen Reichs vom Kaiser aus, welchem diese Beamten den Diensteid leisten. Den
einzelnen Landesregierungen wird von den in Rede stehenden Ernennungen, soweit dieselben
ihre Gebiete betreffen, Behufs der landesherrlichen Bestätigung und Publikation
rechtzeitig Mittheilung gemacht werden.
[5] Die anderen bei den Verwaltungsbehörden der Post- und Telegraphie
erforderlichen Beamten, sowie alle für den lokalen und technischen Bereich bestimmten,
mithin bei den eigentlichen Betriebsstellen fungirenden Beamten u.s.w. werden von den
betreffenden Landesregierungen angestellt.
[6] Wo eine selbstständige Landespost- resp. Telegraphenverwaltung nicht besteht,
entscheiden die Bestimmungen besonderer Verträge.
Artikel 51
[1] Bei Ueberweisung des Ueberschusses der Postverwaltung für
allgemeine Reichszwecke (Art. 49) soll, in Betracht der bisherigen
Verschiedenheit der von den Landes-Postverwaltungen der einzelnen Gebiete erzielten
Reineinnahmen, zum Zwecke einer entsprechenden Ausgleichung während der unten
festgesetzten Uebergangszeit folgendes Verfahren beobachtet werden.
[2] Aus den Postüberschüssen, welche in den einzelnen Postbezirken während der
fünf Jahre 1861 bis 1865 aufgekommen sind, wird ein durchschnittlicher Jahresüberschuß
berechnet, und der Antheil, welcher jeder einzelne Postbezirk an dem für das gesammte
Gebiet des Reichs sich darnach herausstellenden Postüberschusses gehabt hat, nach
Prozenten festgestellt.
[3] Nach Maßgabe des auf diese Weise festgestellten Verhältnisses werden den
einzelnen Staaten während der auf ihren Eintritt in die Reichs-Postverwaltung folgenden
acht Jahre die sich für sie aus den im Reiche aufkommenden Postüberschüssen ergebenden
Quoten auf ihre sonstigen Beiträge zu Reichszwecken zu Gute gerechnet.
[4] Nach Ablauf der acht Jahre hört jene Unterscheidung aus, und fließen die
Postüberschüsse in ungetheilter Aufrechnung nach dem im Artikel 49
enthaltenen Grundsatz der Reichskasse zu.
[5] Von der während der vorbedachten acht Jahre für die Hansestädte sich
herausstellenden Quoten des Postüberschusses wird alljährlich vorweg die Hälfte dem
Kaiser zur Disposition gestellt zu dem Zwecke, daraus zunächst die Kosten für die
Herstellung normaler Posteinrichtungen in den Hansestädten zu bestreiten.
Artikel 52
[1] Die Bestimmungen in den vorstehenden Artikeln 48
bis 51 finden auf Bayern und Württemberg keine Anwendung. An ihrer
Stelle gelten für beide Bundesstaaten folgende Bestimmungen.
[2] Dem Reiche ausschließlich steht die Gesetzgebung über die Vorrechte der Post
und Telegraphie, über die rechtlichen Verhältnisse beider Anstalten zum Publikum, über
die Portofreiheiten und das Posttaxwesen, jedoch ausschließlich der reglementarischen und
Tarif-Bestimmungen für den internen Verkehr innerhalb Bayerns, beziehungsweise
Württembergs, sowie, unter gleicher Beschränkung, die Feststellung der Gebühren für
die telegraphische Korrespondenz zu.
[3] Ebenso steht dem Reiche die Regelung des Post- und Telegraphenverkehrs mit dem
Auslande zu, ausgenommen den eigenen unmittelbaren Verkehr Bayerns, beziehungsweise
Württembergs mit seinen dem Reiche nicht angehörenden Nachbarstaaten, wegen dessen
Regelung es bei der Bestimmung im Artikel 49 des Postvertrages vom 23. November 1867
bewendet.
[4] An den zur Reichskasse fließenden Einnahmen des Post- und Telegraphenwesens
haben Bayern und Württemberg keinen Theil.
IX. Marine und Schiffahrt
Artikel 53
[1] Die Kriegsmarine des Reichs ist eine einheitliche unter dem
Oberbefehl des Kaisers. Die Organisation und Zusammensetzung derselben liegt dem Kaiser
ob, welcher die Offiziere und Beamten der Marine ernennt, und für welchen dieselben nebst
den Mannschaften eidlich in Pflicht zu nehmen sind.[19]
[2] Der Kieler Hafen und der Jadehafen sind Reichskriegshäfen.
[3] Der zur Gründung und Erhaltung der Kriegsflotte und der damit
zusammenhängenden Anstalten erforderliche Aufwand wird aus der Reichskasse bestritten.
Die gesammte seemännische Bevölkerung des Reichs, einschließlich des Maschinenpersonals
und der Schiffshandwerker, ist vom Dienste im Landheere befreit, dagegen zum Dienste in
der Kaiserlichen Marine verpflichtet.
[4] Die Vertheilung des Ersatzbedarfes findet nach Maßgabe der vorhandenen
seemännischen Bevölkerung statt, und die hiernach von jedem Staate gestellte Quote kommt
auf die Gestellung zum Landheere in Abrechnung.[20]
Artikel 54
[1] Die Kauffahrteischiffe aller Bundesstaaten bilden eine
einheitliche Handelsmarine.
[2] Das Reich hat das Verfahren zur Ermittlung der Ladungsfähigkeit der Seeschiffe
zu bestimmen, die Ausstellung der Meßbriefe, sowie der Schiffscertifikate zu regeln und
die Bedingungen festzustellen, von welchen die Erlaubniß zur Führung eines Seeschiffes
abhängig ist.
[3] In den Seehäfen und auf allen natürlichen und künstlichen Wasserstraßen der
einzelnen Bundesstaaten werden die Kauffahrteischiffe sämmtlicher Bundesstaaten
gleichmäßig zugelassen und behandelt. Die Abgaben, welche in den Sehäfen von den
Seeschiffen oder deren Ladungen für die Benutzung der Schiffahrtsanstalten erhoben
werden, dürfen die zur Unterhaltung und gewöhnlichen Herstellung dieser Anstalten
erforderlichen Kosten nicht übersteigen.[21]
[4] Auf allen natürlichen Wasserstraßen dürfen Abgaben nur für die Benutzung
besonderer Anstalten, die zur Erleichterung des Verkehrs bestimmt sind, erhoben werden.
Diese Abgaben, sowie die Abgaben für die Befahrung solcher künstlicher Wasserstraßen,
welche Staatseigenthum sind, dürfen die zur Unterhaltung und gewöhnlichen Herstellung
der Anstalten und Anlagen erforderlichen Kosten nicht übersteigen. Auf die Flößerei
finden diese Bestimmungen insoweit Anwendung, als dieselbe auf schiffbaren Wasserstraßen
betrieben wird.[22]
[5] Auf fremde Schiffe oder deren Ladungen andere oder höhere Abgaben zu legen,
als von den Schiffen der Bundesstaaten oder deren Ladungen zu entrichten sind, steht
keinem Einzelstaate, sondern nur dem Reiche zu.
Artikel 55
Die Flagge der Kriegs- und Handelsmarine ist schwarz-weiß-roth.
X. Konsulatwesen
Artikel 56
[1] Das gesammte Konsulatwesen des Deutschen Reichs steht unter
der Aufsicht des Kaisers, welcher die Konsuln, nach Vernehmung des Ausschusses des
Bundesrathes für Handel und Verkehr, anstellt.
[2] In dem Amtsbezirk der Deutschen Konsuln dürfen neue Landeskonsulate nicht
errichtet werden. Die Deutschen Konsuln üben für die in ihrem Bezirk nicht vertretenen
Bundesstaaten die Funktionen eines Landeskonsuls aus. Die sämmtlichen bestehenden
Landeskonsulate werden aufgehoben, sobald die Organisation der Deutschen Konsulate
dergestalt vollendet ist, daß die Vertretung der Einzelinteressen aller Bundesstaaten als
durch die Deutschen Konsulate gesichert von dem Bundesrathe anerkannt wird.
XI. Reichskriegswesen
Artikel 57
Jeder Deutsche ist wehrpflichtig und kann sich in Ausübung dieser Pflicht nicht
vertreten lassen.
Artikel 58
Die Kosten und Lasten des gesammten Kriegswesens des Reichs sind
von allen Bundesstaaten und ihren Angehörigen gleichmäßig zu tragen, so daß weder
Bevorzugungen, noch Prägravationen einzelner Staaten oder Klassen grundsätzlich
zulässig sind. Wo die gleiche Vertheilung der Lasten sich in natura nicht
herstellen läßt, ohne die öffentliche Wohlfahrt zu schädigen, ist die Ausgleichung
nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit im Wege der Gesetzgebung festzustellen.
Artikel 59
[1] Jeder wehrfähige Deutsche gehört sieben Jahre lang, in der
Regel vom vollendeten 20. bis zum beginnenden 28. Lebensjahre, dem stehenden Heere - und
zwar die ersten drei Jahre bei den Fahnen, die letzten vier Jahre in der Reserve - und die
folgenden fünf Lebensjahre der Landwehr an. In denjenigen Bundesstaaten, in denen bisher
eine längere als zwölfjährige Gesammtdienstzeit gesetzlich war, findet die allmähliche
Herabsetzung der Verpflichtung nur in dem Maaße statt, als dies die Rücksicht auf die
Kriegsbereitschaft des Reichsheeres zuläßt.[23]
[2] In Bezug auf die Auswanderung der Reservisten sollen lediglich diejenigen
Bestimmungen maßgebend sein, welche für die Auswanderung der Landwehrmänner gelten.[24]
Artikel 60
Die Friedens-Präsenzstärke des Deutschen Heeres wird bis zum 31.
Dezember 1871 auf Ein Prozent der Bevölkerung von 1871 normirt, und wird pro rata
derselben von den einzelnen Bundesstaaten gestellt. Für die spätere Zeit wird die
Friedens-Präsenzstärke des Heeres im Wege der Reichsgesetzgebung festgestellt.[25]
Artikel 61
[1] Nach Publikation dieser Verfassung ist in dem ganzen Reiche
die gesammte Preußische Militairgesetzgebung ungesäumt einzuführen, sowohl die Gesetze
selbst, als die zu ihrer Ausführung, Erläuterung oder Ergänzung erlassenen Reglements,
Instruktionen und Reskripte, namentlich also das Militair-Strafgesetzbuch vom 3. April
1845,[26] die Militair-Strafgerichtsordnung vom 3.
April 1845,[27] die Verordnung über die
Ehrengerichte vom 20. Juli 1843, die Bestimmungen über Aushebung, Dienstzeit, Servis- und
Verpflegungswesen, Einquartierung, Ersatz von Flurbeschädigungen, Mobilmachung u.s.w.
für Krieg und Frieden. Die Miltair-Kirchenordnung ist jedoch ausgeschlossen.
[2] Nach gleichmäßiger Durchführung der Kriegsorganisation des Deutschen Heeres
wird ein umfassendes Reichs-Militairgesetz dem Reichstage und dem Bundesrathe zur
verfassungsmäßigen Beschlußfassung vorgelegt werden.[28]
Artikel 62
[1] Zur Bestreitung des Aufwandes für das gesammte Deutsche Heer
und die zu demselben gehörigen Einrichtungen sind bis zum 31. Dezember 1871 dem Kaiser
jährlich sovielmal 225 Thaler, als die Kopfzahl der Friedensstärke des Heeres nach
Artikel 60 beträgt, zur Verfügung zu stellen. Vergl. Abschnitt XII.
[2] Nach dem 31. Dezember 1871 müssen die Beiträge von den einzelnen Staaten des
Bundes zur Reichskasse fortgezahlt werden. Zur Berechnung derselben wird die im Artikel 60 interimistisch festgestellte Friedens-Präsenzstärke so lange
festgehalten, bis sie durch ein Reichsgesetz abgeändert ist.[25]
[3] Die Verausgabung dieser Summe für das gesammte Reichsheer und dessen
Einrichtungen wird durch das Etatsgesetz festgestellt.
[4] Bei der Feststellung des Militair-Ausgabe-Etats wird die auf Grundlage dieser
Verfassung gesetzlich feststehende Organisation des Reichsheeres zu Grunde gelegt.
Artikel 63
[1] Die gesammte Landmacht des Reichs wird ein einheitliches Heer
bilden, welches in Krieg und Frieden unter dem Befehle des Kaisers steht.
[2] Die Regimenter etc. führen fortlaufende Nummern durch das ganze Deutsche Heer.
Für die Bekleidung sind die Grundfarben und der Schnitt der Königlich Preußischen Armee
maßgebend. Dem betreffenden Kontingentsherrn bleibt es überlassen, die äußeren
Anzeichen (Kokarden etc.) zu bestimmen.
[3] Der Kaiser hat die Pflicht und das Recht, dafür Sorge zu tragen, daß
innerhalb des Deutschen Heeres alle Truppentheile vollzählig und kriegstüchtig vorhanden
sind und daß Einheit in der Organisation und Formation, in Bewaffnung und Kommando, in
der Ausbildung der Mannschaften sowie in der Qualifikation der Offiziere hergestellt und
erhalten wird. Zu diesem Behufe ist der Kaiser berechtigt, sich jederzeit durch
Inspektionen von der Verfassung der einzelnen Kontingente zu überzeugen und die
Abstellung der dabei vorgefundenen Mängel anzuordnen.
[4] Der Kaiser bestimmt den Präsenzstand,[29]
die Gliederung und Eintheilung der Kontingente des Reichsheeres, sowie die Organisation
der Landwehr, und hat das Recht, innerhalb des Bundesgebietes die Garnisonen zu bestimmen,
sowie die kriegsbereite Aufstellung eines jeden Theils des Reichsheeres anzuordnen.
[5] Behufs Erhaltung der unentbehrlichen Einheit in der Administration,
Verpflegung, Bewaffnung und Ausrüstung aller Truppentheile des Deutschen Heeres sind die
bezüglichen künftig ergehenden Anordnungen für die Preußische Armee den Kommandeuren
der übrigen Kontingente, durch den Artikel 8 Nr. 1 bezeichneten
Ausschuß für das Landheer und die Festungen zur Nachahmung in geeigneter Weise
mitzutheilen.
Artikel 64
[1] Alle Deutschen Truppen sind verpflichtet, den Befehlen des
Kaisers unbedingte Folge zu leisten. Die Verpflichtung ist in den Fahneneid aufzunehmen.
[2] Der Höchstkommandirende eines Kontingents, sowie alle Offiziere, welche
Truppen mehr als eines Kontingents befehligen, und alle Festungskommandanten werden vom
Kaiser ernannt.[30] Die von Demselben ernannten
Offiziere leisten Ihm den Fahneneid. Bei Generalen und den Generalstellungen versehenden
Offizieren innerhalb des Kontingents ist die Ernennung von der jedesmaligen Zustimmung des
Kaisers abhängig zu machen.
[3] Der Kaiser ist berechtigt, Behufs Versetzung mit und ohne Beförderung für die
von Ihm im Reichsdienste, sei es im Preußischen Heere, oder in anderen Kontingenten zu
besetzenden Stellen aus den Offizieren aller Kontingente des Reichsheeres zu wählen.
Artikel 65
Das Recht, Festungen innerhalb des Bundesgebietes anzulegen, steht
dem Kaiser zu, welcher die Bewilligung der dazu erforderlichen Mittel, soweit das
Ordinatorium sie nicht gewährt, nach Abschnitt XII beantragt.[31]
Artikel 66
[1] Wo nicht besondere Konventionen ein Anderes bestimmen,
ernennen die Bundesfürsten, beziehentlich die Senate die Offiziere ihrer Kontingente, mit
der Einschränkung des Artikels 64. Sie sind Chefs aller ihren Gebieten
angehörenden Truppentheile und genießen die damit verbundenen Ehren. Sie haben
namentlich das Recht der Inspizirung zu jeder Zeit und erhalten, außer den regelmäßigen
Rapporten und Meldungen über vorkommende Veränderungen, Behufs der nöthigen
landesherrlichen Publikation, rechtzeitige Mittheilung von den die betreffenden
Truppentheile berührenden Avancements und Ernennungen.
[2] Auch steht ihnen das Recht zu, zu polizeilichen Zwecken nicht blos ihre eigenen
Truppen zu verwenden, sondern auch alle anderen Truppentheile des Reichsheeres, welche in
ihren Ländergebieten dislocirt sind, zu requiriren.[32]
Artikel 67
Ersparnisse an dem Militair-Etat fallen unter keinen Umständen
einer einzelnen Regierung, sondern jederzeit der Reichskasse zu.
Artikel 68
Der Kaiser kann, wenn die öffentliche Sicherheit in dem
Bundesgebiete bedroht ist, einen jeden Theil desselben in Kriegszustand erklären. Bis zum
Erlaß eines die Voraussetzungen, die Form der Verkündigung und die Wirkungen einer
solchen Erklärung regelnden Reichsgesetzes gelten dafür die Vorschriften des
Preußischen Gesetzes vom 4. Juni 1851 (Gesetz-Samml. Für 1851 S. 451 ff.).
Schlußbestimmung zum XI. Abschnitt
Die in diesem Abschnitt enthaltenen
Vorschriften kommen in Bayern nach näherer Bestimmung des Bündnißvertrages vom 23.
November 1870 (Bundesgesetzblatt 1871 S. 9) unter III. § 5, in Württemberg nach näherer
Bestimmung des Militairkonvention vom 21./25. November 1870 (Bundesgesetzblatt 1870 S.
658) zur Anwendung.
XII. Reichsfinazen
Artikel 69
Alle Einnahmen und Ausgaben des Reichs müssen für jedes Jahr
veranschlagt und auf den Reichshaushalts-Etat gebracht werden. Letzterer wird vor Beginn
des Etatjahres nach folgenden Grundsätzen durch ein Gesetz festgestellt.
Artikel 70
Zur Bestreitung aller gemeinschaftlichen Ausgaben dienen zunächst
die etwaigen Ueberschüsse der Vorjahre, sowie die aus den Zöllen, den gemeinschaftlichen
Verbrauchssteuern und aus dem Post- und Telegraphenwesen fließenden gemeinschaftlichen
Einnahmen. Insoweit dieselben durch diese Einnahmen nicht gedeckt werden, sind sie, so
lange Reichssteuern nicht eingeführt sind, durch Beiträge der einzelnen Bundesstaaten
nach Maßgabe ihrer Bevölkerung aufzubringen, welche bis zur Höhe des budgetmäßigen
Betrages durch den Reichskanzler ausgeschrieben werden.[33]
Artikel 71
[1] Die gemeinschaftlichen Ausgaben werden in der Regel für ein
Jahr bewilligt, können jedoch in besonderen Fällen auch für eine längere Dauer
bewilligt werden.
[2] Während der im Artikel 60 normirten Uebergangszeit ist der
nach Titeln geordnete Etat über die Ausgaben für das Heer dem Bundesrathe und dem
Reichstage nur zur Kenntnißnahme und zur Erinnerung vorzulegen.
Artikel 72
Ueber die Verwendung aller Einnahmen des Reichs ist durch den
Reichskanzler dem Bundesrathe und dem Reichstage zur Entlastung jährlich Rechnung zu
legen.
Artikel 73
In Fällen eines außerordentlichen Bedürfnisses kann im Wege der
Reichsgesetzgebung die Aufnahme einer Anleihe, sowie die Uebernahme einer Garantie zu
Lasten des Reichs erfolgen.
Schlußbestimmung zum XII. Abschnitt
Auf die Ausgaben für das Bayerische Heer finden die Artikel 69 und 71 nur nach Maßgabe der in der Schlußbestimmung
zum XI. Abschnitt erwähnten Bestimmungen des Vertrages vom 23.
November 1870 und der Artikel 72 nur insoweit Anwendung, als dem
Bundesrathe und dem Reichstage die Ueberweisung der für das Bayerische Heer erforderliche
Summe an Bayern nachzuweisen ist.
XIII. Schlichtung von Streitigkeiten und
Strafbestimmungen
Artikel 74
Jedes Unternehmen gegen die Existenz, die Integrität, die
Sicherheit oder die Verfassung des Deutschen Reichs, endlich die Beleidigung des
Bundesrathes, des Reichstages, eines Mitgliedes des Bundesrathes oder des Reichstages,
einer Behörde oder eines öffentlichen Beamten des Reichs, während dieselben in der
Ausübung ihres Berufes begriffen sind oder in Beziehung auf ihren Beruf, durch Wort,
Schrift, Druck, Zeichen, bildliche oder andere Darstellung, werden in den einzelnen
Bundesstaaten beurtheilt und bestraft nach der Maßgabe der in den letzteren bestehenden
oder künftig in Wirksamkeit tretenden Gesetze, nach welchen eine gleiche gegen einen
Bundesstaat, seine Verfassung, seine Kammern oder Stände, seine Kammer- oder
Ständemitglieder, seine Behörden und Beamten begangene Handlung zu richten wäre.[34]
Artikel 75
[1] Für diejenigen in Artikel 74 bezeichneten
Unternehmungen gegen das Deutsche Reich, welche, wenn gegen einen der einzelnen
Bundesstaaten gerichtet, als Hochverrath oder Landesverrath zu qualifiziren wären, ist
das gemeinschaftliche Ober-Appellationsgericht der drei freien und Hansestädte in Lübeck
die zuständige Spruchbehörde in erster und letzter Instanz.
[2] Die näheren Bestimmungen über die Zuständigkeit und das Verfahren des
Ober-Appellationsgerichts erfolgen im Wege der Reichsgesetzgebung. Bis zum Erlasse eines
Reichsgesetzes bewendet es bei der seitherigen Zuständigkeit der Gerichte in den
einzelnen Bundesstaaten und den auf das Verfahren dieser Gerichte sich beziehenden
Bestimmungen.[35]
Artikel 76
[1] Streitigkeiten zwischen verschiedenen Bundesstaaten, sofern
dieselben nicht privatrechtlicher Natur und daher von den kompetenten Gerichtsbehörden zu
entscheiden sind, werden auf Anrufen des einen Theils von dem Bundesrathe erledigt.
[2] Verfassungsstreitigkeiten in solchen Bundesstaaten, in deren Verfassung nicht
eine Behörde zur Entscheidung solcher Streitigkeiten bestimmt ist, hat auf Anrufen eines
Theiles der Bundesrath gütlich auszugleichen oder, wenn das nicht gelingt, im Wege der
Reichsgesetzgebung zur Erledigung zu bringen.
Artikel 77
Wenn in einem Bundesstaate der Fall einer Justizverweigerung
eintritt, und auf gesetzlichen Wegen ausreichende Hülfe nicht erlangt werden kann, so
liegt dem Bundesrathe ob, erwiesene, nach der Verfassung und den bestehenden Gesetzen des
betreffenden Bundesstaates zu beurtheilende Beschwerde über verweigerte oder gehemmte
Rechtspflege anzunehmen, und darauf die gerichtliche Hülfe bei der Bundesregierung, die
zu der Beschwerde Anlaß gegeben hat, zu bewirken.
XIV. Allgemeine Bestimmungen
Artikel 78
[1] Veränderungen der Verfassung erfolgen im Wege der Gesetzgebung. Sie gelten
als abgelehnt, wenn sie im Bundesrathe 14 Stimmen gegen sich haben.
[2] Diejenigen Vorschriften der Reichsverfassung, durch welche bestimmte Rechte
einzelner Bundesstaaten in deren Verhältniß zur Gesammtheit festgestellt sind, können
nur mit Zustimmung des berechtigten Bundesstaates abgeändert werden.
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